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Es fing ganz harmlos an


Er beginnt dort, wo andere aufhören. Wenn Hunde zugebissen haben, als untherapierbar gelten und der Halter vor der Wahl zwischen Maulkorb und Euthanasie steht. Dann fällt irgendwann sein Name. Durch seinen Erfolg in der Resozialisierung aggressiver Hunde ist Theodor Heßling überregional bekannt geworden. Oft gelingt dem Tierheilpraktiker bereits innerhalb von 10 Tagen eine gravierende Verhaltensänderung.

Ein schöner Sonntagmorgen im Königsmoor… Beate und ihr Hund Charlie gehen entspannt spazieren und erfreuen sich der schönen Natur. Beate denkt noch an die gestrige Abendparty, an dem Charlie sich toll benommen hat. Charlie spielt in der Zwischenzeit unangeleint mit seinem „Stöckchen“. Da es gerade hell geworden ist, ist keine weitere Menschenseele zu sehen. Aus diesem Grund ist Beate auch etwas unaufmerksam, obwohl ihr bekannt ist, dass ihr Hund keine anderen Rüden mag. Oft hat sie sich darüber Gedanken gemacht, wie sie ihm artgerechten Auslauf verschaffen soll.

Ein Hund kann doch nicht nur an der Leine laufen. Das wäre ja im wahrsten Sinne des Wortes kein „Hundeleben“. Deshalb geht sie lieber ganz früh am Morgen ihre Runde, denn dann sind nur wenige Hundehalter unterwegs. Gelegentlich trifft man mal einen Jogger oder Spaziergänger, aber damit hat Charlie keine Probleme. Charlie läuft in etwa zwanzig Metern Entfernung vor Beate und freut sich über die vielen Dinge und Gerüche, die er wahrnehmen kann.

Plötzlich

hebt er den Kopf und stürmt los. Für Beate ist weder ein Hund zu sehen, noch sonst etwas Besonderes. Doch der laute Schrei von Beate: „Charlieeee“, veranlasst den Rüden nicht, stehen zu bleiben. Er rennt um die Wegbiegung und schon hört Beate lautes Bellen, Knurren und eine Männerstimme, die angstvoll und erregt, „Paule“ und „Pfuiii“ schreit. Als Beate um die Ecke rennt, sieht sie ihren sonst so lieben Charlie, der sich im Rücken eines angeleinten Setters verbissen hat. Nach vielen Bemühungen kann Charlie von dem Hund abgebracht werden. Natürlich ist das Herrchen von Paule erbost und man hört Worte wie „So ein Killer muss eingeschläfert werden, Sie hören von meinem Anwalt!“

Paule ist am Rücken verletzt und blutet stark. Das Herrchen ist so aufgeregt und verärgert, dass alle guten und schlichtenden Worte nicht helfen. Da Paule auf jeden Fall tierärztlich behandelt werden muss, tauschen beide Hundehalter die Adressen aus. Beate wird Schadensansprüche erhalten und im schlimmsten Fall schaltet sich auch noch das Ordnungsamt ein. Für Beate wurde aus dem Beginn eines schönen Tages ein „Horrortag“.

Als Beate zu mir in die Hundeschule kam, war sie zu Recht sehr verzweifelt. Für sie gab es nur noch zwei Alternativen: den Hund außerhalb ihres Grundstückes generell mit Maulkorb an der Leine zu führen oder die Euthanasie.

Kastration war wirkungslos

Charlies zwischenzeitlich erfolgte Kastration hatte zu keiner Änderung seines Verhaltens gegenüber gleichgeschlechtlichen Hunden geführt. Durch das ständige Führen an der Leine und mit ziemlicher Sicherheit auch durch den Zwischenfall mit dem Setter, hatte sich Charlies Aggressionsverhalten auch in angeleintem Zustand extrem verstärkt. Nach einer Begutachtung des Hundes und einer Videoaufzeichnung eines Team Tests konnte ich Beate Hoffnungen machen, dass wir das Problem gemeinsam mit hoher Wahrscheinlichkeit beheben können. Es fiel ihr schwer zu glauben, dass man ihr und Charlie in einem 10 tägigen Lehrgang helfen könnte. Nachdem ich Beate an einem laufenden Kurs und einigen Fallbeispielen die Erfolge zeigte, war sie bereit, einen Lehrgang zu besuchen.

