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Einsatz auf vier Pfoten! | Teil 47

Der Hund am Bahngleis: Wer sich mit Hunden auskennt, weiß auch mit anderen Tieren umzugehen. Dieser Meinung sind die meisten Funksprecher der Einsatzzentrale und beordern uns Hundeführer zu Einsätzen, bei denen Pfoten keine Rolle spielen.

So durfte ich mich schon am Einfangen von entlaufenen Rindern oder Schafen und freiheitsliebenden Papageien beteiligen, also Paarhufer und Krallengeflügel. Ich mag Abwechslung. Gerne unterstützte ich auch die Kollegen bei ihren Aufgaben, sei es, um eine Unfallstelle abzusichern oder einen Streit zu schlichten. Fiel im Zusammenhang mit einem Auftrag über Funk das Stichwort „Hund“, war so sicher wie das Amen in der Kirche, dass jemand von der Hundestaffel hinzugezogen wurde – sofern wir uns nicht schon selbst angeboten hatten.

„Er lebt noch“

Dumpfes Bellen drang aus meiner Hosentasche. Dreimal. Wauwauwau, die Tonleiter abwärts. Der ungewöhnliche Klingelton meines Diensthandys stammte von einem Kollegenhund, dessen Stimme ich aufgenommen hatte, weil ich sie besonders schön fand. Tief und kräftig. Schrilles Gebelle tut mir in den Ohren weh. Wauwauwau machte das Telefon zum zweiten Mal. Ich drückte auf die grüne Taste.
Der Dienstgruppenleiter der Inspektion Ost hatte einen Auftrag für mich: „Könntest du bitte mal zum S-Bahnhof Gleißbühl schauen? Dort liegt irgendwo ein Hund neben den Gleisen. Er lebt noch.“
Am liebsten hätte ich behauptet, dass ich schon einen anderen Einsatz hatte. Oder mein Streifenwagen nicht ansprang. „Ich fahre sofort los“, antwortete ich und versuchte, möglichst neutral zu klingen. Es misslang. Hund am Gleis. Wahrscheinlich angefahren. … Lebt noch … Was würde mich erwarten? Mit einem sehr flauen Gefühl im Magen fuhr ich zum Bahnhof Gleißbühl. Ich beeilte mich, obwohl ich nicht dorthin wollte. Blaulicht und Martinshorn durfte ich in diesem Fall nicht einschalten. Das ist nur erlaubt, wenn Menschenleben oder bedeutende Sachwerte in Gefahr sind. Oder Straftaten verhindert oder verfolgt werden sollen. Nichts davon traf zu. Nur ein Hund, der noch lebte. Die nächste Ampel überfuhr ich trotzdem bei Rot. Gut oder schlecht? Für mich oder den Hund? Wenn ich langsamer fuhr, musste ich den Hund vielleicht nicht von seinem Leiden erlösen. Aber vielleicht war es ja gar nicht so dramatisch, und ich konnte Schlimmeres verhindern, wenn ich Gas gab?

Töten kostet Überwindung

Einen Hund, überhaupt ein Tier töten zu müssen, war für mich eine schreckliche Vorstellung. Vor einigen Jahren blieb mir einmal nichts anders übrig. Ein Feldhase kroch vor mir über die Fahrbahn. Ja, er kroch. Denn ihm fehlten die Hinterläufe. Sie waren ihm abgefahren worden. Als ich mich dem armen Tier näherte, fing es an zu schreien und verkroch sich unter einem Busch. Bis dahin wusste ich nicht, dass Hasen schreien können. Herzzerreißend. Mir schossen Tränen in die Augen, als ich mit meiner Pistole auf ihn anlegte. Meine Hände zitterten. Verdammt, warum ausgerechnet ich? War keiner unserer Hobbyjäger im Dienst? Aber ich durfte nicht warten, bis einer kam, das Tier litt Höllenqualen. Ich holte tief Luft, hielt sie dann an und zog langsam den Abzug durch. Das Projektil warf den Hasen um. Er war sofort tot. Und ich für den Rest der Nachtschicht traurig.

Mir stockte der Atem

Als ich am Bahnhof ausstieg, bellte mein Handy wieder. Diesmal war es die Einsatzzentrale. Der Hund liege etwa fünfzig Meter vom Bahnhof entfernt, stadteinwärts, direkt an der ICE-Trasse. Die Lokführer seien informiert und angewiesen, in Schrittgeschwindigkeit an der Unfallstelle vorbei zu fahren. Nicht wegen des Hundes, versteht sich. Wegen mir. Ich hastete die Stufen hinauf, rannte bis ans Ende des leeren Bahnsteiges. Und da sah ich ihn schon. Ein hellbrauner, kurzhaariger Mischling. Mittelgroß. Er lehnte stehend an der Lärmschutzwand, die die Trasse von der angrenzenden Siedlung trennte. Ich sprang hinunter ins Gleisbett und lief schräg über die Schienen in seine Richtung. Ein Intercity-Express näherte sich vom Hauptbahnhof her. Er fuhr tatsächlich sehr langsam. Aber ich schaffte es nicht mehr, die andere Seite zu erreichen. Während sich der monströse Zug zwischen uns schob, hoffte ich inständig, der Hund würde bleiben, wo er war. Bitte jetzt keine Panikreaktion! Wie lang ist so ein ICE eigentlich? Länger, als ich den Atem anhalten konnte.

Leben oder Tod?

Der Hund war noch da, als endlich der letzte Waggon an mir vorbei geglitten war. Er lehnte weiterhin an der verklinkerten Betonmauer. Aber er hatte sich gesetzt und zitterte am ganzen Körper. Beruhigend auf ihn einredend, näherte ich mich ihm langsam. Eine Schürfwunde an seiner Stirn zeugte davon, dass er mit etwas zusammen geprallt war. Seine Vorderläufe waren rot gefärbt, doch ich entdeckte keine Verletzung an ihnen. Aus seinen Augen und der Nase rann Blut, sammelte sich an seinem Kinn und tropfte auf seine Beine. Schädelbruch, schoss es mir durch den Kopf, oh mein Gott, der arme Kerl.
Vorsichtig streckte ich ihm meine Hand hin. Seine Oberlippe zuckte nach oben, zeigte abgebrochene Reißzähne. Der Aufprall musste heftig gewesen sein. Seine braunen Augen wichen meinem Blick aus. Er hatte Angst. Und er musste sich elend fühlen. Wie ich. Ich tastete mit der Rechten nach meiner Pistole, öffnete das Holster – und schloss es wieder. So lange der Hund eine Chance hatte zu überleben, sollte er sie bekommen. Aber wie konnte ich ihn von hier weg zum Tierarzt bringen?

Hier erfährst du, wie es weitergeht.

Elmar Heer arbeitet seit 40 Jahren als Polizeibeamter. 1990 wechselte er vom Streifendienst zur Diensthundestaffel Mittelfranken. Schon früh entdeckte er seine zweite Leidenschaft: das Schreiben. Mit seinem Buch „Partner auf Leben und Tod“, erschienen bei Droemer-Knaur, gewährt der Autor dem Leser einen Einblick in Leben und Arbeit eines Polizeihundeführers. Er erzählt über seine Aufgaben als Hundeführer, die umfangreiche Ausbildung von Polizeihunden und über spannende, heitere und auch tragische Einsätze, die er mit seinen Schäferhunden Gundo, Bux, Carina und Sam erlebte.



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