> HundeInterviewMensch & Tier

Und plötzlich ist alles ganz leicht …

Radana Kuny ist keine gewöhnliche Hundetherapeutin – sie vermittelt. Zwischen der Welt des Hundes und der des Menschen. „Ich bin eine Art Dolmetscherin“, sagt sie, die Frau mit der sanften Stimme. Ganz wichtig ist ihr, dass niemand Schuld hat. „Jeder Halter liebt seinen Hund, es ist immer Liebe vorhanden. Manchmal redet man nur einfach aneinander vorbei.“  Ihrer Erfahrung nach liegt der Schlüssel in einer harmonischen Beziehung genau darin. Wenn der Mensch erst das Verhalten seines Hundes versteht, so verhält er sich instinktiv danach genau richtig und es gibt keine Probleme mehr.

Liebe Frau Kuny, was machen Sie eigentlich in erster Linie? Erziehen Sie Hunde oder begleiten Sie Menschen?

Radana Kuny: Im Grunde genommen ist es ja so, dass ein Hund nicht bewusst erzogen wird, ein Hund spiegelt uns. Auch ein Kind erziehe ich nicht durch das, was ich sage, sondern durch das, was ich vorlebe. Gefühle sind hochgradig ansteckbar. Wir sehnen uns nach guten Gefühlen. Wenn ich inneren Frieden in mir habe, dann geht es gar nicht anders, dass sich ein anderes Lebewesen neben mir wohlfühlen und entspannen kann. Menschen sollen in ihre innere Balance kommen. Dazu gehört, dass sie sich stärker spüren. Das hilft dabei, für den Hund eindeutig zu sein.

Was halten Sie von Regeln?

Radana Kuny: Regeln sind wichtig, sie sind da, um uns zu schützen. Regeln geben uns Halt und Sicherheit. Aber nicht jede Regel ist sinnvoll. Jedes Lebewesen hat so eine Art Fairness-Barometer – der Hund auch – und so bewertet sie auch ein jeder Hund. Meiner Erfahrung nach ist es so, dass Hunde Regeln gerne akzeptieren, wenn er schätzen lernt, dass sie ihm Halt und Sicherheit geben. Dann kann er sich nämlich entspannen. Und genau dazu ist der Hund da. Er soll glücklich leben – alles andere im Leben regel ich.

Welche Regeln sind überflüssig?

Radana Kuny: Meiner Meinung nach ist die Regel, dass meine Hunde sich setzen müssen, wenn z.B. ein Radfahrer vorbeikommt für die Hunde unverständlich. Ich handhabe es so, dass meine Hunde an meine Seite kommen, wenn sich jemand Fremdes nähert. Und zwar an die abgewandte Seite. Setzen müssen sie sich nicht, darin sehe ich keinen Sinn. 

Viele Menschen meinen, sie würden ihren Hund mit der Leine begrenzen, einengen. Sie haben eine vollkommen andere Sichtweise auf die Leine.

Radana Kuny: Die Leine ist die wunderbarste und schönste Verbindung. Es ist so, als würde ich meinen Hund an der Hand halten. Wenn der Hund eh schon an meiner Seite ist, verändert sich ja nichts für ihn. Und an meine Seite gehört er ja auch hin. Dann gehen wir gemeinsam spazieren und genießen unser Zusammensein. Die beste Leinenübung, wenn man mehrere Hunde hat, geht folgendermaßen: Ich nehme einen an die Leine und bin mit ihm aktiv. Das heißt, ich  schenke ihm Aufmerksamkeit, nehme ihn ganz bewusst wahr – die anderen Hunde ignoriere ich. Dann wollen die anderen auch und die Leine wird begehrt. In den Köpfen der Menschen ist das Problem. Sie denken, der arme Hund darf nie frei sein. Ich denke – er muss gar nicht weg von mir, er darf bei mir bleiben. Unter meinem Schutz.

Sie haben ja ein ganzes Rudel. Wie sieht denn bei Ihnen ein Spaziergang aus?

