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Einsatz auf vier Pfoten! | Teil 35

Entgegen aller Gepflogenheiten hatte mein stellvertretender Chef ohne mein Beisein einen Hund für mich gekauft. Einen Deutsch-Belgischen Schäferhundmix, schon gut zwei Jahre alt. Heute sollte die Übergabe sein. Die verlief jedoch anders als erwartet.

Chicco flog mir im Zwinger förmlich entgegen.

Aber nicht aus Begeisterung, nein, es war pure Aggression. Er sprang mit Anlauf gegen das uns trennende Gitter, bellte mit kreischender Stimme, Speichelfetzen spritzten in meine Richtung, ich sah hellbraune, fast gelbe Augen und sämtliche Zähne, die er zu bieten hatte.

Unwillkürlich trat ich einen Schritt zurück. Das sollte mein neuer Diensthund werden?

Ich versuchte, ihn mit sanfter Stimme zu beruhigen, bot ihm Leckerlis an, nichts half. Chicco sprang förmlich im Dreieck, aber nicht horizontal, sondern vertikal. Er katapultierte sich gegen die hölzerne Rückwand des Zwingers, machte einen Salto rückwärts, landete wieder auf seinen Pfoten, um das Ganze dann einige Male zu wiederholen, ehe er erneut versuchte, mich zu attackieren.

Was hatte man diesem armen Kerl nur angetan?

Von seiner Vorgeschichte war nichts bekannt. Einem solch verhaltensgestörten, ja durchgeknallten Hund war ich noch nie begegnet. Ich fragte mich aber auch, was Peter, meinen Vize-Chef, dazu getrieben hat, Chicco als möglichen Diensthund anzukaufen.

Aufgewühlt, aber auch frustriert ging ich zurück ins angrenzende Dienstgebäude. Ich wusste, dass sich manche Hunde im Zwinger völlig anders verhielten als außerhalb. Doch wer würde es wagen, dieses Ungeheuer daraus zu befreien? Mir fiel niemand ein. Außerdem war es Freitag Nachmittag, die Büros waren leer, auch die Ausbilder zuhause. Nur ein Kollege war im Dienst, aber der war auf Streife.

Irgendwie musste ich Zugang zu Chicco finden.

Also bereitete ich eine Schüssel mit Futter vor, nahm einen Wasserkanister und einen Stuhl mit und setzte mich vor den Zwinger. Ich füllte die schon geleerte Wasserschüssel durch das Gitter hindurch auf, das Futter stellte ich neben mich, so, dass er es sehen und vor allem riechen konnte. Doch der Hund ließ sich davon nicht ablenken und randalierte weiter.

Ich blieb ruhig sitzen, vermied jeden Blickkontakt mit ihm, schaute entweder auf den Boden oder in die Luft – und wartete. Über kurz oder lang musste seine Kondition auch einmal nachlassen. Es dauerte lange. Nach mehr als einer halben Stunde, die mir unendlich erschien, blieb er plötzlich völlig erschöpft und hektisch hechelnd stehen. „Na?“, fragte ich mit ruhiger Stimme, „Hast du genug?“

Hatte er nicht.

Als Antwort brüllte mich Chicco wieder förmlich an und biss in das Gitter zwischen uns. Es gelang mir, nicht zu reagieren und das Prozedere von vorher fortzusetzen. Ruhig sitzen, wegschauen, ignorieren. Diesmal vergingen nur wenige Minuten, bis Chicco aufgab. Jetzt legte er sich sogar hin, allerdings ohne mich aus den Augen zu lassen.

Langsam, ganz langsam nahm ich das Futter, öffnete die Klappe neben der Eingangstür, stellte das Gefäß aus Edelstahl in die dafür vorgesehene Halterung, drehte sie in den Innenraum und verschloss die Luke wieder. Chicco beobachtete mich, aber er blieb liegen. „Komm“, sagte ich leise, „hier hast du was Feines.“ Ich stand auf und ging zurück zur Dienststelle. Als ich die Tür erreichte, hörte ich die Futterschüssel klappern. Er fraß, offenbar sehr hektisch, wie es eben seinem Wesen entsprach. Ein wenig erleichtert über den kleinen Erfolg, den ich erreicht hatte, fuhr ich nach Hause.

