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Mit den Händen heilen

Beweglichkeit bedeutet Lebensqualität. Körperliche Blockaden sind sogar nicht selten der Grund für ein auffälliges Verhalten. „Liegen etwa Blockaden vor und werden diese beseitigt, kann das dazu führen, dass der Hund sich anschließend wieder “normal” verhält“, sagt Sabine Zemla. Die Hundephysiotherapeutin weiß, wovon sie spricht. Denn in ihrer Praxis in Bayreuth ist sie täglich mit vielen Hundeschicksalen konfrontiert. Wir sprachen mit ihr über ihre Arbeit und darüber, wie Mensch mit bloßen Händen ihren Hunden helfen können.

Liebe Frau Zemla, auf Ihrer Internetseite teilen Sie das Video von Yamuna. Yamuna ist eine Straßenhündin. Angefahren von einem Auto waren ihre hinteren Gliedmaße so schwer verletzt, dass sie hinten nicht mehr hochkam. Zu Beginn des Videos sehen wir einen schmerzerfüllten Hund in einer vollkommenen Angststarre. Der Film begleitet sie durch die Physiotherapie und man sieht, wie dieser Hund aufblüht. Nicht nur körperlich – auch die Lebensfreude, die Willensstärke, der Lebensmut kehrt zu der Hündin zurück. Ein sehr, sehr berührender Film. Was hat dieser Film in Ihnen bewirkt?

Sabine Zemla: Als ich vor einigen Jahren zufällig auf die Website der Organisation Animal Aid Unlimited stieß, war ich erschüttert angesichts des Elends der Hunde und gleichzeitig zutiefst berührt, mit wie viel Hingabe, Geduld und Liebe den malträtierten Kreaturen dort geholfen wird. Es mag leider nicht immer zum Erfolg führen, dafür sind die Verletzungen und Misshandlungen einfach oft zu schwer, aber vor dem, was hier aufopferungsvoll geleistet wird, war ich und bin noch immer tief beeindruckt. Das Video über die Hündin Yamuna, ihr Schicksal und letztlich ihre Genesung durch nicht mehr als Hände und Zuneigung, war in der Tat der entscheidende Grund, mich für die Ausbildung zur Hundephysiotherapeutin zu entscheiden. Und sobald es mir privat möglich ist, würde ich dort gerne für einige Zeit als Volunteer tatkräftig mithelfen. Denn für mich ist das wirklich nicht nur ein Beruf, sondern eine wirkliche Berufung.

Vom römischen Dichter Juvenal (60-140 n Chr.) stammt der berühmte Satz „Mens sana in corpore sano“ – ein gesunder Geist wohnt in einem gesunden Körper. Stimmen Sie dem zu?

Sabine Zemla: Natürlich führt ausreichende Bewegung nicht zwingend zu intelligenten Höhenfügen. Das beste Beispiel hierfür ist sicherlich der an ASL-erkrankte (kürzlich verstorbene) Stephen Hawking. Allerdings haben Studien ergeben, dass Sport beispielsweise das Risiko, Alzheimer zu bekommen, um 50 Prozent senkt. Doch zurück zum Hund: Auch Hunde, die in der Lage sind, sich zu bewegen, bestenfalls ausreichend lange und artgerecht, unterliegen wie der Mensch biochemischen Prozessen. Dabei werden Stoffe wie Endorphine, Dopamin und Serotonin ausgeschüttet, die so genannten Glückshormone. Die wiederum bauen Stress ab, sind an der Regulierung der Körpertemperatur beteiligt und zudem in der Lage, die Schmerzsensibilität zu lindern.

All das führt wiederum zur Senkung des Stresshormons Cortisol. Denn ist der Cortisol-Spiegel zu hoch, wirkt sich das wiederum negativ auf kognitive Funktionen aus. Hält sich der hohe Spiegel permanent, sterben Hirnzellen ab und die Bildung neuer Hirnzellen wird verhindert. Deswegen ist es wichtig, dass Hunde sich so lange es geht, bewegen – notfalls eben mit Hilfe der Physiotherapie. Und deswegen stimme ich dem Satz „Mens sana in corpore sano“ vollkommen zu.

Welche Auswirkungen hat das Lösen von körperlichen Blockaden Ihrer Erfahrung nach auf den Hund im Ganzen?

Sabine Zemla: Ein durchweg befreiendes Gefühl! Denn nach der Behandlung von Wirbel- und / oder Gelenkblockaden findet umgehend eine Schmerzlinderung statt, meist sogar eine Schmerzfreiheit. Der Hund zeigt danach in der Regel wieder ein normales Gangbild, sofern natürlich keine weiteren gesundheitlichen Probleme vorliegen. Die Lebensfreude steigt, Bewegungen sind wieder möglich, die er bis vor kurzem nicht ausführen konnte. Ich traue mich zu sagen, die Hunde sind danach erleichtert und fühlen sich rundherum einfach besser. Ob sie deswegen gleich glücklich sind, weiß ich natürlich nicht, aber zumindest scheint ihre Stimmung eine bessere zu sein.

