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Einsatz auf vier Pfoten! | Teil 38

Hast du die Schüsse gehört?“, fragte ich Jan, als wir eines Morgens unterwegs zur Hundestaffel waren. Einige Male war ich in der Nacht davon aufgeschreckt.

Jan nickte bedrückt.

„Es gibt sehr viele herrenlose Hunde hier, und für Tierheime hat der Staat kein Geld übrig. Stattdessen hat er eine Prämie von fünf Marka Konvertibla pro getötetem Hund ausgelobt. Zwei Euro fünfzig für ein Hundeleben. Das ist billiger. So lange es Leute gibt, die bereit sind, an Säuberungsaktionen wie der heute Nacht teilzunehmen, wird sich daran nichts ändern.“

Schon das Wort „Säuberungsaktion“ tat mir weh. Waren Hunde etwa Dreck? Jeder von ihnen war ein Individuum, fühlte wie wir Freude, Schmerz und Angst, wollte leben! In Deutschland war das Töten eines Tieres „ohne vernünftigen Grund“ eine Straftat. Hier wurde es staatlich gefördert und entlohnt. Das überstieg meine Vorstellungskraft. Zumal in anderen Ländern längst erwiesen war, dass Sterilisieren beziehungsweise Kastrieren effektiver wäre. Und nur unwesentlich teurer.

Ich dachte an all die Streuner, die mir regelmäßig in Bihac und Umgebung begegneten.

Auf dem Weg zum Dienst lief mir jeden Morgen ein weißer Bullterrier über den Weg. Er hatte offenbar schreckliche Erfahrungen gemacht: Ihm fehlte ein Auge. Die Verletzung sah nach einem brutalen Schlag aus. Der Gedanke, wie ein Mensch mit einem Kantholz oder einer Eisenstange auf diesen armen Kerl eingeprügelt hatte, überschwemmte mich mit Mitleid.

Konnte ich auch nicht wieder gut machen, was ihm angetan worden war, so hatte ich doch das Bedürfnis, ihm zu zeigen, dass nicht alle Menschen böse waren. Aber jedes Mal, wenn ich mich ihm näherte, wich er ängstlich zurück. Sollte er jemals Vertrauen in unsereins gehabt haben, er hatte es verloren. Erst jetzt fiel mir auf, dass er heute früh nicht da gewesen war.

Mit wachsender Besorgnis dachte ich an die ausgemergelte Hündin, die nahe der Zwingeranlage lebte. Ihr herabhängendes Gesäuge zeugte davon, dass sie irgendwo Welpen versteckt hielt. Auch diese Hündin war anfangs sehr vorsichtig gewesen, doch seit Jan und ich ihr regelmäßig etwas zu fressen mitbrachten, wurde sie ein wenig zutraulich. Sie ließ sich zwar weiterhin nicht anfassen, wich unseren Händen aus, aber die Dankbarkeit in ihren braunen Augen schon über eine Handvoll Trockenfutter berührte mich tief.

Mittlerweile wusste sie genau, um welche Zeit wir eintrafen und wartete auf uns.

Heute allerdings nicht. Als wir auf das Gelände einbogen, war ihr gewohnter Platz leer. Auch in der Umgebung konnte ich sie nirgendwo entdecken. Ich stürzte in das Büro, wo einer der Hundeführer saß. Ohne Dolmetscher versuchte ich mit einem Kauderwelsch aus Deutsch, Englisch und Handzeichen zu erfahren, ob er etwas über den Verbleib der Hündin wusste. Er schaute mich verwundert an, dann verstand er, hob die rechte Hand in Augenhöhe, streckte sie aus und krümmte mehrmals den Zeigefinger. Dann zuckte er die Schultern und wandte sich wieder seinen Unterlagen zu.

Wie konnte er nur so teilnahmslos sein? Er hatte doch selbst einen Hund! Da fiel mir ein, dass er in den letzten Monaten des Krieges zwei seiner Brüder und den Vater verloren hatte. Vielleicht erklärte das seine Gleichgültigkeit streunenden Hunden gegenüber.

