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Der ruhigste Rüde aus dem Wurf

Als wir Finley bei unserem Züchter abholten, war das für alle ein sehr emotionaler Nachmittag. Elisabeth, Michaels Frau hatte es nicht ausgehalten, sich von den Welpen zu verabschieden und war zu ihrer Mutter gefahren. Michael selber war leichenblass, hielt sich aber noch ganz gut. Er hatte die Abholzeiten so getaktet, dass sich die Welpenfamilien nicht begegneten. So konnte er sich auf jeden einzelnen Abschied gleich gut konzentrieren.

Wieder saßen wir an seinem Esszimmertisch.

Vor mir lag ein grüner Ordner. In diesem befanden sich der Kaufvertrag, der Impfpass, ein paar Unterlagen vom Zuchtverein. „So heute ist es nun soweit“, sagte Michael, „ihr könnt mich immer anrufen, wenn ihr Fragen habt. Ich mache mir da aber keine Sorgen, ihr habt den ruhigsten Rüden aus dem Wurf bekommen.“ Michael bot für seine Welpenleute am Wochenende ein Training an. Das kam mir ganz gelegen. Zwar hatten wir in unserer Gegend ein paar Hundeschulen, aber welche davon war für uns geeignet? Ich kam mit Michael gut zurecht, also sagte ich zu. „Klar, da kommen wir auch.“
Wir bekamen eine Retrieverleine von Michael geschenkt. Mit dieser Leine sollten wir unseren Hund trainieren. Dann war der Moment da, wir waren alle sehr aufgeregt. Michael nahm Finley noch einmal auf den Arm und drückte ihn an sich. Mit Tränen in seinen Augen übergab er mir meinen Hund. Ich setzte mich auf den Beifahrersitz und nahm Finley auf meinen Schoß. Wir hatten es nicht sehr weit, es waren nur knapp 15 Minuten Fahrt. Es konnte beginnen, unser wundervolles, gemeinsames Leben.

Finley war von den ganzen Vorgängen nicht halb so begeistert wie wir.

Er sträubte sich und wand sich. Während ich ununterbrochen versuchte, meinen protestierenden Welpen daran zu hindern, aus dem Fenster zu springen, redete Philipp mantramäßig auf ihn ein. „Alles wird gut mein Kleiner … tief durchatmen … wir wollen nur das Beste für dich … ich bin jetzt dein Papa …“ Ich war mindestens so genervt davon, wie mein Hund und sagte: „Philipp bitte, sei lieber ruhig. Das regt ihn nur noch mehr auf.“ Als hätte er mich nicht gehört, sagte Philipp zu mir: „Lass mich mal machen, Birgit“ Na denn…
In diesem Moment bewegte sich Finley nicht mehr so stark, aber er gab merkwürdige Geräusche von sich. Es klang wie ein Pumpen, sein kleiner Körper wand sich schlangenartig auf und ab, „wwmmppp, wummppp, WUOAAAAA“. Unser neuer Hausgenosse erbrach sich über mir. Ich stank fürchterlich. Darauf waren wir natürlich nicht vorbereitet gewesen. Philipp hielt kurz an und ich säuberte mich, so gut es ging. Wie sich in ein paar Minuten herausstellen sollte, war die Mühe umsonst gewesen, denn Finley reiherte mich auf der kurzen Strecke noch drei weitere Male ein. Philipp hatte, ganz pragmatisch, die Entscheidung getroffen, dass es sich nicht lohnen würde, noch einmal anzuhalten. „Jetzt ist es auch schon egal. Lass uns zusehen, dass wir nach Hause kommen. Pass auf die Autositze auf, Birgit.“ Mir stieg ständig der säuerliche Geruch von Erbrochenem in die Nase und ich hatte alle Mühe damit, mich nicht auch noch zu übergeben. Danke Philipp, du machst das schon …

Das Leben lehrte mich auf dieser Fahrt meine erste Hundehalter-Lektion: Wenn du einen Hund hast, dann gibt es keine sauberen Hosen, Blusen oder Schuhe mehr. Sabber, Kotze, Modder, Matsch werden deine täglichen Begleiter. Arbeite an deiner inneren Einstellung, Birgit, das ist kein Schmutz, sondern Hundeglitzer!

Wir kamen zuhause an, frische Luft. Ich atmete tief ein.

