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Einsatz auf vier Pfoten! | Teil 33

Fast siebzig Sprengstoffhundeführer aus dem gesamten Bundesgebiet waren – neben mehreren Hundertschaften von Bereitschafts- und Schutzpolizei – in Erfurt zusammengezogen worden. Der Grund: Papa ante portas! Der Papst stattete der Stadt in Thüringen anlässlich seiner Reise nach Deutschland einen Besuch ab. Ihn zu beschützen war unser Auftrag. Dazu zählte, die Katakomben unterhalb des Domplatzes nach Sprengstoff abzusuchen.

Was zuletzt geschah

Je tiefer mich Carina die in den Fels gehauene Treppe hinabzog, desto kälter wurde die Luft. Sie roch feucht und abgestanden. Vereinzelte Wandlampen verbreiteten diffuses Licht. Wir standen in einer niedrigen Halle, von der drei breite, in den Fels getriebene Gewölbegänge abgingen. Welchen sollte ich wählen?

Carina entschied sich für den linken Gang

Carina nahm mir die Entscheidung ab, sie orientierte sich nach links. Ich ließ sie sich hinsetzen und kniete mich neben sie. „Na, Mädchen“, sagte ich, „Was meinst du? Um das hier in die Luft zu sprengen, bedarf es schon einer großen Menge Stoffi.“ Stoffi? Carina schaute mich an und dann mit gespitzten Ohren in die Katakombe vor uns. Ich leuchtete mit meiner Taschenlampe hinein.

Der Strahl reichte nicht bis zum Ende des Ganges. Seine Wände waren glatt und kahl, bis auf einen am Boden stehenden Feuerlöscher sah ich keine Möglichkeit, eine Bombe zu verstecken. Alibi-Suchen nennen wir so etwas. Auch wenn von vorneherein klar ist, dass hier unmöglich etwas versteckt sein kann, wird es abgesucht, damit später niemand behaupten kann, man hätte etwas ausgelassen.

War es eine Sinnestäuschung?

Auch das gehörte zum Job. Ich klinkte Carinas Leine aus und schickte sie mit „Such’s Stoffi!“ los. Sie machte einen Satz und steuerte zunächst den Feuerlöscher an, schnupperte ihn ab.

Dann trabte sie, mal hier und mal dort schnüffelnd, weiter, ich folgte ihr mit einigem Abstand immer tiefer in den Tunnel. Im Vorbeigehen nutzte ich die Gelegenheit, ein Stückchen Dynamit hinter dem Feuerlöscher zu verstecken, um Carina später ein Erfolgserlebnis zu ermöglichen. Die hob plötzlich Rute und Kopf, blieb angespannt stehen. Sie starrte in eine Nische, die ich bis dahin noch nicht bemerkt hatte. Nein, es war keine Nische, es war der Durchgang in einen weiteren Raum.

War da jemand?

Carinas Verhalten ließ eher darauf schließen als auf einen Sprengstofffund. Ehe sie durchstarten konnte, schrie ich „Platz!“. Meine Stimme hallte in den Gängen wider. Carina ließ sich förmlich auf die Brust fallen, fixierte dabei aber weiterhin das, was sie entdeckt hatte. Ich eilte zu ihr und spähte vorsichtig um die Ecke. In dem ansonsten leeren Raum standen – zwei Engel. Weit ausgebreitete Flügel schimmerten golden im Licht meiner Taschenlampe, die Augen der himmlischen Wesen waren auf den Boden gerichtet, die offenen Hände hielten sie vor sich, als würden sie etwas zutiefst bedauern. Für weniger als einen Augenblick glaubte ich an eine Sinnestäuschung.

Dann musste ich leise lachen. Da standen tatsächlich zwei Engel, fast so groß wie ich, goldfarben lackiert und wahrscheinlich aus Gips gegossen. Oder Wachs. Wachs! Siedend heiß fiel mir die Schindel ein, die ich beim Sprengstofflehrgang so verwundert betrachtet hatte. Die Abbildung der Mutter Gottes mit Jesus auf dem Arm, aus purem TNT gegossen. Wenn dies hier auch der Fall war, würde die Menge reichen, den ganzen Domplatz in die Luft zu sprengen!

Die Engel waren harmlos

Ich kniete mich neben Carina und hielt sie am Halsband fest. Mit dem fokussierten Lichtstrahl meiner Lampe leuchtete ich die beiden Figuren ab. Wenn da jetzt bloß keine Kabel aus den Engeln hingen …

Nein, soweit ich es aus der Entfernung beurteilen konnte, gab es nichts, was auf eine Zündvorrichtung deutete. Carina gähnte laut. Sie interessierte sich eigentlich nicht für Engel.

„Such’s Stoffi!“, befahl ich trotzdem noch einmal und ließ ihr Halsband los. Bei Weitem nicht mehr so aufgeregt wie noch vor einer Minute umkreiste Carina die Statuen, schnupperte in deren leere Hände und beachtete sie dann nicht mehr. Erleichtert betrachtete ich die Figuren nun aus der Nähe. Sie standen schon länger hier, wie der Staub auf ihren gesenkten Häuptern zeigte. Wir befanden uns in der Abstellkammer für ausgediente Engel. Sicher kein Bestandteil der täglichen Führungen für die Öffentlichkeit.

Anerkennend klopfte ich Carina die Flanke

Ich leinte sie an und machte mich auf den Rückweg. Etwa zehn Meter vor dem Feuerlöscher schickte ich sie noch einmal los zum Suchen. Schon nach wenigen Sekunden saß sie vor dem Versteck und zeigte mir den zuvor hinterlassenen Sprengstoff an. Ich drückte den Klicker in meiner Hosentasche. Carina stürmte auf mich zu, schnappte sich ihre Beißwurst und zerrte mich durch die Gadagomb’n, wie der thüringesche Einsatzleiter die Gewölbe bezeichnet hatte. Das Wort begeisterte mich. Ich wollte es nie mehr vergessen.

Die beiden anderen, wesentlich kürzeren Gänge hatte zwischenzeitlich mein Kollege abgesucht. Als wir in das gleißende Sonnenlicht traten, musste ich meine Augen zusammenkneifen. Tief atmete ich die milde, weiche Luft ein. Das angenehme Gefühl, einen Job gut erledigt zu haben, breitete sich in meinem Bauch aus. Zusammen mit vielen ihrer Kollegen hatte Carina wieder einmal für Sicherheit gesorgt. Nicht nur für den Papst.

Sondern auch für all die Menschen, die ihn sehen wollten. Sie war Teil des Ganzen. Und doch etwas ganz Besonderes für mich. Meine Freundin und ständige Begleiterin, deren Fähigkeiten, aber auch Treue und Wohlwollen ich mir immer gewiss sein konnte.

Hier erfährst du, wie es weiter geht.

Elmar Heer arbeitet seit 40 Jahren als Polizeibeamter. 1990 wechselte er vom Streifendienst zur Diensthundestaffel Mittelfranken. Schon früh entdeckte er seine zweite Leidenschaft: das Schreiben. Mit seinem Buch „Partner auf Leben und Tod“, erschienen bei Droemer-Knaur, gewährt der Autor dem Leser einen Einblick in Leben und Arbeit eines Polizeihundeführers. Er erzählt über seine Aufgaben als Hundeführer, die umfangreiche Ausbildung von Polizeihunden und über spannende, heitere und auch tragische Einsätze, die er mit seinen Schäferhunden Gundo, Bux, Carina und Sam erlebte.



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