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Was macht eine moderne Hundeerziehung aus? | Theodor Heßling im Interview

„Das Netz ist voller selbsternannter Experten, die mit Erfolgsgeschichten und schönen Foto-Storys für sich werben“, sagt Theodor Heßling. „Sie kommen und gehen“. Aber nicht, ohne vorher irgendeine eigene Philosophie vermarktet zu haben, die letzten Endes nur Verwirrung stiftet. „Dabei ist doch alles schnell zu erlernen und zu vermitteln, wenn man den Hundehaltern klar und deutlich erklärt, wie und was sie tun sollen im Umgang mit ihrem Hund.“

Herr Heßling, wodurch zeichnet sich Ihrer Meinung nach eine moderne Hundeerziehung aus?

Theodor Heßling: Das ist schwer zu beantworten, denn der Begriff Hundeerziehung wird heute zu oft pauschalisiert behandelt. Bei der Erziehung eines Hundes gibt es drei Eckpunkte: Erlernen des Sozialverhaltens – Erlernen von Hörzeichen – Durchsetzung der erlernten Hörzeichen/Signale in Konfliktsituationen.

Die Grundlagen der Hundeerziehung haben sich auf Grund von wissenschaftlichen Untersuchungen im Bereich der Kynologie verändert. Der Hundehalter kann sich seit den 80er Jahren einfacher über das Verhalten von Hunden informieren und deshalb in vielen Bereichen verständnisvoller mit ihm umgehen. Fehlentwicklungen könnten vermieden werden.

Grundsätzlich stellt sich aber die Frage: Was ist ein gut erzogener Hund? Ich persönlich betrachte einen Hund nur dann als gut erzogen, wenn er erlernte Hörzeichen/Signale in allen täglichen Situationen sofort und zuverlässig mit und ohne Leine ausführt. So wird er im alltäglichen Leben nicht zum Störfaktor, sondern zu einem angenehmen Begleiter. Die moderne Hundeerziehung verzichtet auf Zugketten, Zwingerhaltung oder Hörzeichen, die so laut gegeben wurden, dass sie meilenweit zu hören waren. Diese Haltungs- und Erziehungsmethoden habe ich schon in den 80er Jahren abgelehnt und bin heute froh, das diese Methoden nicht mehr durchgeführt werden. Heute wird sanft gelehrt mit viel positiver Konditionierung, Clicker und Leckerchen. Fehlverhalten wird ignoriert, Konflikte werden gemieden.

Aber auch hier muss definitiv teilweise ein Umdenken erfolgen. Ein Hund ist kein verkleideter Wolf, aber ein Hund kann durch falsche, häufig zu vermenschlichte Erziehung gefährlich für sich und sein Umfeld werden. Dies kann durch richtige Erziehungsmethoden verhindert werden. Zu wenig wird auf die unterschiedlichen Charaktereigenschaften und den Anlagen eines Hundes eingegangen. Z.B. muss ein hyperaktiver Hund anders trainiert werden, als ein Hund mit einer hohen Reizschwelle und einem desorientierten Verhalten. Da jeder Hund u.a. auch rassebedingt seine eigene Charaktereigenschaft und unterschiedliche Verhaltenseigenschaften im Lernprozess zeigt, kann in der Hundeerziehung nicht immer auf gleicher Art und Weise trainiert werden. Aus dieser Grundlage der Arbeit entsteht die Formung des jeweiligen Typs.

„Liebe Deinen Hund und er macht alles, was Du willst“. Was halten Sie von dieser Einstellung?

Theodor Heßling: Das Netz ist voller selbsternannter Experten, die mit Erfolgsgeschichten und schönen Foto-Storys für sich werben. Verhaltensstudien werden von Hochschulen verbreitet, die von Studenten unter „Laborbedingungen ohne Ablenkungsreize“ erprobt wurden. Tausende Bücher sind auf dem Markt, die von Leuten geschrieben wurden, die der Meinung sind, dass nur sie den richtigen Weg zur Seele des Hundes kennen. Sie kommen und gehen.

Von den großen „Experten“ der 70er, 80er, 90er Jahren ist kaum noch einer bekannt und die heute noch bekannt sind, sind die Guten bzw. können Erfolge nachweisen. Sie haben durch Erfahrung gelernt. So verhält es sich auch mit den viel gepriesenen Erziehungshilfsmitteln wie Halti, Gentle Dog, Wasserpistolen etc… Heute geht die Hundeerziehung den Weg des geringsten Widerstandes, möglichst nicht diszipliniert und ohne Zwang arbeiten, aber mit dem Schlagwort „fit for fun“. Der Hund soll durch die Liebe seines Hundehalters lernen, mit Leckerchen, mit Loben usw. das steht heute in der gängigen Hundeliteratur. Aber ist das überhaupt möglich?