Radana Kuny: Meine Hunde laufen vorwiegend frei, sie sind nicht dauerhaft an meiner Seite, sondern vielleicht 80-90% der Zeit. Sie gehen auch mal kurz weg, lösen sich – und wenn da ein Hase oder ein Reh ist, und sie sehen es vor mir, dann rennen sie auch ein paar Meter hinter her. Dann drehen sie wieder um, denn die Bindung an mich ist stärker. Hunde, die extrem jagen oder schon Beute gemacht haben, werden an der Schleppleine trainiert und vorwiegend geführt. Denn der Schutz anderer Tiere steht da im Vordergrund.

Wer kommt zu Ihnen?

Radana Kuny: Jeder, es reicht von der richtigen Auswahl des Welpen bis hin zu austherapierten Hunden. Die kommen oft zu uns. Dabei stelle ich immer fest: der Hund ist oft nicht dressierbar, aber nicht unerziehbar. Das sind zwei ganz verschiedene Sachen.

Wo sehen Sie denn den Unterschied zwischen Dressur und Erziehung?

Radana Kuny: Nehmen wir zum Beispiel Hunde, die nicht leinenführig sind. Ein Verhalten, das oft deutlich nach der Pubertät heraus sticht. Die Halter haben im ersten Lebensjahr des Welpen oft sehr viel Wert auf  Dressur gelegt, also auf dem Befolgen von Kommandos wie Sitz, Platz und Fuß. Dann kommt die Pubertät und alles, was der Hund unwichtig findet, fliegt raus. Und das ist Sitz, Platz und Fuß – irgendwelche Kommandos, die im Hund nicht angelegt sind. Sie finden keine Hunderudel, bei dem die Alphatiere ihre Rudelmitglieder derart erziehen. Viel wichtiger ist, dass der Hund freiwillig folgt. Folgsamkeit ist ein Geschenk des Hundes an mich, weil er mit meiner Nähe Entspannung verbindet. Und das erreicht man nicht durch Dressur, sondern durch Erziehung. Der Hund muss eigentlich nur folgendes wissen: Wer trifft die Entscheidung? Was ist meine Aufgabe. Und die Antwort ist: Es ist meine Aufgabe, auf dich aufzupassen und die Entscheidungen zu treffen. Es ist hilfreich, wenn der Mensch die Macht dazu in sich entdeckt.

Wie findet man diese Macht in sich?

Radana Kuny: Ich vergleiche Führungsenergie gerne mit einer Tischplatte, die auf vier massiven Tischbeinen ruht. Diese Tischbeine sind die Grundlagen. Steht der Tisch stabil, dann kann ich ihn dekorieren, Geschirr draufpacken, ihn belasten. Das wäre dann so etwas wie Agility oder ähnliches. 

Und woraus bestehen die vier Tischbeine?

Radana Kuny: Aus Aufmerksamkeit, Raum, Lob und Korrektur.

Fangen wir bei der Aufmerksamkeit an.

Radana Kuny: Ja, das macht Sinn. Aufmerksamkeit zeigen bedeutet, dass man den Hund dann lobt, wenn er ruhiges Verhalten zeigt. Man lobt also gezielt dann, wenn der Hund keine Probleme macht. Zeigt der Hund ein ungestümes Verhalten, springt er beispielsweise an mir hoch, dann schicke ich ihn weg. Gerade wenn der Hund bellend an der Leine hängt, und der Mensch schimpft – dann denkt der Hund: „Super, der macht ja mit! Außerdem hält er sich auch noch an mir fest!“ Das ist also eine Herangehensweise, die grundsätzlich nicht sehr erfolgversprechend ist.

Sie meinen also, dass wir dem Hund erst dann Aufmerksamkeit schenken, wenn es nicht gut klappt. Dabei sehnt sich ja jeder Hund nach der Aufmerksamkeit seines Halters…

Radana Kuny: Ganz genau. Wenn die Leute zu mir kommen und mir sagen, was nicht so gut ist, dann frage ich zunächst einmal, was denn gut ist. Und dann leuchten die Augen, die Menschen entspannen sich und der Blickwinkel ändert sich. Das hilft in der Regel ganz außerordentlich.

Was bedeutet das zweite Tischbein, der Raum?

