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Die ersten Wochen stellen die entscheidenden Weichen | Verantwortung „Welpenaufzucht“

Der selbstbewusste, ausgeglichene und in sich ruhende vierbeinige Partner fürs Leben … Das ist die Idealvorstellung, die Züchter und künftige Besitzer gleichermaßen von ihrem Nachwuchs und Familienmitgliedern haben. Auch wenn der Weg dorthin oft ganz selbstverständlich scheint, muss man doch viele einzelne Schritte bewusst richtig setzen, um dieses gemeinsame Ziel aller zu erreichen.

Vieles davon liegt in der Verantwortung des Züchters: Die Aufzuchtbedingungen spielen dabei eine ebenso zentrale Rolle wie eine verantwortungsbewusste Übergabe der Welpen an die neuen Besitzer.

Gerade in den vergangenen Jahren haben Medizin und Verhaltensforschung viel darüber gelernt, welch fundamentale Bedeutung die Umgebung auf die Entwicklung eines neugeborenen Welpen zu einem ausgeglichenen, physisch und psychisch gesunden Familienmitglied hat. Die Epigenetik hat uns viele Aspekte gelehrt und darüber hinaus auch zahlreiche Erfahrungen wissenschaftlich bestätigt. Während der Zeit der Aufzucht beim Züchter und der Sozialisierungsphase zwischen der 4. und 12. Lebenswoche entwickelt sich zeitgleich das Nervensystem des Welpen. Wie und in welcher Weise, das hängt zu einem Großteil von der Umgebung und den Erfahrungen ab, die der Welpe während dieser Zeit macht.

Wie ein Hund sich im Erwachsenenleben verhält, ist also nicht nur genetisch prädisponiert, sondern zu einem wesentlichen Teil auch die Folge der Umwelt, die ihn während der sensiblen Phase seiner ersten Lebenswochen umgibt. Die „BreederSpecial“ – Redaktion sprach mit der renommierten und erfahrenen Verhaltensberaterin Katharina Aberle über diese bedeutende und unwiederbringliche Zeit im Hundeleben, die die Weichen fürs Leben stellt. 

Frau Aberle, die ersten Wochen nach der Geburt, die der Welpe beim Züchter verbringt, und die erste Zeit im neuen Zuhause gehören zu den entscheidendsten Phasen im Leben eines Hundes. Worauf sollten Züchter während der Welpenaufzucht das Hauptaugenmerk legen?

Katharina Aberle: Unmittelbar nach der Geburt und in den ersten Wochen ist die Ruhe der Mutterhündin zweifellos der wichtigste Aspekt. Die Mutter sollte während dieser Zeit nicht herumfahren oder irgendwelche Unternehmungen starten müssen, sondern die Welpen sollten im Idealfall zwei Drittel der Zeit in Körperkontakt mit der Mutter verbringen können. Wenn man der Mutter und ihrem Nachwuchs diese Zeit nicht gibt, signalisiert man dem jungen Lebewesen, dass es sich in einem feindlichen Umfeld befindet. Damit werden sofort entsprechende epigenetische Mechanismen gestartet, die einen wesentlichen Einfluss auf die spätere Stressresistenz der Welpen haben. Diese Kontaktintensität, die im Anschluss der neue Besitzer fortsetzen muss, ist absolut unverzichtbar. Welpen in eine Box setzen oder wegsperren ist eine massive epigenetische Beeinflussung, die Auswirkungen auf das gesamte spätere Leben hat.

Der Züchter kann die Epigenetik enorm beeinflussen – und das nicht erst während der Aufzucht und in den ersten Lebenswochen, sondern bereits beim Deckakt. Wir wissen in Bezug auf den Menschen um die Tragik, dass nach Vergewaltigungen Kinder aus drei Generationen von den damit verbundenen epigenetischen Veränderungen im Erbgut beeinflusst sind. Nach traumatischen Erlebnissen, etwa auch nach einem schweren Autounfall, ist die Interaktion zwischen verschiedenen Hirnarealen verändert. Wenn ein Rüde nun beispielsweise unmittelbar nach einer derartigen Situation deckt, haben die Welpen die Konsequenzen zu verkraften. Eine entspannte Atmosphäre beim Deckakt und die Ruhe der Elterntiere haben bereits erste epigenetische Konsequenzen auf das künftige Leben. Unter diesem Gesichtspunkt wäre es wahrscheinlich oftmals gescheiter, wenn der Rüde die Reise zur Hündin antreten würde statt umgekehrt. 

