> HundeForschungGesundheitInterview

Heilung durch den Hund

Wusstest du, dass die US-Armee den Einsatz von Hunden für die seelische Gesundheit ihrer Soldaten systematisch erforscht? Denn Hunde können Menschen helfen, die Welt zu verkraften. Dr. med. Andreas Sobottka ist Psychoanalytiker und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Seit 2012 praktiziert er in seiner eigenen Praxis in Köln. Dass Hunde heilen können, hat er in seiner Arbeit mit psychisch kranken Menschen erlebt. Und was die Heldensage von Odysseus damit zu tun hat? Das erfährst du im nachfolgenden Interview.

Dr. Sobottka – wie kamen Sie auf den Hund?

Dr. med. Andreas Sobottka: Das waren zunächst ganz persönliche Erfahrungen. Ich wollte mein ganzes Leben selbst einen Hund haben. Nun war ich leitender Oberarzt in einem Krankenhaus und ich wusste, der Hund musste tagsüber versorgt sein. Also habe ich mir eine Hundetagesstätte gesucht, bevor ich mir den Hund anschaffte. Und da brachte ich meinen Hund dann auch immer hin und er wurde gut betreut.

Und dann gab es dort Welpen. Mit denen habe ich gespielt, bis sie auf meiner Hand einschliefen – und dann sprach mich jemand an und meinte „Hey, du sitzt da aber denkbar unbequem, eigentlich müsste dir alles weh tun“. Und ich war ganz selig und habe das nicht gespürt! Aber es war so – mein Rücken schmerzte, die Beine taten weh, aber ich habe es nicht gemerkt. Da hatte ich ihn, diesen Gedanken.

Wenn diese Hunde mich davon ablenken können, dass ich einen Leidensdruck nicht spüre – dann würde das bedeuten, dass Hunde vielleicht tatsächlich Menschen dazu bringen können, Leidensdruck nicht zu fühlen.

Jeder, der einen Welpen hatte, wird das verstehen können. Das war also der Moment der Erkenntnis. Wie sind Sie als Wissenschaftler dann vorgegangen?

Dr. med. Andreas Sobottka: Angefangen habe ich klassisch mit einer gründlichen Recherche. Und schnell waren wir mehrere, die sich mit dem Thema auseinandersetzen wollten – was wir herausfanden, war unglaublich.

Hippokrates war im Grunde der erste Mensch, der die Medizin zur Wissenschaft gemacht hat. Vorher war Medizin Religion, Kult, Mystik. Hippokrates hingegen hatte eine naturwissenschaftliche und methodische Herangehensweise entwickelt und er hat im Grunde das erste Krankenhaus der Welt gegründet, im Asklepios-Tempel auf Kos. Und dort spielten Hunde eine große Rolle. Kranke Menschen wurden dort tatsächlich bei ihrem Genesungsprozess von Hunden begleitet. 

Der Tempel selbst ist leider nicht mehr vorhanden, aber Archäologen fanden Krankenakten, die in Stein gehauen wurden. In diesem Tempel wurden unterschiedliche Krankheiten behandelt, körperliche wie seelische. Diese Menschen wurden behandelt, indem man ihnen eine Deutung für ihre Krankheit gab und sie dann mit berauschenden Tränken in einen Schlaf versetzte, der zur Gesundung führen sollte.

Und damit die Menschen nicht alleine waren, wurden sie während dieses Schlafes von Hunden begleitet. Hunde fühlen sich ein und können auf diese Weise in Kontakt mit dem Menschen sein. Ein Hund kann den Menschen bedingungslos annehmen und auf diese Weise einem seelisch kranken Menschen auf eine für uns vielleicht nicht direkt zugängliche, aber unbestrittene Weise einen Beistand anbieten. Sehr subtil, sehr zart, und vielleicht gerade deswegen so ungeheuer wirksam.

Das würde bedeuten, dass Hunde und Mediziner traditionell immer eng miteinander verbunden waren?