Mit Sicherheit ist die Liebe zum Hund die Grundlage für jede Hundeerziehung, da sind sich alle Fachleute einig. Aber nur weil der Hundehalter/in mit dem Hund spazieren geht, ihn streichelt, sein Futter und Wasser reicht und ihn liebt, wird kein Hund erzogen oder ausgebildet. Hunde verknüpfen instinktiv und lernen über Schlüsselreize. Ein Hundeführer, der keine Dominanz ausstrahlt und nicht konsequent gleichmäßig handelt, wird nie einen gut gehorchenden Hund besitzen. Richtige Erziehung schafft Vertrauen und Bindung. Vermenschlichte Erziehung, wie man sie heute an jeder Ecke sieht, schafft Verunsicherung und Fehlverhalten.

Wenn man sich einmal umschaut, sieht man viele Hunde, die ihr Leben lang an Schleppleinen, in Tragetaschen oder an Flexileinen laufen, vollgepumpt mit Leckerlis und Streicheleinheiten, aber krank, weil die Bewegung fehlt. Da ist nur der liebende Hundehalter glücklich. Psychologen sprechen hier schon vom Mama-Komplex, von der Vereinsamung der Menschen, die all ihre Liebe dem Hund zukommen lassen, andere Beziehungen verblassen unter diesem Aspekt. Hunde, die in der Familie keine Führungsperson haben, ständig betätschelt werden, keinen freien Auslauf bekommen und sich nur an der Leine in Sozialisierungsformen bewegen, werden psychisch und physisch krank. Durchfall, Hyperaktivität, Aggressivität, Allergien und vieles mehr, sind die heutigen „Zivilisationskrankheiten“ bei unseren Hunden.

Ist denn heute die Hundeausbildung anspruchsvoller, als zum Beispiel in den 80er Jahren?

Theodor Heßling: Das würde ich mit einem klaren Nein beantworten. Anspruchsvolle Erziehung, wie man sie bis in die 90er Jahren in vielen Schulen praktizierte, findet man kaum noch. Sie wird von „Experten“ als veraltet abgetan. Dabei wird vergessen, dass ein Hund nach wie vor ein Tier ist, welches durch Verknüpfung lernt und seinen Trieben folgt. Ich habe mir einmal moderne Fachbücher und deren Autoren angesehen, von 60 Büchern verschiedener Autoren über Hundeerziehung waren es nur 6 Personen, die ihre eigenen Leistungen belegen konnten.

Das war vor 20 Jahren noch ganz anders. Hier wurden Bücher von Fachleuten geschrieben, die durch Prüfungssysteme ihre Kompetenz belegen konnten. Wenn heute Probleme mit dem Hund auftreten, wird der Maulkorb, der Leinenzwang, die Konfliktvermeidung als Lösung empfohlen. Dabei sollten doch Konflikte behoben werden und dem Hundehalter erklärt werden, was er mit seinem Hund anders machen sollte um mit ihm die Konflikte bewältigen zu können.

Jeder möchte seinen Hund richtig erziehen. Die Vielzahl der Tipps in den sozialen Medien kann dabei verunsichern. Was halten Sie von vielen Erziehungstipps, die im Internet zu finden sind?

Theodor Heßling: Auch die Vielzahl von Tipps in den sozialen Medien trägt zur Verunsicherung des Hundehalters bei. Oft wechseln die Interessierten einen Trainer nach dem anderen, häufig ohne zum Ziel zu kommen. Nur weil ein Trainer Seminare besucht hat, ein Buch geschrieben hat, ist damit nicht belegt, dass er einen Hund in der Praxis erziehen kann. Das kann er nur belegen, wenn er persönlich auch von ihm ausgebildete Hunde auf anerkannten Prüfungen führt.

