Sind Straßenhunde glücklich?
Gert Schuster verfügt über mehr als 20 Jahre fundierter Erfahrung in der Hundeerziehung. Der zertifizierte Hundetrainer betreibt zusammen mit seiner Frau Carmen das Hundezentrum Mittelfranken. Gert Schuster hat sich intensiv mit Thema des Imports von Straßenhunden aus dem Ausland befasst. Dazu bereiste er mit seiner Kamera u.a. die Länder Südost-Europas, um sich vor Ort ein eigenes Bild machen zu können. Einige seiner Filmaufnahmen sind in dem Dokumentarfilm „Freund oder Feind – Über die Beziehung von Mensch und Hund“ zu sehen, der 2018 im Schweizer Fernsehen SRF ausgestrahlt wurde. Mit ihm sprach Christoph Jung exklusiv für unsere Leser.
Herr Schuster, sie haben etliche Länder Südost-Europas bereist und hierbei besonders das Leben der Hunde auf der Straße beobachtet. Geht es den Hunden wirklich so schlecht, wie es oft in Deutschland berichtet wird?
Gert Schuster: Das ist mit Sicherheit Ansichtssache, denn was für den einen „Leid“ bedeutet, nimmt der andere ganz anders wahr, eben individuell. Durch genaue Recherchen und Beobachtung macht es mir nichts aus, einen Hund zum Beispiel neben einem Abfalleimer schlafen oder einen anderen scheuen Hund auf der Flucht zu sehen, während diese Bilder bei anderen Menschen vermutlich gedanklich dramatische und hoch emotionale Assoziationen auslösen. Was bleibt sind häufig Emotionen. Und menschliches Denken wird nun mal zu einem großen Teil von Emotionen bestimmt. Dies kann als Stärke, aber auch als Schwäche gesehen werden.
Wie fühlen sich denn Ihrer Meinung nach die Hunde dort?
Gert Schuster: Objektiv betrachtet verbringt die Mehrheit der Straßenhunde ihr Dasein oft zufrieden, während nur der kleinere Teil eventuell krank oder verletzt ist.
Bei einer hohen Populationsdichte sind Parasiten wie Sarcoptes-Räude häufiger zu finden, leider auch in den dortigen Tierheimen. Überfahrene Hunde sind natürlich ein gewöhnungsbedürftiger Anblick, hier im Westen sind es dann doch eher Katzen, Igel, Hasen oder Rehe. Zugegeben sind das unschöne Bilder, die in den meisten Fällen jedoch nichts mit den so dargestellten arglistigen und blutrünstigen Menschen zu tun haben.
Viele Hunde leben dort auf der Straße. In meiner Jugend liefen die meisten Hunde auf dem Land zumindest tagsüber ebenfalls frei im Dorf herum. Und trotzdem waren sie eng an ihre menschliche Familie gebunden. Es ist nie etwas passiert. Der Spitz unserer Nachbarn zum Beispiel hatte gar kein Halsband. Und er holte jeden Tag pünktlich auf die Minute die Kinder von der Schule ab. Ich habe den Eindruck, dass Hunde eine solche Lebensweise lieben.
Gert Schuster: Solange die Hunde nicht verfolgt werden, haben sie ein, in meinen Augen, erfülltes Leben. Sie sammeln genügend soziale Erfahrungen, wissen was sie meiden sollten und können super differenzieren, und das in vielen Lebensbereichen. Manche leben vielleicht kürzer als ihre häuslich gewordenen Verwandten, doch könnten Hunde wählen, würden sie eventuell lieber kurz und frei in ihren Entscheidungen leben, als eingesperrt und dirigiert. Eigentlich ist es doch logisch oder?
Da stimme ich Ihnen aus eigenen Beobachtungen heraus gerne zu. Sie haben viel Erfahrung gesammelt mit Hunden, die aus Osteuropa nach Deutschland geholt wurden. Wie geht es diesen Hunden hier im hoch restriktiven, dicht besiedelten Deutschland?
Gert Schuster: Leben die Hunde bereits gefangen in den Tierheimen, dann lösen sie auch in mir Mitleid aus, denn aus dieser Spirale ist es nur schwer zu entkommen, und den zukünftigen Menschen können sie sich nicht aussuchen.
Es wäre nicht richtig, dafür nur die „staatlichen Hundefänger“ anzuprangern. Häufig sind es durch Emotionen getriebene Tierfreunde oder gar Händler, welche die Hunde der Straße entnehmen. Die bereits erwähnte Freiheit und das selbst entscheiden können ist genommen, weiter werden tatsächlich Freundschaften oder Familienstrukturen zerstört – so etwas habe ich schon gefilmt, es ist grausam. Nur wird darüber kaum berichtet, weil es viele nicht wissen.
Verheerend ist ebenfalls die Verwechslung der verschiedenen sozialen Hintergründe der Tiere. Da gibt es die Ausgesetzten, die eventuell Hilfe benötigen, dann die Streuner oder auch „Besitzerhunde“ genannt und eben meine Favoriten, die auf der Straße Geborenen. Werden die letztgenannten Hunde mit unserer Form der Zuneigung überschüttet, zeigt dieser Hundetypus schnell, wie sehr er sich nach Abstand und Freiheit sehnt. Man darf diese Hunde nicht mit unseren „normalen“ Haushunden vergleichen – auch wenn es immer Ausnahmen gibt.
Was würden Sie Hundefreunden raten, die mit dem Gedanken spielen, einen solchen Hund aus dem Tierheim oder direkt aus dem Ausland ins Haus zu holen?
Gert Schuster: Als Erstes müssen sich die Menschen bewusst werden, dass sie sich einen Hund holen, der mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Parasiten oder Krankheiten infiziert sein wird – ungeachtet dem, was eine Organisation behauptet.
Diese haben durch die Hortung in den Heimen und die veränderten Lebensumstände der Hunde machen ihnen ein leichtes Spiel. Das Immunsystem der Hunde ist geschwächt und der Keim oder Parasit gewinnt Oberhand.
Berücksichtigt sollte ebenfalls werden, dass unsere Vorstellung der Hundehaltung und der menschlichen Benimmregeln nicht unbedingt mit den Regeln der Straßenhunde konform gehen. Es sollte ein Verständnis um das Leben und die Verhaltensweisen solcher Hunde erarbeitet werden, bevor der Vierbeiner einzieht. Verhaltensweisen, welche auf der Straße und im sozialen Miteinander durchaus Sinn machen, werden bei der Haushaltung und den Spaziergängen häufig als störend empfunden. Mit Wissen und Bauchgefühl können wir Konflikte erkennen und eventuell schneller lösen.
Sehr geehrter Herr Schuster, vielen Dank für das Gespräch.
Gert Schuster verfügt über mehr als 20 Jahre fundierter Erfahrung in der Hundeerziehung. Der zertifizierte Hundetrainer betreibt zusammen mit seiner Frau Carmen das Hundezentrum Mittelfranken. Gert Schuster hat sich intensiv mit Thema des Imports von Straßenhunden aus dem Ausland befasst. Dazu bereiste er mit seiner Kamera u.a. die Länder Südost-Europas, um sich vor Ort ein eigenes Bild machen zu können. Einige seiner Filmaufnahmen sind in dem Dokumentarfilm „Freund oder Feind – Über die Beziehung von Mensch und Hund“ zu sehen, der 2018 im Schweizer Fernsehen SRF ausgestrahlt wurde.
Dieses Interview stammt aus der HundeWelt.