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Einsatz auf vier Pfoten! | Teil 49

Tod ohne Zeugen: An diesem Mittwochnachmittag war ich gerade eine Runde durch den U-Bahnhof Langwasser Mitte gelaufen, als mich die Inspektion Süd anfunkte. „Bitte fahren Sie in die Ulmenstraße. Hilflose Person in einer Wohnung.“ Und auch ein angeblich großer Hund. Das Haus in der Ulmenstraße war ein typischer Bau aus den 1970er-Jahren. Schmucklos, aber gepflegt.

Drei Stockwerke, sechs Wohnungen.

Die Streife der PI Süd war bereits eingetroffen, als ich – gleichzeitig mit einem kleinen weißen Lieferwagen Johanns Schlüsseldienst: 24 Stunden – vorfuhr. Die Kollegin erklärte mir knapp die Fakten: „Erdgeschoss links. Briefkasten voll. Mieter ist seit mehreren Tagen nicht gesehen worden.“ Sie rümpfte die Nase. „Und es ‘riecht’, wenn man vor der Tür steht.“
Unwillkürlich musste ich schlucken. Von wegen hilflose Person. Wohl eher Tod ohne Zeugen. Auch dies ist ein feststehender Begriff für uns, der keiner Erklärung bedarf. Einsamer Tod würde es vielleicht besser treffen. Ich habe schon viele Leichen gesehen, Erhängte, Ermordete, Unfallopfer. Von „frisch“ bis in beinahe allen Fäulnisstadien. Nicht nur die schrecklichen Bilder, vor allem der eindringliche Verwesungsgeruch hat sich mir eingeprägt, unüberriechbar, selbst nach Kleiderwechsel und Dusche, stundenlang. Brechreizerregend. Die Kollegin erinnerte mich daran, warum ich gerufen worden war: „Er hat einen Airedale-Terrier, ein großes Vieh. Soll zwar harmlos sein, sagt der Mitteiler, aber wer weiß, wie er reagiert, wenn wir die Tür aufmachen. Vorhin hab’ ich ihn winseln hören.“

„Okay“, nickte ich,

der Schlüsseldienst kann schon mal anfangen. Bin gleich wieder da.“ Mir graute. Ich holte die Fangstange aus meinem Wagen. Und einen Schutzärmel, den ich mir vorsorglich über den linken Arm zog. Die Kollegin hatte recht. Man konnte nie wissen … Als ich zurückkam, lag das aufgebohrte Schloss bereits auf dem Fußabstreifer. Willkommen stand in regenbogenfarbenen Buchstaben darauf. Meine Hoffnung, dass uns der Wohnungsinhaber vielleicht doch noch persönlich begrüßen würde, wurde von dem Geruch erstickt, der mir unerbittlich in die Nase stieg. So riecht der Tod. Ich gab dem Schlosser das Zeichen, die Tür zu öffnen. Er drückte sie einen Spalt auf. Zu meiner Erleichterung steigerte sich der Gestank nur wenig, es stoben uns auch keine Schwärme von grün schillernden Schmeißfliegen entgegen. Dies wäre ein sicheres Zeichen gewesen, dass sich etwas Verwesendes in der Wohnung befand.

Eine offensichtlich sehr trockene Hundenase zeigte sich in Höhe des zerstörten Schlosses, schnupperte.

Pf-Pf-Pffff. Zweimal kurz, einmal lang. Ich stemmte mich gegen das Türblatt – und spürte einen Widerstand. Auch, als ich den Druck erhöhte, bewegte sich kaum etwas. Die Hundeschnauze verschwand. Endlich kam mir die Kollegin zu Hilfe, gemeinsam öffneten wir die Tür so weit, dass sie ihren Kopf hindurch stecken konnte. Sie zuckte sofort zurück: „Tot. Er sitzt direkt hinter der Tür.“ Sie schüttelte sich und mir wurde flau im Magen. Wenn irgend möglich, wollte ich es vermeiden, die Wohnung zu betreten.
„Hey“, rief ich und schnalzte mit der Zunge. Nach ein paar Sekunden stand der Hund wieder am Eingang des Appartements.

Er machte einen erschöpften, aber freundlichen Eindruck.

Der Stummel seines kupierten Schwanzes wackelte sogar ein bisschen. Ich legte Schutzärmel und Fangstange beiseite und angelte das Hanfseil, an das ich für solche Fälle kürzlich einen Karabiner befestigt hatte, aus meiner Jackentasche. „Na, Großer? Wollen wir Gassi gehen?“, fragte ich ihn und schnippte dabei mit dem Verschluss. Für viele Hunde ist dies ein vertrautes Geräusch, ein Signal, das Gutes bedeutet: Gassi! Auch der Terrier verstand es, er kam zu mir und ließ sich anleinen. Beinahe fluchtartig verließ ich mit ihm das Treppenhaus. In der Grünanlage vor dem Haus blieb der Hund schon nach zwei Metern stehen und ließ „es“ laufen, ohne das Bein zu heben.

Was für ein bedauerns- und gleichzeitig bewundernswerter Kerl!

Er musste sich sehr lange beherrscht haben. Der Terrier war nicht mehr der Jüngste, bestimmt über zehn, schätzte ich.
Die Kollegin von eben näherte sich uns vorsichtig. „Ich habe mich umgehört,“ sagte sie, „der Hund heißt Henry. Sein Besitzer war allein stehend, offenbar keine Verwandten. Ich habe schon mal das Tierheim verständigt.“ Ich nickte traurig.
Am Abend erzählte ich meiner Frau von Henry. Wie tapfer er sich gehalten hatte, kein Häufchen, keine Pfütze hatten die Kollegen in der Wohnung gefunden. Und wie schwer es ihm gefallen war, in das Tierheimauto zu springen. Und wie schwer mein Herz geworden war, als ich ihm dabei zugesehen hatte. Wir zogen ernsthaft in Erwägung, Henry zu uns zu holen und ihm einen schönen Lebensabend zu bereiten. Und kamen zu dem Schluss, dass dies nicht möglich war. Keiner von uns beiden hätte ihn mit zur Arbeit nehmen können. So blieb die Hoffnung, Henry möge trotz seines hohen Alters Glück haben. Dass ihm dies tatsächlich beschieden war, erfuhr ich wenige Tage später. Eine Mitarbeiterin des Tierheims hatte Henry so ins Herz geschlossen, dass sie ihn mit nach Hause nahm und nicht mehr hergeben wollte.

Hier erfährst du, wie es weitergeht.

Elmar Heer arbeitet seit 40 Jahren als Polizeibeamter. 1990 wechselte er vom Streifendienst zur Diensthundestaffel Mittelfranken. Schon früh entdeckte er seine zweite Leidenschaft: das Schreiben. Mit seinem Buch „Partner auf Leben und Tod“, erschienen bei Droemer-Knaur, gewährt der Autor dem Leser einen Einblick in Leben und Arbeit eines Polizeihundeführers. Er erzählt über seine Aufgaben als Hundeführer, die umfangreiche Ausbildung von Polizeihunden und über spannende, heitere und auch tragische Einsätze, die er mit seinen Schäferhunden Gundo, Bux, Carina und Sam erlebte.



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