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Können Tiere vor Erdbeben warnen? | Studie

Über diese Frage wird seit Jahrzehnten gestritten. Ein Team um den GFZ-Seismologen Heiko Woith legte 2018 die erste umfassende statistische Analyse vor. Darin gingen mehr als 700 Beobachtungen auffälligen Verhaltens ein, die bei 160 Erdbeben gemacht wurden und mehr als 130 Arten betreffen.

Verhaltensauffälligkeiten als Indiz?

Auf der einen Seite gibt es zahlreiche Berichte von Hühnern, Schafen oder Hunden, die sich vor einem Beben merkwürdig verhielten. Auf der anderen Seite gibt es viele Erdbeben, vor denen solche Auffälligkeiten bei Lebewesen gerade nicht beobachtet wurden. Und überhaupt: Der genaue Zeitpunkt eines solchen Ereignisses ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren abhängig und lässt sich nach gegenwärtigem Stand der Wissenschaft wohl niemals exakt vorhersagen. Wie sollten also gewöhnliche Haus- und Wildtiere dazu in der Lage sein?


Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern am Deutschen GeoForschungsZentrum GFZ in Potsdam ließ diese Frage keine Ruhe.

„Die Berichte über auffälliges Verhalten sind zahlreich, doch dies könnte auch andere Ursachen haben“, sagt Heiko Woith. „Wir haben deshalb 180 entsprechende Studien genauer angeschaut und untersucht, ob es einen statistischen Zusammenhang zwischen der seismischen Aktivität und dem Verhalten von Tieren gibt.“

Die Wissenschaft will dem auf den Grund gehen

Dazu veröffentlichte das Fachjournal 2018 „Bulletin of the Seismological Society of America“ eine erste umfangreiche statistische Analyse. In die Analyse gingen mehr als 700 Beobachtungen auffälligen Verhaltens ein. Diese wurden bei 160 Erdbeben gemacht und betreffen mehr als 130 Arten – von Schafen über Ziegen bis hin zu Schlangen und Fischen. Die Berichte stammen aus zwei Dutzend Ländern, wobei die meisten aus Neuseeland, Japan, Italien und Taiwan kommen. Das Team um Woith hat unter anderem den Effekt von Vorbeben untersucht: Merkliche Erschütterungen, die bei etwa jedem zehnten Erdbeben Tage oder gar Wochen vorher auftreten. Sie zogen Daten eines Erdbebenkatalogs (ISC-GEM) heran, der weltweit alle Beben mit einer Magnitude von M 5.6 und mehr in den Jahren von 2000 bis 2012 verzeichnet.

„Wir haben angenommen, dass entsprechende Erschütterungen in einer Entfernung von 100 Kilometern für Tieren spürbar sind“, sagt Woith. „Dann haben wir für alle Erdbeben ab Magnitude 6 untersucht, ob es in diesem Umkreis und binnen 60 Tagen Vorbeben gab.“

Das Ergebnis:

Bei 16 Prozent der Hauptbeben gab es diese Vorbeben innerhalb von 60 Tagen. Nur einen Tag vorher wurden solche Vorbeben in 7 Prozent der Fälle registriert, eine Stunde vorher in 3 Prozent der Fälle. „Diese Verteilung in Raum und Zeit ist ähnlich der Verteilung von Auffälligkeiten im Verhalten von Tieren“, sagt Woith.

„Wir gehen davon aus, dass zumindest ein Teil der Fälle, wo Tiere als Erdbeben-Warner gehandelt werden, als Reaktion auf Vorbeben zu verstehen sind.“ Weitere Aussagen seien jedoch sehr schwierig.

Ein Grund ist, dass die Daten sehr heterogen sind. Die beschriebenen Beobachtungen sind oftmals anekdotisch und für eine solide wissenschaftliche Untersuchung ungeeignet. Hinzu kommt, dass auch andere Zusammenhänge zwischen Erdbeben und dem Verhalten von Tieren diskutiert werden, etwa Reaktionen auf Ausgasungen. „Man darf nicht vergessen, dass es etliche Erdbeben gibt, die sich weder durch Vorbeben noch durch andere Anzeichen ankündigen, sondern sprichwörtlich spontan auftreten“, ergänzt der GFZ-Forscher. Dennoch sei es eine interessante Forschungsfrage, ob Tiere als „Erdbebenwarner“ genutzt werden könnten.