Heute ist es doch so: ein Trainer macht eine Prüfung in der Theorie und eine kleine Praxisführung über den Umgang mit einem Hund und wird staatlich anerkannter Hundetrainer. Es fehlt die Praxiserfahrung über die Beurteilung vom Fehlverhalten eines Hundes, die Erfahrung in der Umkonditionierung, die Beurteilung der einzelnen Triebanlagen und Charaktereigenschaften. So kann keine praktische Arbeit mit dem Hund erfolgen. Ein international bekannter Hundeexperte sagte einmal „Es ist bezeichnend, dass im Zeitalter der sozialen Medien meist das Erzählte reicht und nicht mehr das Erreichte zählt“. Da kann ich nur zustimmen.

Gibt es eine Gemeinsamkeit – also einen Fehler, den viele machen, deren Hund auffällig ist?

Theodor Heßling: Der einheitliche Fehler ist, dass Hundehalter ihren Hund aus einem falschen Blickwinkel sehen. Ein Hund ist kein „Tamagotchi“ oder ein Stofftier, welches Kindern zur Belustigung dient. Ein Hund ist ein Lebewesen, das erzogen werden will oder seine Menschen erzieht. Hunde werden heute oft als „Blitzableiter“ genutzt. Ist der Mensch einsam, sucht man den Hund als Kontakt, er wird behütet, bis er Verhaltensstörungen aufweist. Die Erziehung ist „softig“ wie ein Kaugummi, das Futter besteht aus Pasteten und Leckerlis.

An den Hund und seine Bedürfnisse wird nur eingeschränkt gedacht. Vordergründig steht nur die liebevolle Zuwendung. Nicht umsonst steigt in den letzten Jahren die Auffälligkeitsrate bei Hunden in den Bundesländern wieder an, übrigens besonders im Aggressionsbereich. Trotz der angeblich so guten Lehrmaterialien, Trainingsausbildung Hundeführerscheins. Das müsste zu denken geben.

Was würden Sie sich wünschen – für die Hunde dieser Welt?

Theodor Heßling: Vernünftige Hundebesitzer! Eine gute Erziehung, um das Leben von Hund und Halter stressfreier gestalten zu können. Nur ein erzogener Hund kann sich gut sozialisieren, neigt nicht zur Hyperaktivität und Fehlverhalten. Es stimmt mich immer sehr traurig, wenn ich in unseren Lehrgängen die armen Hunde sehe, die jaulend und kläffend bei ihren Herrchen und Frauchen an der Leine ziehen. Das Traurige ist zudem noch, dass diese Hundehalter schon viele Trainer um Hilfe aufgesucht haben. Dabei ist doch alles schnell zu erlernen und zu vermitteln, wenn man den Hundehaltern klar und deutlich erklärt, wie und was sie tun sollen im Umgang mit ihrem Hund. Hunde lernen sehr schnell, durch klare Ansagen, durch Körpersprache, Kommunikation sollte immer klar und deutlich sein.

Es gibt für mich doch nichts Schöneres, als freundliche Hunde zu treffen, die aufgrund ihres guten Gehorsams nicht zum Stressfaktor werden und dies angeleint wie unangeleint. Ich habe mich in meinem Leben für die Arbeit mit Hunden entschieden, denn ein Hund kann die alltäglichen Gefahren, denen er in der heutigen Zeit ausgesetzt ist, nicht selber bewältigen. Hier müssen wir ihm helfen. Als mein Urgroßvater 1856 sich schon einen Namen als Hundeausbilder im Münsterland machte, hat er sicherlich mit anderen Problemen zu kämpfen gehabt, wie ich heute. Heute gehen wir in die 4. Generation Hundetrainer und diese werden sich wohl mehr mit den Menschen als mit den Hunden befassen müssen. Denn nach wie vor lernt der Hund sein erwünschtes Verhalten immer über seinen Hundehalter und der wird immer schwieriger. Ein Trainer muss sich immer weiterentwickeln, aber er muss auch zu seinem eigenen Wissen stehen und nicht immer die Fahne in den Wind hängen nur um „modern“ zu sein. Nur der Erfolg bestätigt das Wissen!!

Vielen Dank, Herr Heßling, für das ausführliche Gespräch.

Fotos: Theodor Heßling/AdobeStock: Karoline Thalhofer, melounix


Theodor Heßling ist ein international bekannter Fachmann für problematische Hunde. Der Tierpsychologe wurde von diversen Organisationen für seine Arbeit mit Hunden ausgezeichnet.

Er war 15 Jahre Präsident des Fachverbandes für Hundeausbildung, -erziehung und Haustierforschung e.V. Seit 2017 hat er alle Ehrenämter abgegeben, um sich ganz den Aufgaben mit Hunden zu widmen.

Dieses Interview stammt aus der HundeWelt.

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