„Lass bloß die Fenster ein bisschen runtergekurbelt, damit dieser Höllengestank verschwinden kann“, sagte ich zu Philipp. Auf dem Fußweg erwartete uns ein kleines Empfangskomitee. Linnea und Finja hopsten vor Aufregung auf und ab, meine Mutter betrachtete meine vollgespuckte Oberbekleidung mit Abscheu und unsere Nachbarn standen etwas abseits und beäugten unseren Familienzuwachs skeptisch. Mit anderen Worten, unruhiger hätten wir die Ankunft unseres Welpen nicht gestalten können.
Ich hatte Finley noch auf dem Arm, da stürzten alle auf uns zu, um den süßen Welpen zu begutachten. „Bitte nicht alle auf einmal“, versuchte ich das Chaos in den Griff zu bekommen. Vergeblich. „Nein ist der süß …“, „Wie niedlich …“, „Was riecht hier so komisch …“ Alle plapperten durcheinander, bis ich ein mir inzwischen wohlbekanntes Geräusch wahrnahm. „Wwwmmppp, wummppp, WUOAAAAA!“ In einem gigantischen Schwall erbrach sich Finley über die Seidenbluse meiner Mutter. Was soll ich sagen, plötzlich hatten wir unsere Ruhe. „Ähm, ja dann bis morgen“, „Man sieht sich“ und meine Mutter, „Birgit, was hast DU mit dem Tier gemacht!“ Sie fuhr sofort nach Hause.

Ich atmete kurz durch, übergab Finley an meinen Mann und zog meine vollgespuckten Klamotten aus. Als ich wieder zur Familie stieß, lagen meine Mädchen und Finley zusammengerollt auf dem Teppich und kuschelten miteinander. Na, es geht doch, dachte ich und setzte mich dazu. Die ersten Tage zuhause mit Finley waren schön, schließlich hatten wir, schenkte man dem Bekunden unseres Züchters Glauben, „den ruhigsten Rüden“ aus dem Wurf bekommen. Wenn ich ehrlich bin, ich war naiv gewesen und hatte mich zu hundert Prozent auf den Wahrheitsgehalt seiner Worte verlassen.

Die ersten Nächte mit Finley verliefen, so würde ich es aus heutiger Sicht beurteilen, normal.

Ich hatte mir ein Schlaflager im Wohnzimmer eingerichtet, so konnte der Rest der Familie durchschlafen. Finley machte mich nachts ein paar Mal wach. Dabei war er außerordentlich erfinderisch, was die Methoden betraf. Entweder fiepte und jaulte er, bis ich mich aus dem Traumland verabschiedet hatte, oder er leckte mir über das Gesicht und manchmal legte er sich auf meine Brust.
Wenn es ihm zu lange dauerte, konnte es aber auch passieren, dass er die Geduld verlor und mir mit voller Wucht aufs Gesicht sprang. In einer Nanosekunde saß ich aufrecht im Bett, lallte etwas Unverständliches, mein Herz raste wie verrückt und ich hatte Mühe, meine Fassung wiederzufinden. Finley schien mit seiner Aktion jedoch zufrieden gewesen zu sein, denn er schaute mir treuherzig in die Augen. „Hey du, endlich wach? Ich würde jetzt gerne mal für kleine Königsgolden.“
Dann leinte ich den Satansbraten an und ging mit ihm, mir immer noch die schmerzende Nase reibend, in den Garten und hoffte, dass er sein Geschäft möglichst schnell erledigen würde. Das schnelle Geschäft, das lernte ich gleich anfangs, war nicht so sein Ding. Bevor er Pipi machte, schnüffelte er den gesamten Garten ab, es war ihm offenbar nicht egal, wo er seine Hinterlassenschaften platzierte.

Es konnte passieren, dass er dann an seinem Fussball stehen blieb und mich auffordernd anschaute. „Naaaa Frauchen, sei kein Frosch. Wie wäre es jetzt mit einer Runde Gartenfußball. Ich lass dich auch gewinnen.“ Um 3.00 Uhr morgens? Geht’s noch? Sei kein Frosch! Unverschämtheit! In diesen Momenten wäre ich liebend gerne ein Frosch gewesen, die konnten wenigstens den ganzen Winter durchschlafen. Wo war eigentlich Finleys innere Uhr geblieben, die ihn tagsüber immer äußerst pünktlich darauf aufmerksam machte, dass es Zeit für die nächste Mahlzeit war?
Überhaupt hatte ich den Eindruck, dass Finley die Ungeduld in die Wiege gelegt worden war. Konnte er etwas, das er tun wollte nicht sofort umsetzen, wurde er knatschig und bellte. Ließen wir ihn auch nur eine Sekunde aus den Augen, stellte er jede Menge Unfug an. Die Sache mit dem „ruhigsten Rüden aus dem Wurf“ hatte sich nach vier Tagen komplett erledigt. Nichts war so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich hatte einen Kinderwagenbegleitschleichhund erwartet und bekam eine Bodenluftlenkrakete ohne Bremsvorrichtung.

Langsam hatte Finley verstanden, dass er bei uns bleiben würde.

