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Was die Mensch-Hund-Beziehung besonders macht

Clive D.L. Wynne ist Professor für Psychologie an der Arizona State University in den USA. Sein Spezialgebiet ist die Mensch-Hund-Beziehung. Dazu hat er das Canine Science Collaboratory an der Universität gegründet, das er auch leitet. Zudem ist er der wissenschaftliche Direktor des Wolfsparks Battle Ground, südlich von Chicago. Den auf der Isle of Wight geborenen Briten führte sein Studium nach Bochum und Konstanz bevor er als Professor nach Australien, Florida und jetzt Arizona kam. In seinem Bestseller „Dog is Love“ geht er der Frage nach, warum das Verhältnis der Hunde zum Menschen so besonders ist. Seine Antwort: „Liebe!“ Das Buch ist auf Deutsch beim Kynos Verlag erschienen: „…und wenn es doch Liebe ist? Neues zur Hund-Mensch-Beziehung.“

Hundefreundinnen und -freunde fragen sich immer wieder, was unser Verhältnis zu unseren vierbeinigen Freunden so besonders macht. Deine Antwort besteht aus nur einem Wort: Liebe!

Prof. Dr. Clive Wynne: Ich glaube, dass die Essenz des Erfolgs von Hunden in dieser von Menschen dominierten Welt ein starkes Verlangen und die Fähigkeit ist, starke emotionale Bindungen zu bilden – was Laien als „Liebe“ bezeichnen Hunde, die seit Tausenden von Jahren erfolgreich mit Menschen auf der ganzen Welt und in so großer Zahl zusammenleben.

Was ist eigentlich Liebe? Und Liebe durch ein Tier? Bräuchten wir dafür nicht eine Definition?

Prof. Dr. Clive Wynne: In meinem wissenschaftlichen Schreiben verwenden wir nicht das Wort “Liebe”. Wir haben technischere, mehrsilbige Ausdrücke wie “Außergewöhnliche Geselligkeit”, “Hyper-Geselligkeit”, “sichere Bindung” und so weiter. Diese Begriffe können sich auf die Zeit beziehen, die ein Tier in unmittelbarer Nähe einer Person verbringt, wie sich eine Person verhält, wenn sie von einer Person getrennt ist, von der wir glauben, dass sie eine starke Bindung zu – und so weiter – haben.

In der Wissenschaft ist es wichtig, dass unsere Begriffe klar definiert sind und sich auf die Ergebnisse bestimmter sorgfältiger Beobachtungen beziehen können. Aber manchmal mache ich mir dabei Sorgen, dass wir das Gesamtbild nicht mehr sehen. Wenn man sich alle Beweise ansieht, die ich in meinem neuen Buch präsentiere: Beweise aus Verhalten, Gehirnscans, Hormonanalysen und so weiter – das Bild, das sich ergibt, ist von einer anderen Qualität als die Ergebnisse der einzelnen Experimente. Es ergibt sich eine spezielle Konstellation an Ereignissen, die wir, wenn wir – wenn wir auf uns selber schauen – als “Liebe” bezeichnen. Ich sehe nicht ein, warum wir diese Formulierung nicht auch in Bezug auf Hunde verwenden sollten.

Du hast es einmal selbst gesagt: In der Vergangenheit warst Du viel skeptischer, warst auf der Skala der „Hunde-lieben-uns“-Vertreter, ganz weit unten. Warum hast Du Deinen Standpunkt geändert?

Prof. Dr. Clive Wynne: Es stimmt. Ich war lange Zeit skeptisch gegenüber den Behauptungen der Menschen, dass ihre Hunde sie liebten. Ich hielt es für eine Erscheinung der jüngsten Zeit. Etwa als eine Folge davon, dass die Menschen reicher geworden waren und weniger Kinder hatten. Also, dass sie schlicht etwas in ihrem Leben brauchten, von dem sie glaubten, dass es sie liebte. Aber mit der Zeit wurde ich skeptisch gegenüber meiner eigenen Skepsis. Ich entwickelte eine Art Meta-Skepsis.