Radana Kuny: Das ist der individuelle Bereich und es bedeutet, dass die Hunde lernen, fremde Menschen und fremde Hunde zu respektieren. Man darf nicht einfach rein rennen. Respekt ist nicht angeboren, es wird gelernt und muss gelehrt werden. Die meisten lassen den jungen Hund vor sich her rennen – damit gewähren sie ihm zu viel Freiraum. Ich lass ja mein kleines Kind auch nicht vor mir her rennen, wie es lustig ist. Erst wenn ich bei einem Kind merke, dass es mit Freiheit umgehen kann, lass ich es. Das gleiche gilt für den Hund.

Und wie loben Sie?

Radana Kuny: Ich persönlich bin ein absoluter Gegner der Kopfstimme. Dieses Gequietsche ist nicht meine Welt.   Um einen Hund zu erziehen, benutze ich exakt drei Laute: Ich schnalze mit der Zunge, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen, ein weiches, zufriedenes hmmmm (als ob ich was Leckeres genieße), das ist mein Wohlfühlgeräusch und ein scharfes Abbruchsignal HM! Mehr braucht es nicht. Der Hund ist so erleichtert, wenn er keinen Sprachsalat bekommt, sondern nur diese drei Laute. Es erleichtert sein Leben, es entspannt ihn, es sorgt für Ruhe.

Sie unterscheiden zwischen aktivem und passivem Lob.

Radana Kuny: Ja. Aktives Lob setze ich in der Ausbildung ein. Es signalisiert dem Hund, hey – jetzt bringen wir dir etwas bei. Wir müssen einen Laut, den der Hund nicht kennt, mit einem Verhalten verbinden. Er lernt also: „Immer wenn ich diesen Laut höre, wird von mir genau dieses Verhalten erwartet“. Das ist nicht in der Natur der Hunde. Deswegen muss es operant konditioniert werden – übers Futter. Immer wenn er das Richtige macht, erhält er ein Leckerli. Wir arbeiten schließlich auch nicht umsonst. Für den Hund ist sein Verhalten nicht einsichtig, wahrscheinlich denkt er sich: „Naja, ist zwar alles Schwachsinn, aber immerhin springt was für mich dabei heraus.“
Passives Lob dagegen ist Bestandteil der Erziehung und es findet immer statt. Der Hund beobachtet mich. Er sieht zum Beispiel, wie ich im Kontakt zu Fremden bin. Er merkt, wenn sein Mensch total entspannt bleibt – und kann dann ebenfalls loslassen. Passives Lob ist ein Gefühl, welches ich als Mensch ausstrahle. Ich fühle mich wohl, bin entspannt, lächele und vermittele dadurch meinen Hunden das Gefühl, es ist in Ordnung.  Aber Achtung, wenn der  Hund ein Fehlverhalten zeigt, er springt z.B. an einem Menschen hoch und ich stehe entspannt lächelnd daneben ohne sofort korrigierend einzugreifen, lobe ich ihn indirekt auch! Wie soll er auch von alleine auf die Idee kommen, dass dieses Verhalten nicht erwünscht ist, wenn ich es ihm nicht sofort zeige?

Das klingt alles logisch. Aber Sie haben auch von Korrektur gesprochen und ich bin gespannt, was Sie darunter verstehen…

Radana Kuny: Macht der Hund etwas, was ich nicht möchte, greife ich mit einer Korrektur ein. Ich erkläre das am Besten an einem Beispiel. Nagt mein Hund an einem Knochen, dann ist es ja gut. Ich sage nichts. Nagt er aber an meinem Schuh, dann kommt die innere Haltung ins Spiel. Sind wir innerlich weich, sagen wir aus Hundesicht eigentlich immer ja. Wenn wir korrigieren, dann machen wir das Gegenteil – wir machen uns groß und erstarren so ein wenig, wie ein Ausrufezeichen. Die Korrektur muss dem Hund angepasst sein, sensible Hunde brauchen nur eine Nuance, robuste Hunde brauchen deutlichere Signale. Es ist immer wieder erstaunlich, wie sehr Hunde auf die Veränderung der Körperspannung reagieren und wie sehr sie die Menschen anhimmeln, die ihnen auf diese Art und Weise verständlich machen, was sie dürfen und was nicht.

Zum Weiterlesen: Die Shanti-Methode von Radana Kuny, erschienen im Spirit Rainbow-Verlag.

Wie hat sich Ihre Philosophie entwickelt? Wo war der Anfang, wie verlief der Weg?