Dr. med. Andreas Sobottka: Die Heilkunde ist eng verknüpft mit den Hunden. Schon 4500 Jahre vor Christus gab es eine Göttin der Heilkunde, die immer mit Hund dargestellt wurde. Übrigens auch Freud hatte seine Hunde immer im Raum und hat das Verhalten der Hunde in seine Diagnose und Therapie mit einbezogen. Wenn der Hund bei einem Patienten ängstlich reagierte, hatte das etwas zu bedeuten. Oder wenn der Hund bei einem Patienten den Raum verlässt.

Im ersten Weltkrieg wurden Hunde eingesetzt, um ohnmächtige Soldaten von toten Soldaten schnell zu unterscheiden. Aber sie waren vor allen Dingen auch ein emotionaler Anker, damit die Soldaten nicht verrückt wurden, bei dem, was sie da gesehen haben. Das US-Militär hat das früh erkannt und systematisch erforscht. Was musste ein Hund haben, um seine Menschen optimal stärken zu können? Das US-Militär hat so eine vielschichtige, differenzierter Sicht auf die Hunde entwickelt und so bemerkenswerte Forschungsergebnisse hervorgebracht.

Heutzutage gibt es eine Reihe an Initiativen, die zum Beispiel Hundebesuche im Altenheim organisieren…

Dr. med. Andreas Sobottka: Das stimmt. Es gibt kaum ein Altenheim ohne Besuchshunde. Wir wollten aber nicht nur Besuchshunde, sondern eine richtige hundegestützte Therapie. Genau definierbar und abgrenzbar. Zum Beispiel für Patienten mit Depressionen, Ängsten oder posttraumatischen Belastungsstörungen. Wir haben das dann im Grunde genommen selbst entwickelt.

Wir haben Patienten, die das wollten, in einen engen Kontakt mit unseren Hunden gebracht und haben dann versucht, wissenschaftlich zu dokumentieren, was genau zwischen Mensch und Hund geschieht. Ich bin ja Mediziner und in der Medizin gelten Studien nur dann als besonders hochwertig, wenn sie möglichst objektiv sind – und das ist in Bezug auf seelische Zustände schwer. 

Wie sind Sie vorgegangen?

Dr. med. Andreas Sobottka: Es gibt Messinstrumente, die messen, wie schwer jemand depressiv ist. Die haben wir in unserer ersten wissenschaftlichen Studie auch angewendet. Und dann haben wir Fragebögen nach wissenschaftlichen Standards selbst entwickelt und von den Patienten bearbeiten lassen. Und dann passierte etwas Unglaubliches. Die Patienten füllten diese Fragebögen aus, aber sie schrieben uns Briefe dazu. Über all das, was sich in ihnen geändert hatte und was durch den Fragebogen einfach nicht erfassbar war.

So haben Patienten geschrieben, dass sich ihre Träume geändert haben, was mich als Psychoanalytiker natürlich besonders interessierte. Was wir bei allen Patienten beobachten konnten, das war, dass sie Abschied genommen haben. Wenn sie wussten, dass das die letzte Therapiestunde mit den Hunden war, haben sie sich verabschiedet und viele haben geweint. Das kann man mit einem Fragebogen einfach nicht erfassen.

Das Thema ist sehr komplex…

Dr. med. Andreas Sobottka: Ganz genau. Aber die Erfolge dieser hundegestützten Therapie haben mich so begeistert, dass ich meine Klinikanstellung aufgab und mich mit einer eigenen Praxis selbständig machte, um mich so mehr der Forschung widmen zu können. Schlimm finde ich, dass hundegestützte Therapie von jedermann angeboten werden darf, weil sie in keiner Weise geschützt ist. Da sträuben sich mir die Nackenhaare.

Ich würde mir wünschen, dass die hundegestützte Therapie anerkannt wird, aber auch eine Art Gütesiegel bekommt, das jeder erfüllen muss, der diese Art von Therapie durchführen möchte. Ohne eine gründliche Ausbildung, sowohl in Hinsicht auf die Menschen, die behandelt werden sollen, als auch in Hinsicht auf die Tiere, halte ich dies nicht für machbar. 