Und nun?

Die Erfolgsaussichten seien nach bisherigem Stand der Wissenschaft jedoch nicht zu groß, meint Woith: „Eine treffsichere Vorhersage zu Ort, Magnitude und Zeitpunkt eines Bebens erscheint nach allem, was wir wissen, nicht möglich zu sein. Und auch die zuverlässige Frühwarnung anhand von Vorbeben oder Gasaustritten aus dem Untergrund ist mit sehr vielen Unsicherheiten behaftet und bislang auch mit den modernsten Sensoren nicht gelungen.“

Stand heute

2020 gelang es dem Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie zu belegen, dass einige Tiere tatsächlich Stunden vor einem Erdstoß auffallend unruhig werden. Gemessen haben sie dies anhand von Bewegungsprofilen von Kühen, Schafen und Hunden. Möglicherweise eignet sich die tierische Sensibilität sogar zur Entwicklung von Frühwarnsystemen, sagen die Wissenschaftler.

Bewegungssensoren zeichnen Tierverhalten auf

Was haben die Wissenschaftler um Martin Wikelski also getan, um tierische Aktivitätsmuster vor Beben systematisch zu erfassen? Nun, sie haben das Tierverhalten auf einem Bauernhof in einer stark von Erdbeben heimgesuchten Region in Norditalien systematisch untersucht. Sechs Kühe, fünf Schafe und zwei Hunde, die sich bereits früher vor Erdbeben auffällig verhalten haben sollen, statteten sie dazu mit Beschleunigungssensoren am Halsband aus. Die Forschenden zeichneten mit diesen Geräten die Bewegungsaktivität der Tiere über mehrere Monate hinweg auf.

Während dieser Zeit meldeten die Behörden zahlreiche Erdstöße in der Region. Neben vielen kleinen waren darunter auch zwölf Beben mit einer Stärke von vier oder höher auf der Richterskala, die deutliche Bodenbewegungen am Bauernhof auslösten. Darunter waren starke Beben mit Epizentren in bis zu 28 Kilometern Entfernung sowie schwächere, die sich aber sehr nah am Hof ereigneten und dadurch deutlich spürbar waren.

Interessante Ergebnisse

Tatsächlich kam es bis zu 20 Stunden vor einem Beben zu auffälligen Verhaltensmustern bei den Tieren.

„Je näher dabei das Epizentrum der bevorstehenden Erschütterung lag, desto früher änderten sie ihr Verhalten. Das ist genau das, was man erwarten würde, wenn physikalische Veränderungen vermehrt am Epizentrum des drohenden Erdbebens auftreten und mit zunehmender Entfernung schwächer werden“, erläutert Wikelski.

Dieser Effekt zeichnete sich allerdings nur deutlich ab, wenn die Forscher alle Tiere gemeinsam betrachteten. „Im Kollektiv scheinen die Tiere also Fähigkeiten zu zeigen, die auf individueller Ebene nicht so leicht zu erkennen sind“, so Wikelski.

Potenzial für ein tierisches Frühwarnsystem?

Naja, darüber, ob Tiere nun wirklich Erdbeben vorhersahen können, können die Forscher allerdings auch weiterhin nur Vermutungen aufstellen. Möglich ist aber, dass die Tiere mit ihrem Fell die Ionisierung der Luft wahrnehmen können, die bei großem Gesteinsdruck vor Erdbeben auftreten kann. Außerdem, dass Tiere Gase riechen, die vor einem Beben vermehrt aus Quarzkristallen freigesetzt werden, sagen die Wissenschaftler.

Die Forscher wollen nun mehr Tiere über längere Zeiträume in verschiedenen Erdbebenzonen der Welt beobachten. Sogar vom All aus wollen sie Bewegungen von mit Sendern ausgerüsteten Tieren erfassen. Dazu soll das globale Beobachtungssystem Icarus auf der Internationalen Raumstation ISS zum Einsatz kommen.

Quelle: Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie, Fachartikel: Ethology, doi: 10.1111/eth.13078

Helmholtz-Zentrum Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ ; Studie: “Can Animals Predict Earthquakes?”, Heiko Woith, Gesa M. Petersen, Sebastian Hainzl, Torsten Dahm, Bulletin of the Seismological Society of America (2018)

Titelbild: Adobe Stock New Africa

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