Die Beweise aus Forschungseinrichtungen auf der ganzen Welt, die viele verschiedene Arten von Studien durchführten, waren überzeugend. Es waren physiologische, kognitive, verhaltensbezogene, ethologische Untersuchungen und sogar Gehirnscans – all die summierten sich jetzt zu einem ganz anderen Bild. Das konnte ich nicht mehr leugnen. Hunde zeigen ein Verhaltensmuster, das wir, wenn wir sie bei unserer eigenen Spezies sehen, ohne zu zögern “Liebe” nennen. Auch wenn ich mich wiederhole: Ich sehe keinen Grund, mich zu weigern, diesen Begriff auf ihr Verhalten uns gegenüber anzuwenden.

Du berichtest in deinem Buch von Xephos, deiner eigenen Hündin. Hat sie auch zu deiner Meinungsänderung beigetragen?

Prof. Dr. Clive Wynne: Ich habe mehrere Jahre lang Hunde studiert, ohne einen eigenen Hund zu haben, zu dem ich abends nach Hause kommen konnte. Dann, vor etwa sieben Jahren, adoptierten wir einen Tierheimhund, den wir “Xephos” nannten. Wir holten sie zu uns nach Hause. Zuerst hielt ich mein wissenschaftliches Leben über Hunde von meinem persönlichen Leben mit Hund getrennt. Aber ziemlich bald erkannte ich, dass meine Wissenschaft in der Lage sein musste, meine eigenen Erfahrungen des Zusammenlebens mit einem Hund zu teilen, ansonsten wäre es eine ziemlich blasse Wissenschaft. Und wenn es eine Sache gab, die Xephos mir sagte, dann war es, dass sie mich liebte. Ich erkannte, dass ich meine Wissenschaft brauchte, um diese gemeinsame, aber mächtige Erfahrung zu erfassen.

Neue Forschungen zeigen, dass es Parallelen in den Genen der Hunde gibt, die dem menschlichen Williams-Beuren-Syndrom ähneln. Kannst Du uns das erklären?

Prof. Dr. Clive Wynne: Das Williams-Syndrom ist eine sehr seltene genetische Störung, die durch die Deletion von mehr als zwei Dutzend Genen verursacht wird. Menschen mit diesem Syndrom erleben eine Vielzahl von Auswirkungen – von Herzfehlern bis hin zu einer anormalen Gesichtsstruktur – aber das Auffälligste ist, dass sie den grenzenlosen Wunsch haben, emotionale Verbindungen zu Menschen aufzubauen. Sie haben fast keine Vorstellung von “fremden” Menschen.

Bridgett von Holdt, eine Genetikerin, die jetzt an der Universität Princeton lehrt, hatte eine Studie durchgeführt, wo der genetische Code von Hunden und Wölfen verglichen wurde. Sie suchte nach den Veränderungen, die sich auf dem Weg bestimmter Wölfe zum Hund ergeben hatten. Sie identifizierte die Region des Genoms als in diesen Prozess verwickelt, die beim Menschen zum Williams-Beuren-Syndrom führt. Eine ehemalige Studentin von mir, Monique Udell, führte Verhaltenstests durch, um die Anziehungskraft auf Menschen bei Hunden und von Hand aufgezogenen Wölfen festzustellen, und schickte DNA-Proben (schmerzlos entnommene Wangenabstriche) an Bridgett. Bridgett konnte zeigen, dass die Unterschiede im Umgang mit Menschen zwischen Wölfen und Hunden auf Mutationen in drei Genen zurückzuführen sind, die bei Menschen zum Williams-Beuren-Syndrom beitragen.

Also, wenn ich das alles jetzt richtig verstanden habe, sind weder die Intelligenz noch die herausragenden Fähigkeiten, uns zu verstehen, das Besondere, was Hunde ausmachen?