Kürzlich wurde eine Studie in Großbritannien veröffentlicht. Therapiehunde wurden bei Studenten gegen Examensängste eingesetzt. Diese Studie zeigte, dass ein einmaliger Kontakt mit den Hunden direkt zu einer Verringerung von Stressgefühlen geführt hat. Die Studenten schliefen besser, fühlten sich wohler, sicherer, gestärkter – und der Effekt war auch noch Tage später spürbar. Können Sie das bestätigen? Dass der Hunde-Effekt tatsächlich langfristig und nachhaltig wirkt?

Dr. med. Andreas Sobottka: Die Nachhaltigkeit haben wir schon beobachtet, allerdings gibt es keine Langzeituntersuchung. Da sind wir aber im Moment gerade dran. Eine Kollegin möchte Patienten nachuntersuchen, die an einer Studie vor gut vier Jahren teilgenommen haben.

Woran mag das wohl liegen, dass der Hund den Menschen derart berühren kann? Auf eine Weise, die ja der Art von uns Menschen überlegen zu sein scheint, wenn es um die Überwindung von seelischen Herausforderungen geht?

Dr. med. Andreas Sobottka: Die Fragen haben wir uns natürlich auch oft gestellt. Die Tatsache, dass das so ist, die ist den Menschen schon lange bekannt. Nehmen wir doch einmal das Beispiel der Odyssee. Odysseus, der griechische Held, versucht nach dem trojanischen Krieg nach Hause zu kommen – aber er schafft es einfach nicht. Immer neue Hindernisse stellen sich ihm in den Weg. Er muss Kämpfe austragen und Abenteuer erleben, um nach Hause zu kommen.

10 Jahre lang dauert seine Irrfahrt. Und dann kommt Odysseus nach Hause und er wird nicht erkannt. Selbst seine Frau und seine Kinder erkennen ihn nicht – bis auf einen, seinen Hund Argos. In der griechischen Mythologie wird beschrieben, dass Argos 20 Jahre alt ist, weil er so lange auf sein Herrchen gewartet hat. Odysseus sitzt also unerkannt in seiner Halle und der uralte Argos erkennt ihn, er wedelt noch einmal mit dem Schwanz und stirbt. Und Odysseus weint. Menschen damals haben schon erkannt, dass es eine ganz besondere Beziehung ist. Der Hund sieht die Essenz, das Wesen des Menschen – er sieht hinter alle Masken.

Der Hund ist eines der wenigen Tiere, die sich dem Menschen intensiv angenähert haben. Es musste möglichst gut funktionieren zwischen den beiden Arten – und der Hund konnte es besser als der Mensch. Denn neue Forschungen deuten darauf hin, dass der Hund sich selbst domestiziert hat.

Dr. med. Andreas Sobottka: Und genau das macht er immer noch. Gerade psychisch Kranke profitieren besonders davon. Die Menschen in unserer ersten Studie mussten eine Depression haben, als Haupt- oder Nebendiagnose. Wir hatten also ein buntes Bild an Patienten, denn auch Menschen mit Ängsten, Zwängen, Persönlichkeits- oder posttraumatischen Belastungsstörungen durften teilnehmen, wenn sie außerdem eine Depression hatten. Wir haben dadurch gesehen, dass die Menschen mit den posttraumatischen Belastungsstörungen in besonderer Weise von der hundegestützten Therapie zu profitieren scheinen.

Menschen, die traumatisiert sind, die haben ein „Zu viel“ erlebt. Irgendwann einmal war da eine Situation, die überfordernd, überwältigend,  zu intensiv war. Bei der Depression hingegen liegt üblicherweise eine Mangelerfahrung zugrunde. Ein „Zu wenig“, da hätte mehr sein müssen. Beides ist traumatisch und so auch miteinander verwandt. Möglicherweise ist deshalb die Reaktion auch ähnlich. Als Resultat koppeln sich diese Menschen vom An außen im Hier und Jetzt ab. Oft ziehen sie sich zurück auf eine innere Realität.