Mit Bauchschmerzen begann ich, zusammen mit Jan alle Versteckmöglichkeiten im Umkreis abzusuchen. Vielleicht hatte sich die Hündin mit ihren Welpen irgendwo verkrochen? Gleichzeitig befürchtete ich, ihre kleinen Kadaver zu finden. Unsere Suche blieb erfolglos. Nach einer halben Stunde gaben wir auf.

Auch Jan war traurig.

Er fragte mich: „Was hättest du getan, wenn wir die Hundefamilie gerettet hätten? Sie mit nach Deutschland genommen?“

„Warum nicht?“, antwortete ich trotzig. „Bevor ich sie diesen Mördern hier ausliefere …“ Ich sagte tatsächlich Mörder und bemerkte, dass ich mich zum ersten Mal unwohl fühlte in diesem Land.

„Du kannst nicht alle Hunde retten“, gab Jan zu bedenken.

Leider hatte er Recht. „Aber vielleicht wenigstens einen.“

Zwei Stunden später bückte ich mich, um mein Schuhband neu zu knoten. Im Augenwinkel nahm ich eine Bewegung unter dem ausgedienten Ford Transit wahr, der von Pflanzen halb überwuchert in der Nähe unseres Büros stand.

Was war denn das?

Nach Ratte hatte das kleine Fellbündel nicht ausgesehen. Ich schlich mich auf Zehenspitzen an, ging in die Knie, legte mich schließlich auf den Bauch. Und schaute in ein braunes, faltiges Gesicht mit Schlappohren, aus dem mich zwei grüne Augen argwöhnisch musterten. Das kleine Hundemädchen, höchstens vier Wochen alt, zitterte. Behutsam zog ich es unter dem Autowrack hervor. Eine Hand voll Hund, dessen Herzschlag ich in meinen Fingern spürte. Unwillkürlich drückte ich meine Nase in sein flaumiges Fell. Es roch nach Pilzen. Welpen riechen immer so. Irgendwie nach frischen Champignons.

„Da hat offenbar jemand das Massaker überlebt”, sagte Jan, als ich ihm das kleine Bündel zeigte. Seine Stimme klang belegt.

Zart strich er mit dem Rücken seines Zeigefingers über die Schnauze des Welpen, der sich nun an mich kuschelte.

„Und jetzt? Machst du deinen Vorsatz wahr, Elmar?“

Als er meinen Gesichtsausdruck sah, lachte er.

Gut, dann besorgen wir erst einmal das Nötigste für die Kleine!“ Er chauffierte mich zu dem Supermarkt mit Heimtierabteilung. Dort hatten wir auch das Futter für die Mutter des Welpen besorgt. Während Jan das Hündchen beaufsichtigte, kaufte ich Dosenfutter, ein Halsband, eine Leine. Und für den Transport einen Rattankorb. Der sollte auch als Schlafplatz dienen, also stattete ich ihn gleich noch mit einem weichen Kissen aus.

Als ich zum Auto zurückkam, lag die Kleine in Jans Schoß und blinzelte mich verschlafen an. „Sie braucht einen Namen“, stellte Jan fest. Das Hundebaby öffnete die Augen und schaute uns neugierig an. Wie grün seine Augen waren. Beinahe türkis, wie der Fluss Una, der sich durch Bihac schlängelte. „Una“, sagte ich, „sie soll Una heißen.“

Hier erfährst du, wie es weitergeht.

Elmar Heer arbeitet seit 40 Jahren als Polizeibeamter. 1990 wechselte er vom Streifendienst zur Diensthundestaffel Mittelfranken. Schon früh entdeckte er seine zweite Leidenschaft: das Schreiben. Mit seinem Buch „Partner auf Leben und Tod“, erschienen bei Droemer-Knaur, gewährt der Autor dem Leser einen Einblick in Leben und Arbeit eines Polizeihundeführers. Er erzählt über seine Aufgaben als Hundeführer, die umfangreiche Ausbildung von Polizeihunden und über spannende, heitere und auch tragische Einsätze, die er mit seinen Schäferhunden Gundo, Bux, Carina und Sam erlebte.



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