Radana Kuny: Ich hatte von klein auf eine ganz besondere Beziehung zu Hunden. Ich hatte eine sehr turbulente Kindheit und bei den Hunden habe ich mich am wohlsten und am sichersten gefühlt. Meine Mutter hat das viele Nerven gekostet, denn ich bin schon als kleines Kind zu jedem Kettenhund in den Zwinger gekrochen. Hunde, mit denen ich heute arbeite und die durchaus auf ein Kind losgehen würden. Mir ist aber nie etwas passiert. Das hat sich also alles von ganz alleine entwickelt. Ich hatte auch nie geplant, mit Hunden zu arbeiten. Das geschah, weil ich schwer erkrankt war und dadurch berufsunfähig wurde. Ich habe überlegt, was ich denn machen könnte. Und da fiel mir auf, dass ich immer wieder angesprochen wurde, wie ich das mit meinen Hunden nur machen würde. Meine ersten Hunde kannten kein einziges Kommando, ich habe nie mit Leckerli gearbeitet. Das waren meine Freunde,  die  ich beschützt habe, die an meiner Seite sind. Und sie folgten mir, weil sie das so wollten. Da war der Anfang. Ich vermittele den Menschen, was sie machen müssen, damit der Hund ihnen folgt. Was braucht der Hund von mir, damit er sich sicher, geborgen und glücklich an meiner Seite fühlt. Das ist es eigentlich. Ich sehe mich in der Bringpflicht dem Hund gegenüber.

Haben Sie auch Erfahrungen mit Hunden aus Tötungsstationen?

Radana Kuny: Ja. Das ist immer eine Herausforderung. Oft erwarten Menschen Dankbarkeit von dem Hund, den sie gerettet haben. Das kann dann später durchaus kippen, in eine Art Verzweiflung. Hier kann ich den Menschen nur erklären, was in den Tieren vorgeht. Wenn da überhaupt keine Prägung ist, dann ist da nichts, woran der Hund sich festhalten kann. Wenn sie das verstanden haben, erweitert sich das Verständnis und problematische Situationen werden von vorne herein anders angegangen. Oft erlebe ich, dass die Akzeptanz, ein Annehmen von dem was da ist und das Loslassen von falschen Erwartungen Unglaubliches bewirken kann. Das beste Beispiel ist die Deutsche Dogge Jimmy (Hund mit schweren Deprivationsstörungen) meiner Mitarbeiterin Fine, die sich wunderbar entwickelt hat. Alleine die Liebe, Disziplin, entspannte Arbeit und das Verständnis von Fine und die Hilfe meiner erzieherischen Hunde haben Jimmy geholfen die Welt mit positiven Augen zu sehen.

Und Ihr wichtigster Rat für unsere Leser?

Radana Kuny: Erzählt mir, was toll an dem Hund ist – geht nicht auf das Problem zu, sondern auf die Lösung. Die Menschen wollen mir immer erklären, was falsch läuft. Das sind alles nur Symptome, weil das Fundament nicht stimmt. Erklärt mir doch erst einmal, was gut ist. Dann sieht man förmlich, wie die Auge leuchten, wie der Mensch sich entspannt. Und dann ist er eigentlich genau da, wo er für seinen Hund sein soll. Meiner Erfahrung nach, bekommt der Mensch nicht den Hund, den er will, sondern den Hund, den er braucht. Die Hunde, die mich am meisten nerven, das sind die, die mich am meisten gefördert haben. Diesen Hunden habe ich es zu verdanken, dass ich in meiner Kraft bin. 

Mein Rat ist: Kommt ins Vertrauen, vertraut eurer Intuition, dann fühlt sich alles plötzlich ganz leicht an.

Liebe Frau Kuny, vielen Dank für das ausführliche Gespräch.


Radana Kuny ist keine gewöhnliche Hundetherapeutin – sie vermittelt. Zwischen der Welt des Hundes und der des Menschen. „Ich bin eine Art Dolmetscherin“, sagt sie, die Frau mit der sanften Stimme. Ganz wichtig ist ihr, dass niemand Schuld hat.

Ihr neues Buch “Follow me!” ist im Minerva Verlag erschienen.

Dieses Interview stammt aus der HundeWelt.

Teilen
×