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Wie kommt eine Psychiaterin zum Hund?

Daniela Pörtl ist Ärztin im Fachbereich Neurologie und Psychiaterin. Sie leitet die psychiatrische Ambulanz einer Klinik. Seit Jahren beschäftigt sie sich mit dem, was die Besonderheiten der Beziehung von Mensch und Hund auf neurobiologischer Ebene ausmachen. Hierzu hat sie wissenschaftliche Artikel und – zusammen mit HundeWelt-Autor Christoph Jung, der auch das Interview führt – das Buch „Tierisch beste Freunde: Mensch und Hund – von Streicheln, Stress und Oxytocin“ veröffentlicht.

Zunächst einmal die Frage, wie man als Psychiaterin zum Thema Hund kommt?

Daniela Pörtl: Auf dem ersten Blick erscheint es tatsächlich erstaunlich, dass ich mich als Psychiaterin mit Wölfen und Hunden befasse. Sollte ich mich doch mit der seelischen Gesundheit von Menschen kümmern. Aber soweit liegen Fühlen und Denken von Wolf, Hund und Mensch gar nicht auseinander. Ich persönlich schätze die wohltuende, innige und die Seele schmeichelnde Gemeinschaft mit meinen Hunden sehr. Und wahrscheinlich können die meisten Hundebesitzer mir hier aus eigenem Erleben zustimmen.

So ist zum Beispiel die hundegestützte Psychotherapie seit vielen Jahren mit guten Erfolgen in Kliniken und Praxen etabliert. Hunde sind dabei viel mehr als ein Hilfsmittel, sie bringen ihre eigene Persönlichkeit ein, reagieren auf und spiegeln den Patienten, schaffen es durch ihre körpersprachliche Kontaktaufnahme, das erste „Eis zu brechen“ und Bindung anzubieten. Und genau das, die Bindung von Mensch und Hund zueinander, ist die Schnittstelle zwischen Psychiatrie und Kynologie.

Wie funktioniert denn so eine Schnittstelle zwischen Psychiatrie und Kynologie?

Daniela Pörtl: Die Gehirne der hochsozialen Säugetiere Mensch, Hund und Wolf sind auf dem Boden der evolutionären Kontinuität in vielen Bereichen, besonders den emotionalen Funktionszentren, gleich aufgebaut. Daher wissen wir heute, dass zwischenartlich echte emotionale Bindung aufgebaut werden kann. Ebenso wissen wir, dass Bindung über Hirnhormone vermittelt wird. Bestimmte Hirnhormone, wie das Stresshormon Cortisol, können sogar direkt mit den Genen kommunizieren. Wir nennen das epigenetische Mechanismen.

Die Epigenetik kann im Gehirn sogar Verschaltung von Nervenzellen beeinflussen und so die Hirnstruktur verändern. Dies ist die neurobiologische Basis sowohl für die positiven Wirkungen des Hundes auf den Menschen als auch für die Domestikation des Wolfes zum Hund. Und selbst die Entwicklung des modernen Menschen, der seit der Steinzeit in immer größeren Gruppen lebte, ist im Sinne einer Selbstdomestikation durch diese epigenetischen Veränderungen des Gehirns beeinflusst.

Das Wort Epigenetik hört man in letzter Zeit immer wieder mal. Worum geht es dabei überhaupt?

Daniela Pörtl: Ja, heute wissen wir, dass nicht nur unsere Gene und die Umweltbedingungen unser Verhalten beeinflussen, sondern dass unser Verhalten und die Umwelt auch die Genaktivität beeinflussen. An den Genen gibt es „Schalter“. An diese Schaltstellen können sich bestimmte Molekülgruppen anlagern und so die Gene an- oder abschalten. Das nennen wir die Epigenetik, da diese Mechanismen sozusagen „auf“ den Genen wirken ohne dabei die Gene selbst zu verändern. Je nachdem, ob die Gene an- oder abgeschaltet sind wird so die Menge der produzierter Hirnhormone und anderer Proteine (Eiweiße) geregelt.

Daniela Pörtl auf einem Musher-Schlitten.

Die Gene werden also durch Umwelt und Verhalten in ihrer Funktion und Wirkung verändert. Spielen sie damit auch eine aktive Rolle in der Evolution und unserem Sozialverhalten?

Daniela Pörtl: Ja. Wir wissen heute, dass Evolution nicht nur auf Mutationen, also zufälligen Veränderungen im Genmaterial beruht. Die meisten Mutationen haben keine Auswirkungen. Viele machen krank und einige wenige führen zu einer besseren Anpassung an die Umwelt, was aber meist viele tausend Jahre benötigt. Aber auch Umweltfaktoren wie Stress, Nahrung, Umweltgifte und selbst das Sozialverhalten beeinflussen Genschalter. Diese Schalter können kurzfristige Anpassungen des Individuums an die Umwelt bewirken. Positive Bindung zu Bezugspersonen erhöht die Dichte von Schaltern, die die Stressreaktion einbremsen. Kümmern sich Mäusemütter gut um ihren Nachwuchs, lecken und streicheln ihn, dann wird der Nachwuchs zu wenig ängstlichen und wenig gestressten Erwachsenen heranwachsen.

