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Lucky und Fly – zwei Minenspürhunde

Irgendwann Anfang 2001 kam von einer englischen Hilfsorganisation die Anforderung zur Ausbildung von zwei Minenspürhunden. Die Hunde sollten zunächst in Sri Lanka und später dann in Afrika eingesetzt werden. Natürlich wünschte man sich die Hunde möglichst bald komplett ausgebildet vor Ort, aber genau hier liegt ein Problem …

Zunächst einmal mussten überhaupt die richtigen Hunde gefunden werden. Die beiden Spürhunde in spe müssen in jedem Fall über eine sehr hohe Spielmotivation verfügen, da sie in sehr schwierigen klimatischen Bedingungen mit hoher Luftfeuchtigkeit und hoher Temperatur immer volle Leistungsbereitschaft abrufen müssen. Dabei ist Voraussetzung, dass die Hunde eben dieses freiwillig und mit hoher Begeisterung machen, denn letztendlich kann kein Hund zum echten „Suchen“ gezwungen werden – viel zu viel hängt davon ab.

Nun, wir wurden ziemlich schnell fündig. Ein Border Collie-Rüde sollte abgegeben werden. Angeblich wäre die Hüfte nicht ganz in Ordnung und so wäre er für seinen damaligen Besitzer nicht einsetzbar gewesen. Wir fuhren zur Überprüfung hin, denn zumindest schauen wollten wir mal. Ein Minenspürhund im Einsatz muss normalerweise nicht häufig oder hoch springen, die Belastung des Bewegungsapparates ist überschaubar. Es kommt viel mehr auf die Konzentrationsfähigkeit und die grundsätzliche Arbeitsbereitschaft an.

Lucky und Fly – ein Leben als Minenspürhunde

Lucky, der Border Collie, überzeugte im Grunde sofort. Er besaß eine enorme Spielbegeisterung, dachte gar nicht daran aufzugeben, auch wenn sein Spielzeug außer Sicht oder für ihn völlig unzugänglich versteckt war. Auffällig war, dass er einen absolut hellwachen Eindruck machte, seinen Hundeführer genau beobachtete und sehr überlegt arbeitete. Alles in allem ein außerordentlich pfiffiger, quirliger Bursche mit viel Potenzial.

Wir nahmen ihn mit. Eine Untersuchung bei unserem Tierarzt bestätigte zwar, dass ein leichtes Problem im Hüftgelenk bestand, ihn vermutlich nicht unbedingt behindern sollte.

Ein paar Tage später meldete sich jemand, der mit seinem Malinoisrüden offensichtlich überfordert war, da der Hund sehr wahrscheinlich total unterfordert wurde. Am Telefon bestätigte uns der Hundebesitzer, dass Fly über einen extremen Spielwillen verfügte und überhaupt nicht zu bremsen wäre.

Gespannt machten wir uns auf den Weg und unsere Erwartungen wurden mehr als übertroffen.

Ich habe selten einen Hund gesehen, der so verrückt auf Suchen, Spielen und Durchkauen war, wie dieser Rüde. Körperlich völlig gesund, aber mental ein klein wenig an der Grenze zum Wahnsinn. Sobald er einen Ball, eine Beißrolle oder etwas Ähnliches wahrnahm, setzte bei ihm der Verstand völlig aus.

Zugeben muss man, dass Fly sowieso nicht unbedingt auf den ersten Blick den cleversten Eindruck machte. Er hatte nicht gerade einen schön geschnitten Kopf und riesige Schlabberohren. Anders als Lucky suchte er auch nicht ein einziges Mal Blick‐ kontakt mit irgendeinem Menschen, sondern war voll auf unser Kunststoffröhrchen fixiert, mit dem wir die Grundausbildung durchführen.

Die ersten Tests

Während der Überprüfung versteckte ich das Röhrchen in einem alten runden Kohleofen mit kleinen Klappen aus Gusseisen an der Vorderfront. Eigentlich wollte ich sehen, wie er sich verhält, wenn er keine Chance hat, direkt an das Spielzeug ranzukommen. Bleibt er und versucht irgendetwas oder bricht er ab und geht zurück zum Hundeführer?

Nichts dergleichen! Aus einer Entfernung von etwa 10 m wurde er von der Leine gelassen, schoss an mir vorbei und tauchte mit voller Geschwindigkeit und ohne zu zögern in die Klappe ein. Er schaffte es tatsächlich, mit seinem etwas dreieckigen Kopf in der Klappenöffnung zu verschwinden und konnte sich auch tatsächlich das Kunststoffrohr greifen.

Das Problem: Wir kriegten ihn nicht wieder heraus. Kopf und Röhrchen rückwärts durch die Klappe rauszubekommen war nicht möglich. Fly wiederum dachte gar nicht daran, seine Beute loszulassen, obwohl wir mit drei Leuten versuchten, ihn herauszuziehen.

