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Einsatz auf vier Pfoten! | Teil 30

Das Klingeln des Telefons mischte sich unter das Gezwitscher der Vögel in unserem Garten, weshalb ich es zunächst gar nicht als solches wahrnahm. Der Frühling fiel dieses Jahr auf einen Dienstag, und zu allem Überfluss hatte ich sogar frei. Wer also wagte es, mich an diesem heiligen Nachmittag zu stören?

Anruf ohne Nummer

Mühsam rollte ich mich aus meinen Liegestuhl und stolperte über die Terrasse ins Haus. Die Nachtschicht steckte mir noch wie Sand in den Gelenken. Carina, meinem Hund, wohl auch. Sie hob nur kurz den Kopf, ehe sie ihn mit einem langgezogenen Brummen wieder ins junge Gras fallen ließ und sich streckte.

Etwas genervt blickte ich auf das Display des kabellosen Handapparates. Unterdrückte Nummer! Es gab nur zwei Möglichkeiten, wer sich hinter diesem Anruf verbarg.

Zum einen meine Mutter: Das Kupferkabel ihres Anschlusses aus den fünfziger Jahren ließ die Übermittlung ihrer Telefonnummer nicht zu, und sie legte auch sonst keinen Wert auf digitale Datenübertragung via Glasfaserleitung. Obwohl sie die Vorzüge des Internets durchaus kannte, hat sie es immer abgelehnt, sich selbst einen Computer anzuschaffen. Sie genoss stattdessen die Vorzüge, keinen Zugang zum Worldwide Web zu haben, wofür ich sie gelegentlich beneidete. Ihre Mailbox draußen am Zaun war selten voll, denn ihr Spamfilter in Form des Aufklebers „Keine Werbung!“ funktionierte besser als so manches PC-Programm. Was dennoch an bunten Prospekten darin landete, warf sie direkt in die daneben stehende Altpapiertonne.

Nur in seltenen Fällen griff sie auf die Informationsfülle des Internets zurück – und dann zum analogen Telefon, um mich zu bitten, doch mal was nachzuschauen. Was ich immer gerne für sie tat.

Gefährlicher Einsatz

Der zweite nummernlose Anrufer könnte allerdings auch Gerhard sein, der Dienst- und Einsatzplaner meiner Dienststelle. Behörden rufen bekanntlich häufig anonym an. Ich setzte auf meine Mutter.

„Hallo, hier ist der Gerhard!“ Das bedeutete Arbeit. „Ja, Gerhard, was kann ich für dich tun?“ Es hörte sich wahrscheinlich fröhlicher an als gemeint. „Ich weiß, du hast morgen frei, aber wir haben da einen heiklen Einsatz rein bekommen. Durchführung eines Haftbefehls wegen Mordes mit anschließender Suche nach der Tatwaffe, einem Revolver.“ Ich schluckte. Das klang spannend, aber auch gefährlich. Ein gehöriger Vorschuss an Adrenalin machte sich in meinem Kopf breit. „Ist das SEK auch dabei?“, hakte ich nach.

„Selbstverständlich“, antwortete Gerhard, „und das Mordkommisariat, außerdem acht Mann vom USK für die äußere Absperrung um den Wohnblock. Die Wohnung ist im Erdgeschoss.“ „Also das volle Programm“, stellte ich fest. „Okay, ich komme. Wann geht’s los?“

„Einsatzbesprechung ist morgen früh im Präsidium.“ Gerhard machte eine Pause. „Um halb fünf.“ Er erwartete von mir bestimmt ein Aufstöhnen, aber ich tat ihm den Gefallen nicht, auch wenn mir danach war. Um pünktlich zu sein, musste ich also spätestens um halb drei Uhr aufstehen. Schließlich wollte Carina vorher noch versorgt werden und Gassi gehen, danach die Fahrt zur Dienststelle, um den Streifenwagen zu holen. Und dann ins Präsidium in Nürnbergs Stadtmitte.

„In Ordnung“, brummte ich ins Telefon, was sich nun garantiert nicht fröhlich anhörte. Ich war nunmal kein Frühaufsteher, Carina auch nicht.

Aber das gehörte zum Job.

Es war zwanzig vor sechs, als ich mich wieder in den VW-Bus setzte. Carina begrüßte mich aus dem Heck mit einem leisen Fiepen. Über Funk verlangte gerade eine Streife der Inspektion Ost nach einem Hundeführer zur Unterstützung bei einer Schlägerei. Mich betraf das nicht, ich hatte ja bereits meinen Auftrag. Aber ich bedauerte den Kollegen, der nach zehn Stunden Nachtschicht kurz vor Dienstende noch einmal ausrücken musste.

Ganz so aufregend, wie es sich anfangs angehört hatte, war meine, besser gesagt Carinas Aufgabe doch nicht. Wir sollten lediglich im Treppenhaus warten, bis das SEK den Gesuchten festgenommen hat, und dann die Wohnung nach Waffen absuchen. Der Mann, der im Streit einen anderen erschossen haben sollte, sei im Besitz von mindestens eines Revolvers, hatte es in der Besprechung geheißen.

Ich ließ den Motor an und schloss mich der Reihe von dunklen Zivilwagen an, die den Hof des Präsidiums in Richtung Südstadt verließ.

Carina spürte die Anspannung, sie war sichtlich aufgeregt.

Vorsichtshalber legte ich ihr sanft meine Hand ums Maul, damit sie nicht bellte, während die mit Helm und kugelsicheren Westen geschützten Kollegen des SEK an uns vorbei schlichen und sich links und rechts der Eingangstür der Hochparterrewohnung sammelten. Einer trug einen großen Stahlzylinder mit zwei Griffen, die Ramme, bei sich. Offenbar hatte man nicht vor, die Türglocke zu betätigen.

Ich drückte mich mit meinem Hund in die Ecke an der Kellertür, hielt die Luft an und lauschte. Stille. Zwei, drei Sekunden lang. Den Knall, der dann durch das Treppenhaus hallte, hatte ich zwar erwartet, aber er ließ mich dennoch zusammen zucken. Der Lärm von splitterndem Holz und trampelnden Stiefeln ließen Carina hochfahren, sie entwand sich meinem Griff und bellte wütend. Sie wollte mitmischen! Ich ging in die Hocke, legte meinen Arm um sie und beruhigte sie leise: „Psch… ruhig, alles guuut. Wir sind noch nicht dran“. Das wirkte, aber sie spitzte die Ohren, als sich uns plötzlich Schritte näherten.

Hier erfährst du, wie es weitergeht.

Elmar Heer arbeitet seit 40 Jahren als Polizeibeamter. 1990 wechselte er vom Streifendienst zur Diensthundestaffel Mittelfranken. Schon früh entdeckte er seine zweite Leidenschaft: das Schreiben. Mit seinem Buch „Partner auf Leben und Tod“, erschienen bei Droemer-Knaur, gewährt der Autor dem Leser einen Einblick in Leben und Arbeit eines Polizeihundeführers. Er erzählt über seine Aufgaben als Hundeführer, die umfangreiche Ausbildung von Polizeihunden und über spannende, heitere und auch tragische Einsätze, die er mit seinen Schäferhunden Gundo, Bux, Carina und Sam erlebte.



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