Das gilt nicht nur für Mäuse. Gut versorgte Welpen werden als ausgewachsene Tiere wieder zu guten Elterntieren, die ihren Nachwuchs gut versorgen. Der hieraus resultierende verminderte chronische Stress verbessert unsere Gesundheit. Das Immunsystem wird gestärkt, Fruchtbarkeit und Stoffwechsel ebenfalls. Vor allem aber verändert sich die Hirnfunktion. Lernen und Gedächtnis werden gestärkt, Gefühle können besser gesteuert werden. So gelingt ein besseres soziales Miteinander. Diese Effekte können epigenetisch sogar auf die nächste Generation vererbt werden.

Welche Rolle spielt Epigenetik beim Hund?

Daniela Pörtl: Hunde haben sich während der Domestikation in die menschliche Gesellschaft integriert und gelernt, den Menschen als ihren engsten Bindungspartner anzuerkennen. Die positive Bindung zwischen Steinzeitmensch und zahmer werdenden Wölfen ermöglichte dies. Die bereits beschriebenen epigenetischen Veränderungen senkten Angst und Aggression, stärkten Vertrauen und ließen den Konkurrenten Wolf zum Partner Hund werden. Heute noch wirken diese epigenetischen Mechanismen in jeder Hund-Mensch Bindung. Gelingt es beiden, eine sichere emotionale Beziehung aufzubauen, dann führen die epigenetischen Mechanismen zu einer verminderten chronischen Stressaktivität bei beiden.

Gesundheit, körperliches und vor allem seelisches Wohlbefinden steigen am ebenso wie sich die Lernfähigkeit verbessert. Andersherum können schlechte Bedingungen in der menschlichen Umwelt sowie unpassendes menschliches Verhalten per Epigenetik Angst und Aggression im Hund verstärken, die Gesundheit und die Lernfähigkeit verschlechtern – natürlich immer auf dem Boden der gegebenen Erbanlagen.

Was sind denn die negativen und positiven Faktoren, die solche Auswirkungen haben können?

Daniela Pörtl: Als mögliche negative Einflussfaktoren sind hier die Aufzucht des Welpen sowie seine Adoption in die neue menschliche Familie zu nennen. Das findet in einem epigenetisch sensiblen Fenster statt und kann enormen Stressreiz für den Welpen bedeuten. Welpen etwa, die von gestressten Müttern in Puppy Mills oder bei Vermehrern unter miesen Bedingungen aufgezogen und viel zu früh von der Mutterhündin getrennt werden, sind epigenetisch schon auf eine hoch aktivierte Stressachse programmiert. D.h. sie neigen zu Flucht- und Abwehrverhalten, Angst oder Aggression.

Die Trennung von Mutter und Geschwistern und der vertrauten Umgebung hin ins Fremde sind alleine schon Stressor. Daher sollte die Adoption gut vorbereitet sein. Der Welpe sollte bereits zuvor seinen neuen Besitzer kennen gelernt haben und ihn nicht zum ersten Mal auf einem Autobahnrasthof bei der Übergabe treffen. Auch sollte es in dieser Phase ruhig sein, mit Körperkontakt und bei Bedarf auch Rückzugsmöglichkeit für den Welpen. Welpenpartys und Welpenspielgruppen kurz nach einer Adoption sind als Stressoren abzulehnen und sollten erst nach Vertrauensaufbau erfolgen.

Ebenso ist fehlende Sicherheit in der Bindung zum Menschen ein Stressor. Unsere Hunde wollen unsere Gesellschaft, unsere Bindung, aber auch unsere Führung. Denn wir kennen uns besser aus, in unserer menschlichen Welt, sind somit diejenigen, die dem Hund Sicherheit durch Konsequenz geben können. Sicherheit heißt weniger Stress und damit auch epigenetische Programmierung hin zu prosozialem, entspannten und lernbegierigen Verhalten bei verbesserter körperlicher Gesundheit.

Liebe Frau Pörtl, vielen Dank für das Gespräch.


Daniela Pörtl ist Ärztin im Fachbereich Neurologie und Psychiaterin. Sie leitet die psychiatrische Ambulanz einer Klinik. Seit Jahren beschäftigt sie sich mit dem, was die Besonderheiten der Beziehung von Mensch und Hund auf neurobiologischer Ebene ausmachen.

Dieses Interview stammt aus der HundeWelt.

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