Das Ganze hat fast eine halbe Stunde gedauert, dann ließ seine Kondition wohl etwas nach. Wir hatten ihn gerade glücklich heraus, da sprang er direkt wieder in die Klappe. Trotz oder auch gerade wegen dieser etwas ungewöhnlichen Vorstellung nahmen wir ihn mit und das Training mit Lucky und Fly konnte beginnen.

Das Training beginnt

Zu Beginn des Trainings wird nur gespielt, gespielt und nochmals gespielt. Das Spielzeug duftet natürlich nach dem Zielgeruch, in diesem Fall nach den Sprengstoffen, die in den unterschiedlichen Minen und Granaten vorkommen. Die Aufgabe eines Minenspürhundes ist es ja nicht nur, in einer Minensperre Minen aufzuspüren, er sollte auch in der Lage sein UXO (Blindgänger) anzeigen zu können.

Im zweiten Ausbildungsschritt wird dann das Spielzeug außer Sicht des Hundes versteckt und er muss dann schon selbstständig danach suchen. Nachdem der Hund gefunden hat, darf er bei mir den Gegenstand aufnehmen und damit spielen. Erst wenn der Hund sicher sucht und auch unter erschwerten Bedingungen findet, wird

überprüft, ob der Geruch des Sprengstoffes vom Hund abgespeichert wurde. Zu diesem Zweck wird in einem, der Realität sehr nahe kommendem Behälter, der reine Zielstoff, für den Hund unerreichbar, auf einer Suchstrecke versteckt. Am Ende dieser Suchstrecke befindet sich das gewohnte Spielzeug, ebenfalls mit dem Zielstoff. Zeigt der Hund die gewünschte Reaktion bei Erreichen des puren Zielstoffes, kann davon ausgegangen werden, dass der Hund den Geruch verknüpft hat. Sollte er nur eine schwache oder gar keine Reaktion zeigen, sein Spielzeug (das ebenfalls mit dem Zielstoff kontaminiert ist) aber sicher finden, ist er noch nicht soweit. Natürlich ist das ganze Verfahren ein klein wenig komplizierter als hier dargestellt, denn es kommt auf viele unterschiedliche Faktoren an.

Aber beide Hunde waren nach zwei Wochen so weit, dass sie in der Lage waren, die Zielstoffe zu erkennen und auch anzuzeigen.

Der nächste und für einen Minenspürhund wichtige Ausbildungsschritt besteht darin, dem Hund beizubringen, eine Fläche nach ei‐ nem bestimmten Muster abzusuchen und gleichzeitig auf stetig klei‐ nere Mengen Stoff zu reagieren. Der Hund muss lernen, sich voll auf die abzusuchende Fläche zu konzentrieren. Denn sein „Spielzeug“ wiegt nur noch knapp 1 Gramm und ist, in einer Kunststoffbox oder auch in Metall verpackt, unter der Erdoberfläche vergraben.

Gleichzeitig ist extrem darauf zu achten, dass keine Fehlverknüpfung beim Hund entsteht. Schnell merkt er nämlich, dass der Sprengstoff immer dort sein könnte, wo es nach frischer Erde riecht (vom Eingraben des Suchgegenstandes). Oder dass die Mine immer dort liegt, wo seltsame Zeichen sind … Ich habe mir nämlich immer Wäscheklammern an der Hilfslinie befestigt, um auch selbst sicher zu wissen, wo genau die „Mine“ vergraben liegt, damit ich den Hund entsprechend korrigieren oder auch punktgenau bestätigen kann.

Lucky war extrem findig darin, mich auszutricksen. Er beobachtete mich sehr genau und wusste meist schon beim zweiten Mal, wie ich die Fundstelle für mich gekennzeichnet hatte.

Zunächst hatte ich die Wäscheklammer genau über der Fundstelle, das hatte er direkt sofort raus; dann habe ich die Klammer einen Meter vor der Fundstelle oder einen Meter dahinter befestigt.

Später arbeitete ich mit drei Klammern hintereinander, wobei dann mal die erste oder zweite oder die dritte die Stelle markierte. Lucky durchschaute mich stets. Irgendwie machte er sich immer einen Spaß daraus, mich vorzuführen, obwohl er alle Gerüche vollständig verstanden hatte und auch, wie er an der Linie laufen sollte.

Fly hingegen war da völlig anders. Meine Markierungen zu durchschauen überstieg seine gedanklichen Fähigkeiten sowieso. Überhaupt war er zwar mit Begeisterung bei der Sache, aber meist hatte er nach wenigen Stunden alles wieder vergessen.