Die traumatisierten Menschen vermeiden vorbeugend zwischenmenschliche Kontakte. Das scheint der Hund zu unterlaufen. Häufig sind die Patienten regelrecht verblüfft, dass es jemanden gibt, der eine Beziehung zu ihnen eingehen will – und das auch schafft. Manchmal, ohne dass diese Menschen das gewollt hätten. Und es ist echtes Interesse: wenn der Hund sich für einen Menschen erwärmen kann, dann kommt das von Herzen. Und das ist etwas, was wir Menschen so einfach nicht leisten können. Wir finden andere Menschen nicht vom innersten Grund unseres Herzens aus toll, wir beurteilen, ob wir es wollen oder nicht, und wir wärgen ab – und das Gegenüber nimmt dies überaus häufig auch war.

Haben Sie ein Beispiel?

Dr. med. Andreas Sobottka: Ich hatte eine Patientin, die sagte immer „ich bin tot“. Eine alte Dame mit demenzieller Erkrankung, es war herzzerreißend, vollkommen in sich zurückgezogen. Sie wurde gefragt: „Wollen Sie noch was essen?“ – und antwortete „Ich bin tot“. Die wollte erst auch keinen Kontakt zum Hund. Dann haben wir es gelassen. Wir zwingen natürlich niemanden. Und dann hat sie ein paar Tage später tatsächlich nach dem Hund gefragt. Das alleine war eine unglaubliche Leistung für diese Frau. Sie hat sich von sich aus nach außen gewandt und eine Bitte geäußert.

Wir sind dann mit den Hunden gekommen und man konnte sehen, wie sie aufblühte. Danach nahm sie sogar Kontakt zu den Pflegern auf. Sie fragte beispielsweise: „Haben Sie ein Leckerli für meinen Hund?“ In diesem Fall haben die Hunde die Patientin tatsächlich ins Leben zurückgeholt.“

Und was geschieht, wenn der Hund nicht will?

Dr. med. Andreas Sobottka: Das ist bei unserer Arbeit noch nicht vorgekommen – aber wenn, dann würde der Kontakt nicht stattfinden. Schadet eine Intervention dem Hund, dann findet sie nicht statt.

Ist jeder Hund geeignet? Ich denke da gerade an langhaarige Hunde, deren Fell doch eher einen diffusen Reiz gibt. Das könnte zum Beispiel bei autistischen Störungen zu unkonkret und aufwühlend sein.

Dr. med. Andreas Sobottka: Nein, nicht jeder Hund ist geeignet. Man muss für jedes Einsatzgebiet ganz genau gucken und sich vorher fragen, was genau das Ziel der Intervention ist. Es geht nicht um eine diffuse Steigerung des Wohlbefindens, die Therapie hat auch immer ein konkretes Ziel.

Was würden Sie sich wünschen, für die Entwicklung der hundegestützten Therapie? Was ist das Ziel Ihrer Forschungsarbeit?

Dr. med. Andreas Sobottka: Mein Wunsch wäre, dass wir zu mehr Wissenschaftlichkeit finden. Es gibt viele Menschen, die Hunde in irgendeiner Form in therapeutischen Kontexten einsetzen, aber die meisten tun dies so, wie sie es gerade für richtig halten. Das muss auch gar nicht falsch sein – aber vielleicht gäbe es auch eine andere Art des Einsatzes, die zum Beispiel effektiver wäre. Und hier kann uns die Forschung helfen. Herauszufinden, welche Form von hundegestützter Therapie welcher Patientengruppe besonders gut tut, welche Frequenz sinnvoll ist und welche Inhalte, das wäre schon ein großer Erfolg.

Und mein persönliches Ziel als Psychoanalytiker ist es, dazu beizutragen, dass wir mehr davon verstehen, was genau die hundegestützte Therapie im menschlichen Seelenleben bewirkt, woran die Hunde bei uns Menschen rühren.

Sehr geehrter Herr Dr. Sobottka, vielen Dank für das angenehme Gespräch.

Dr. med. Andreas Sobottka ist Psychoanalytiker und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Seit 2012 praktiziert er in seiner eigenen Praxis in Köln.


Dieses Interview stammt aus der HundeWelt.

Teilen
×