Er fühlte sich immer wohler bei uns und wurde selbstsicherer. Das war schön … eigentlich. Je wohler er sich fühlte, desto kiebiger wurde er aber auch. Das war nicht so schön. Er piesackte unsere Jüngste. Sie konnte sich nirgendwo hinsetzen, ohne dass Finley versuchte, ihr die Socken auszuziehen, die Jeans durchzukauen oder ihr in die Arme zu zwicken. Wir versuchten, es zu unterbinden, mit mäßigem Erfolg. Fragte ich meinen Züchter, sagte er, ich solle mich „liebevoll und konsequent“ verhalten. Finley müsse lernen, was das Wort „Nein“ bedeuten würde. Michael sagte mir aber nicht, wie ich das hätte machen sollen. „Niemals nachgeben, Birgit und niemals nachlassen.“ Wow, okay …
Das mit dem „Nein“ hatten wir immer wieder versucht. Aber es half nicht. Ähnlich wie Luis Trenkers Hilferuf, „Maria, hülf mia“, eigentlich in jedem seiner Berg-Unfall-Filme, verhallte unser Nein ungehört im Universum.

„Das klären wir bei unserem Wochenendtraining“, sagte Michael zu mir. Bis zu unserem ersten Training sollten aber noch zwei quälend ereignisreiche Wochen vergehen.
In diesen zwei Wochen ließ mein süßer Flufffluff-Welpe den Macho raushängen. Womit ich sagen will, dass Finley durchaus an einer guten Erziehung interessiert war, nur eben nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Mit anderen Worten, er nahm mich ordentlich ran.
Wenn ich nicht sofort verstand, was er wollte, oder noch unverschämter, ihm seinen Willen nicht erfüllen wollte, baute Finley sich vor mir auf, machte sich breit, zeigte mir seine Zähne und schickte ein erstaunlich tiefes Donnergrollen in meine Richtung.

Vielleicht hätte ich ihn Thor nennen sollen.

Finleys Frustrationstoleranz befand sich auf Level minus zehn. Impulskontrolle hielt er ohnehin für überflüssig. Und ich? Zu meiner immerwährenden Schande muss ich gestehen, ich war damit überfordert.
So ein Verhalten wurde in keinem meiner Bücher auch nur ansatzweise erwähnt, jedenfalls nicht bei einem Welpen. Und Michael, den sollten wir ja erst in einer Woche sehen. Ich schützte meine Kinder und versuchte irgendwie, dieses ominöse „liebevoll und konsequent“ umzusetzen. Meinem Hund waren meine Bemühungen vollkommen wurscht. Es gab Momente, da sah ich traurig auf Finley und dachte, „Junge, ich mag dich nicht“. Auf dem Fuße durchfuhr mich eine heiße Welle aufsteigender Scham. Wie kannst du nur Birgit, er ist doch so süß und so hübsch. Das ist alles deine Schuld, das schaffst du nie, du hast dich übernommen.“
Der Druck war enorm groß. Nicht nur, dass ich meinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht wurde, geschweige denn Finleys. Philipp war unzufrieden mit mir, weil es mir nicht gelungen war, Finley innerhalb von drei Wochen durch zu erziehen. Die Mädchen nahmen es mir übel, dass ich viel Zeit mit Finley verbrachte, in der ich mich nicht voll auf sie konzentrieren konnte.

„Du hast den Hund wohl lieber als mich, Mama“, wurde mein tägliches Mantra. Meine Mutter besuchte uns verdächtig häufig in dieser Zeit. Ich hatte sie in Verdacht, dass es sie amüsierte, zu beobachten, wie ich mich abstrampelte. Sie hatte immer ein (un)passendes „Das konnte ja nicht gut gehen“ oder ein „Du hast es ja so gewollt“, parat.

In dieser Zeit lernte ich meine zweite, wichtige Hundehalter-Lektion: Hast du einen Hund Birgit, brauchst du ein verdammt dickes Fell.

Abends hing ich in den Seilen wie Rocky Balboa, nachdem er seinen Kampf gegen Ivan Drago verloren hatte.

Geschunden, geschlagen und körperlich und mental am Ende. Aber wie Rocky, rappelte ich mich jeden Morgen wieder auf und nahm den neuen Tag in Angriff. Mangelnde Kampfmoral konnte man mir nicht nachsagen. Außerdem fing ja bald das Training bei meinem Züchter an. Ab dem Zeitpunkt würde alles besser werden. Endlich unter Leuten sein, die dieselben Probleme mit ihren Hunden hatten. Das würde mir guttun. An dem Gedanken hielt ich mich fest. Doch wie sagte schon der englische Dichter Alexander Pope: „Irren ist menschlich, vergeben ist göttlich.“

Es sollte noch geraume Zeit dauern, bis ich Finley dazu bringen konnte, mein „Nein“ zu akzeptieren. Es war ein zäher, langwieriger Weg, von dem ich euch in den kommenden Kapiteln erzählen werde. Angelehnt an Alexander Pope würde ich sagen, in der folgenden Zeit saß ich noch unzähligen Irrtümern auf, die mir Finley vergeben musste.

Foto: AdobeStock/Christian Müller


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