Zu hohe Motivation blockiert halt die Denkfähigkeit. Er war im‐ mer völlig entsetzt, wenn er falsch angezeigt hatte und nicht spielen durfte. Er hatte offensichtlich noch nicht verstanden (oder wieder vergessen), dass Anzeigeverhalten nur toll ist, wenn auch der Suchstoff vor ihm liegt. Das Ganze hat ihm dann den Spitznamen „Scoobidou“ eingebracht. Der ist ja auch bekannt für seine rasche Auffassungsgabe.

Nun, irgendwann hatte auch Fly verstanden, worum es geht und hat, nebenbei bemerkt auch mit wechselnden Hundeführern, nie wieder einen Fehler gemacht. Er war wohl froh, zum ersten Mal in seinem Leben irgendetwas wirklich verstanden zu haben. Lucky versucht heu‐ te noch, seinen Hundeführer gelegentlich auszutricksen, weiß aber ganz genau, wann es ernst wird. Denn in einer Minensperre ist volle Konzentration gefragt.

Auf nach Sri Lanka

Die beiden machten sich also auf nach Sri Lanka, ihrem ersten Einsatzort. Wir bezogen mit den Hunden Quartier in der Mitte der Insel, damit wir vor Ort noch einmal intensives Training durchführen konnten. Es gab für die Hunde natürlich völlig neue Geruchsbilder und Eindrücke, die erst einmal verarbeitet werden wollten.

Lucky hätte sicherlich angemessen reagiert, bei Fly wäre ich mir nicht sicher gewesen. Es hätte gut sein können, dass er versucht hätte mit einer Kobra zu spielen.

Gott sei Dank blieben den beiden unliebsame Begegnungen mit Schlangen und wilden Elefanten, die unsere Trainingsflächen häufig besuchten, erspart. Lucky hätte sicherlich angemessen reagiert, bei Fly wäre ich mir nicht sicher gewesen. Es hätte gut sein können, dass er versucht hätte mit einer Kobra zu spielen. Das Training mit den neuen Hundeführern klappte sehr gut, sodass schon bald die Teams auf Einsatzfähigkeit geprüft werden konnten und arbeiten durften.

Der Einsatz in Sri Lanka wurde leider aus politischen Gründen sehr früh abgebrochen und es ging dann nach Kenia.

Dort wurden beide Hunde in dem IMATC (International Mine Action Training Centre) der britischen Armee eingesetzt.

Dort war es ihre Aufgabe, den Angehörigen von Minenräumtrupps zu zeigen, wie ein Minenspürhund eingesetzt wird und welche Erfolge dieser Einsatz haben kann.

Wir hatten einen amerikanischen General zu Gast und unsere Aufgabe war es, diesem die Einsatzfähigkeit und Effizienz der Hunde vorzuführen.

An dem Tag schüttete es wie aus Kübeln, normalerweise kann bei so einem Wetter nicht gesucht werden. Aus terminlichen Gründen war aber die Vorführung nicht zu verschieben. Alle in unserem Team waren aufgrund des Wetters entsprechend nervös, schließlich wollten wir den guten Mann von den Fähigkeiten der Hunde überzeugen. Lucky und Fly schafften es beide, im strömenden Regen ein Tuch von 5 x 5 cm, das lediglich mit TNT kontaminiert war und ca. 2 cm tief im Boden steckte, sauber anzuzeigen. Dies war eine sehr bemerkenswerte Leistung.

Beide Hunde blieben ca. 3 Jahre im IMATC und setzten dann ihren Weg in Uganda fort. Dort fanden beide zum Teil bis zu 60 Antipersonenminen in einer Woche. Man kann sich vorstellen, wie viele Menschenleben durch den Einsatz von Lucky und Fly gerettet wurden. Ihren Ruhestand verbrachten die beiden in Tansania auf einer Farm. Fly wurde dann sogar noch Papa. Die Hündin brachte 8 Welpen zur Welt. Vielleicht können diese ja mal irgendwann in Luckys und Flys Fußstapfen treten …



Martin Weitkamp beschäftigt sich seit 40 Jahren mit der Ausbildung von Hunden.
Damals startete er mit der Ausbildung von zivilen Sprengstoffspürhunden, die zu dem Zeitpunkt in Deutschland noch extrem selten war. Im Rahmen dieser Tätigkeiten war er in vielen Ländern für die Ausbildung, das Training und den Einsatz der Hundeteams vor Ort verantwortlich. Durch die Arbeit für die US-Army, die British Forces, sowie für die Bundespolizei konnte Martin Weitkamp ein breites Spektrum an Erfahrung für die Anforderungen und Einsatzbedingungen in vielen verschiedenen Bereichen gewinnen.

Martin Weitkamp ist ebenfalls seit Jahren Autor für das Magazin HundeWelt.

Diese Story ist eine von vielen spannenden wahren Geschichten.
Wer gerne mehr lesen möchte, sollte sich unbedingt Martin Weitkamps Buch ansehen.


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