Da der Erfolg einer Konfrontationstherapie an der Mitarbeit des Hundehalters fest gemacht wird, musste Beate sich erst einmal klar machen, dass auch sie ihre Umgangsform mit dem Hund verändern muss. Ich erklärte ihr, dass fast alle Probleme, die Hundehalter mit ihren Hunden haben, in der Regel darauf zurückzuführen sind, dass der Hundehalter/in ein falsches Kommunikationsbild mit seinem Hund zeigt. So auch Beate. Bisher hatte sie die bestehenden Konfliktsituationen gemieden. Mit Sicherheit eine falsche Methode, denn ein Problemverhalten kann nur gelöst werden, wenn man mit einer hochwertigen Konfrontationstherapie dem Hund vermittelt, wie dieser in verschiedenen Konflikten erwünschtes Verhalten zeigt und unerwünschtes Verhalten unterlässt.

Rüden beißen häufiger als Hündinnen, weiß das Deutsche Ärzteblatt in seiner Statistik. Jährlich ist in Deutschland von 30.000 bis 50.000 Bissverletzungen auszugehen.

Ende der Passivität

Dazu musste sie lernen, sich bei Ungehorsam ihres Hundes nicht passiv, sondern aktiv zu verhalten und durch absolute Konsequenz ihren Willen durchzusetzten. Charlie merkte schnell, dass sich das Verhalten von Beate ihm gegenüber veränderte. Durch die Gehorsamsübungen, die in allen täglichen Bereichen wie z.B. in der Stadtzone, im Wald etc. durchgeführt wurden, veränderte sich auch Charlies Hyperaktvität und das Dominanzverhalten anderen Rüden gegenüber. Vielen Theoriestunden über tierisches Verhalten vermittelten Beate, dass Agressionen bei Hunden ein normaltes Verhalten darstellen und keine Verhaltensstörungen sind, wie dies oft fälschlich behauptet wird. Aggressionen sind Reaktionen eines sozialen Lebewesens auf unterschiedliche Triebanlagen, wie z.B. die Dominanz- und Beuteaggression, die Revierverteidigung u.v.m.. Da einem Hund ein tierisches Sozialverhalten nicht grundsätzlich gewährt werden kann, muss der Hundehalter dieses Verhalten lenken. Geschieht dies nicht, kann der Hund eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen.

Klare Richtlinien

Ein Hund benötigt klare Verhältnisse und Grenzen. Ohne die ist er ängstlich, unsicher, aggressiv, schwer oder nur in kleinen Bereichen erziehbar. Da Charlie alle Hörzeichen wie Sitz, Platz und Fuß kannte, musste Beate nun lernen, diese auch sofort und konsequent durchzusetzten, wenn Charlie die Hörzeichen unter Ablenkungen verweigerte. Dazu wurden andere Rüden, Menschen und viele weitere Ablenkungsreize eingebaut. Nach den ersten Übungsstunden zeigte Charlie schon positive Sozialreaktionen bei sehr spielfreudigen Hunden.


So fängt es an. Aggressionsfixierung eines Rüdens

Um Eindeutigeit zu schaffen, lernte Charlie, dass erwünschtes Verhalten sofort einen positiven Reiz auslöst, während bereits Ansätze von unerwünschtem Aggressionsverhalten sofort unterbunden wurden. Es ist wichtig, hier sehr frühzeitig einzuschreiten. Dann gelingt dies sachlich und nüchtern, ohne große Emotionen, die die Eskalationsspirale nur nach oben treiben würden. Aus diesem Grund ist professionelle Anleitung unumgänglich. Ich kann nur raten, einen Trainer aufzusuchen, der Erfolge in der Resozialsierung agressiver Hunde aufzuweisen hat und diese im Video dokumentieren kann und keinen, der es sich nur zutraut oder kein wirkliches Konzept hat. Der Halter muss immer mitgenommen werden und mitgeschult werden. Dazu muss er hinter dem Konzept stehen können. Dies gelingt in der Regel, wenn er es versteht.

Ein Hund benötigt klare Verhältnisse und Grenzen. Ohne die ist er ängstlich, unsicher, aggressiv, schwer oder nur in kleinen Bereichen erziehbar.

Die Pufferung des Geno-Typs

Fachleute nennen diese Therapie auch die Pufferung des Geno-Types, da jede Reaktion des Hundes ursprünglich in seinen genetischen Anlagen zu suchen sind, die gefördert oder gepuffert werden müssen. Ziel der Therapie ist es, negative Reaktionen zu puffern und positive Reaktionen zu fördern ohne den Hund zu schädigen. Da Hunde instinktive Lernbereitschaft zeigen, ist dies durchaus möglich. Bleibt Beate also mit ihrem Charlie konsequent und befolgt das Erlernte, wird Charlie so bleiben wie er jetzt ist: Ein fröhlicher, liebenswerter Hund. Die zuvor erteilten Auflagen des Ordnungsamtes wurden nach einer Begutachtung von Beate und Charlie durch das Veterinäramt wieder aufgehoben.


Fotos: Theodor Heßling


Erziehungs-Experte Theodor Heßling.

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