Sehr früh am nächsten Morgen machte ich mich wieder auf den Weg nach Nürnberg.

Die Nacht war ohnehin unruhig gewesen, ich hatte Albträume gehabt, an die ich mich lieber nicht erinnern wollte. In der Dienststelle traf ich Norbert, der mit Schatten unter den Augen seinen letzten Einsatzbericht aus der Nachtschicht in den Computer hackte.

„Guten Morgen“, begrüßte er mich und kam gleich zum Thema. „Ich hab’ heute Nacht mal nach deinem neuen Hund gesehen.“

„Und?“ Eigentlich kannte ich die Antwort schon.

„Ich dachte, der frisst mich! Der ist ja der absolute Psycho!“

Ich konnte ihm nicht widersprechen. Also nickte ich nur, griff mir wieder einen Stuhl und ging zum Seitenausgang, der in die Zwingeranlage führte.

„Viel Spaß mit …“, hörte ich meinen Kollegen mir noch hinterher rufen, der Rest ging im Getöse aus Chiccos Zwinger unter, als er mich durch die Tür kommen sah. Ich platzierte den Stuhl an dieselbe Stelle wie am Vortag, setzte mich und beobachtete im Augenwinkel, wie Chicco seine Saltos vollführte. Was für ein Wahnsinn, dachte ich, und ich spürte sowohl meinen Optimismus als auch meine Geduld schwinden. Wozu der Aufwand, zumal ich diesen verkorksten Hund doch sowieso nur bis zu meiner Abberufung zur UN-Mission in Bosnien behalten kann?

Ein weiterer Speichelfaden, der auf meinem Ärmel landete, ließ meinen Geduldsfaden reißen.

Ich sprang auf, der Stuhl hinter mir kippte um, und ich brüllte Chicco an: „Hör auf damit!“ Ich tat also genau das, wovon ich jedem anderen abgeraten hätte. Und war erstaunt über die Wirkung. Plötzlich herrschte Ruhe im Zwinger. Chicco stand hechelnd da und wich sogar meinem Blick aus.

Ich nahm eine der Kaustangen, die ich die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte, und steckte sie durch das Gitter. „Komm, du Spinner, ich hab’ was für dich“, lockte ich ihn. Und ich konnte es kaum fassen, gerade noch vor Wut rasend näherte er sich nun langsam, nahm das Leckerli und zog sich in die Ecke neben der Hundehütte zurück. Dort ließ er die getrocknete Rinderhaut zwar fallen, aber er blieb ruhig, wirkte fast ratlos auf mich. Mein Ausraster schien ihn schwer beeindruckt zu haben, beinahe tat er mir leid. Ich bot ihm eine weitere Kaustange an, er holte sie sich ab, legte sich nun zu der anderen und begann zu kauen.

Den Rest des Vormittags verbrachte ich damit, Chicco nach und nach zu füttern und mit ihm zu reden. Er entspannte sich zusehends, und ich mich mit ihm. Noch wagte ich es nicht, ihn aus dem Zwinger zu nehmen. Aber als ich mich gegen Mittag aufmachte, um nach Hause zu fahren, glaubte ich, ihn kurz mit dem Schwanz wedeln zu sehen.

Hier erfährst du, wie es weitergeht.

Elmar Heer arbeitet seit 40 Jahren als Polizeibeamter. 1990 wechselte er vom Streifendienst zur Diensthundestaffel Mittelfranken. Schon früh entdeckte er seine zweite Leidenschaft: das Schreiben. Mit seinem Buch „Partner auf Leben und Tod“, erschienen bei Droemer-Knaur, gewährt der Autor dem Leser einen Einblick in Leben und Arbeit eines Polizeihundeführers. Er erzählt über seine Aufgaben als Hundeführer, die umfangreiche Ausbildung von Polizeihunden und über spannende, heitere und auch tragische Einsätze, die er mit seinen Schäferhunden Gundo, Bux, Carina und Sam erlebte.



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