Prof. Dr. Clive Wynne: Ich leugne sicher nicht, dass es da draußen kluge Hunde gibt. Ich habe Chaser kennen gelernt, den Hund, den die BBC als “intelligentesten Hund der Welt” bezeichnete. Und wir sehen sicherlich, dass Hunde, die von Menschen aufgezogen werden und in menschlichen Haushalten leben, außerordentlich sensibel auf die Dinge reagieren, die Menschen tun. Aber das sind nicht die einzigartigen Fähigkeiten von Hunden. Viele Tierarten, die von Menschen aufgezogen werden und ihr Leben im Haushalt von Menschen verbringen, werden sehr empfindlich für das, was Menschen tun.

Sogar wilde Tiere, die als Haustiere aufgezogen werden, können sehr sensibel für Menschen werden (nicht dass ich dafür bin, wilde Tiere als Haustiere zu halten). Die Art von Tests, die vor zehn bis zwanzig Jahren durchgeführt und als Beweis gewertet wurden, dass Hunde über einzigartige kognitive Fähigkeiten verfügen, wurden jetzt bei einer Vielzahl von anderen Tierarten wiederholt. Die meisten von ihnen – wenn sie mit Menschen zusammenleben – schnitten genauso gut ab wie Hunde. Also, nein, ich glaube nicht, dass Hunde über einzigartige kognitive Fähigkeiten verfügen.

Was können wir tun, um unser Verhältnis zu unserem eigenen Hund zu verbessern? Was empfiehlst Du als Wissenschaftler unseren Leserinnen und Lesern?

Prof. Dr. Clive Wynne: Ich vertraue darauf, dass alle Deine Leser sowieso bereits wissen, dass unsere Hunde ein Leben frei von den Schmerzen von Schock- und Zangenhalsbändern verdienen. Ich bin sicher, dass sie wissen, dass unsere Hunde eine sanfte Führung und keine brutale Dominanz brauchen. Die meisten Menschen, mit denen ich spreche, wissen das bereits. Weniger bekannt erscheint mir, dass unsere Hunde Gesellschaft brauchen. Wir bringen Hunde in unser Leben und lieben sie wegen ihrer äußerst sozialen und liebevollen Art. Aber dann schließen die Menschen ihren Hund allzu oft für acht, zehn oder sogar zwölf Stunden am Tag allein im Haus ein. Es ist einfach grausam, dieses sehr gesellige Wesen für so viel Zeit des Tages in Einzelhaft zu stecken. Das ist ein großer Teil des Grundes, warum das häufigste Verhaltensproblem von Hunden, über das in den Vereinigten Staaten berichtet wird, die Trennungsangst ist. Wir verlangen einfach zu viel von unseren Hunden.

Natürlich erkenne ich an, dass nicht jeder zur Mittagszeit zu seinem Hund nach Hause kommen kann – oder von zu Hause aus arbeiten kann, wie ich das Glück habe, es oft tun zu können. Aber es gibt Lösungen. Hunde können in der Gesellschaft anderer Menschen Trost finden: Nachbarn, Freunde mit weniger verrückten Terminkalendern, die vorbeikommen und den Hund für eine Stunde in ein Café mitnehmen. Hunde genießen auch die Gesellschaft in ihrer eigenen Art – und sogar von anderen Arten. Manche Hunde haben zum Beispiel Katzenfreunde. Forschungen zeigen, dass Hunde Bindungen mit Angehörigen von Spezies eingehen, die sie in den ersten drei Lebensmonaten kennen lernen. Ein einsamer Hund kann auch Unterstützung durch einen professionellen “Gassiservice” oder einen anderen Dienst finden, der ihm Gesellschaft bietet.

Wir bedanken uns bei Dr. Wynne für das aufschlussreiche Gespräch.


Clive D.L. Wynne ist Professor für Psychologie an der Arizona State University in den USA. Sein Spezialgebiet ist die Mensch-Hund-Beziehung. Dazu hat er das Canine Science Collaboratory an der Universität gegründet, das er auch leitet. Zudem ist er der wissenschaftliche Direktor des Wolfsparks Battle Ground, südlich von Chicago. Den auf der Isle of Wight geborenen Briten führte sein Studium nach Bochum und Konstanz bevor er als Professor nach Australien, Florida und jetzt Arizona kam.

Dieses Interview stammt aus der HundeWelt.

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