Juvenal hat seinen Spruch ursprünglich ironisch gemeint – doch eine Studie, die die Sahlgrenska-Akademie in Göteburg an 1,2 Millionen Soldaten durchführte, bestätigte, dass körperliche Fitness und ein hoher Intelligenzquotient einhergehen. Haben Sie es auch schon einmal erlebt, dass ein Hund durch eine physiotherapeutische Behandlung ein als problematisch geltendes Verhalten aufgeben konnte?

Sabine Zemla: In der Tat, und nicht nur einmal. Eine Hündin etwa, die an der Leine aggressiv gegen Artgenossen war, hat durch die Lösung einer Blockade in der Halswirbelsäule ihr Verhaltensmuster total geändert. Sie hat den schmerzhaften Zug am Halsband immer mit den anderen Hunden verknüpft. Nach der Behandlung war der Schmerz weg und die Besitzerin glücklicherweise auch bereit, statt eines Halsbandes künftig ein Brustgeschirr zu verwenden. Seither sind Begegnungen an der Leine kein Problem mehr. Neben Hunden, die eine Aggression an den Tag legen, weil sie schlicht und ergreifend Schmerzen haben, hilft die Physiotherapie beziehungsweise eine Körpertherapie auch Hunden, die so gar nie zur Ruhe kommen und immer nur unter Strom stehen. Auch hier versuche ich quasi mit bloßen Händen ein Verhalten zu ändern.

Welche Hunde profitieren besonders von Physiotherapie?

Sabine Zemla: Alle! Aber natürlich ganz besonders Hunde, die ein gesundheitliches Problem haben. Gerade nach einer Operation gelingt es mit Physiotherapie, den Hund schneller zu rehabilitieren. Und wenn man dann noch den Besitzern Übungen mit an die Hand gibt, die sie zwischen den Terminen mit ihrem Hund absolvieren, dann genest er natürlich noch schneller. Für Graue Schnauzen eignen sich Massagen, die für mehr Durchblutung sorgen, oder eine Wärmetherapie bei Arthrosebeschwerden. Sport- und Diensthunde wiederum können mit physiotherapeutischen Übungen ihre müden Glieder wieder auf Vordermann bringen oder gar ihre Leistung erhöhen. Zudem kann durch Physiotherapie Präventivarbeit geleistet werden, um Verletzungsrisiken zu minimieren. Sie sehen: Da ist wirklich für jeden Hund etwas dabei.

Alle Hunde profitieren von der Physiotherapie.

Einen besonderen Augenmerk richten Sie auf ängstliche und aggressive Hunde. Welche Übungen helfen diesen Hunden am meisten?

Sabine Zemla: Bevor man mit der eigentlichen Physiotherapie beginnt, müssen ängstliche und aggressive Hunde erst mal runterkommen, um anzukommen. Hier steht nicht der Bewegungsapparat im Vordergrund, sondern die Psyche. Erst wenn der erhöhte Stresslevel sinkt, sie langsam Vertrauen zu mir aufbauen und mir erlauben, sie auch anzufassen, kann ich anfangen, mit ihnen zu arbeiten. In diesen Fällen schalte ich immer erst ein Anti-Stress-Programm vor. Das wiederum ist von Typ zu Typ verschieden und verläuft nie nach Schema F. Zumal ja auch die Ursachen nicht immer dieselben sind und es einen Unterschied macht, ob der Hund ein ängstliches oder aggressives Verhalten an den Tag legt. Den einen muss ich beruhigen, dem anderen Selbstvertrauen geben. In der Regel wende ich Körperarbeit, wie Muskel entspannende Massagen, Akupressur und sanfte Berührungen, und Bodenarbeit an, wie Slalom laufen, Cavaletti übersteigen, über verschiedene Untergründe gehen oder auf dem Wackelbrett balancieren.

Bodenarbeit: Hier mit dem Cavaletti

Wenn ich meinem Hund etwas Gutes tun möchte, so als Laie – was fällt Ihnen da spontan zu ein?

Sabine Zemla: Oh, da fällt mir spontan einiges ein. Ein orthopädisches Hundebett etwa ist bei Arthrose, Gelenkbeschwerden und Liegeschwielen sehr hilfreich. Es dient zudem der Schmerzlinderung und sorgt für einen regenerierenden Schlaf. Letzteres gilt natürlich auch für gesunde Hunde. Dann sollten Hunde die Möglichkeit bekommen, auf verschiedenem Untergrund zu gehen, also auf Wiese, Waldboden, Steinen, Asphalt, Baustämmen oder Sand. Das verkörpert auf ganz natürliche Weise und vollkommen kostenfrei ein Training zur Gang- und Haltungsschulung und ist gut für Koordination, Gleichgewichtssinn und Geschicklichkeit. Im Haus sollte darauf geachtet werden, dass die Böden nicht glatt sind – und zwar nicht erst dann, wenn der Hundesenior Schwierigkeiten mit dem Laufen und Aufstehen hat. Und statt den Hund ständig ins Auto und heraus springen zu lassen, sollte eine gelenkschonende Rampe verwendet werden.

Liebe Frau Zemla, vielen Dank für das Gespräch.

Sabine Zemla ist zertifizierte Hundephysiotherapeutin und Buchautorin. Sie praktiziert in Bayreuth, im Internet findet man sie unter  www.stabilehunde.de


Dieses Interview stammt aus der HundeWelt.

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