Fürsorge der Mutter fördert Stressresistenz: Warum ist das Verhalten der Mutterhündin den Welpen gegenüber von so entscheidender Bedeutung für deren späteres Wesen, und warum haben fürsorgliche Mütter entspanntere Nachkommen? Heute kann die Wissenschaft derartige Fragen beantworten: So spielt ein spezielles Glucocorticoid-Rezeptor-Gen im Zusammenspiel mit dem körpereigenen Stresshormon Kortisol für die Fähigkeit zur Stressbewältigung eine große Rolle. Dieses Gen ist zum Zeitpunkt der Geburt inaktiv.
Genau hier setzt die liebevolle Fürsorge der Mutter einen epigenetischen Mechanismus in Gang, der dieses Gen aktiviert und dem jungen Lebewesen den möglicherweise alles entscheidenden Vorteil im Leben verschafft, Stresssituationen überlegen und gelassen bewältigen zu können. 

Welche Prozesse gehen konkret während der Aufzuchtphase vor sich? Wie erleben die jungen Lebewesen die Umgebung?

Katharina Aberle: Die Zeit, die die Welpen beim Züchter verbringen, ist durch verschiedene aufeinanderfolgende Entwicklungsphasen gekennzeichnet. Von der Geburt bis in die zweite Lebenswoche hinein suchen die Welpen selbstständig die Zitzen der Mutter auf. Das ist körperliche und psychische Arbeit, sie agieren aus einem eigenen inneren Antrieb heraus. Von der zweiten bis zur vierten Woche steigt die Anpassung an die Umwelt, denn durch die Entwicklung der Sinne gibt es jetzt deutlich mehr Interaktionen. Die Welpen gewinnen an Reaktionsfähigkeit, sowohl in Bezug auf den eigenen Organismus als auch hinsichtlich ihres Verhaltens. Langsam sollten ihnen jetzt mehr Umweltreize geboten werden. Von der 4. bis 6. Woche wächst die Bindung an künftige Sozialpartner. Haben die Welpen während dieser Zeit dazu keine Möglichkeit, sind sie später unfähig, in einer Gemeinschaft zu leben. Diese Zeit ist nicht nachholbar.

Von der 6. bis 8. Woche steht dann die Entwicklung der Selbstsicherheit im Mittelpunkt. Das geschieht im Welpenspiel, aber der Züchter muss darüber hinaus Möglichkeiten bieten, verschiedene Dinge zu entdecken und die Umgebung zu erkunden, um das Selbstvertrauen zu stärken. Ohne ausreichende Stimulationen während dieser Phase besteht das Risiko einer Unterwicklung, die den erblichen Anlagen eventuell nicht entspricht. 

Zu diesen Stimulationen gehören die verschiedensten Dinge: Geeignetes Welpenspielzeug ist sicher eine gute Sache, aber ebenso wichtig sind alltägliche Geräusche vom Staubsauger bis zum Küchengeschirr … Dabei können auch viele Fehler passieren. Welche Risiken bestehen?

Katharina Aberle: Ein Problem tritt leider immer wieder auf: der falsche bzw. unkontrollierte Einsatz von Geräusch-CDs! Da meinen Züchter es oft gut, arbeiten aber falsch mit der CD, so dass es eher zu einer Sensibilisierung der Welpen als zu seiner Desensibilisierung kommt. Man kann nicht einfach die CD einlegen und die Geräusche abspielen, sondern man muss sehr genau kontrollieren, ob einer der Welpen eventuell schreckhaft reagiert. In diesem Fall würde es zu einer Sensibilisierung kommen – wiederum nicht zuletzt mit epigenetischen Konsequenzen.

Wenn man Geräusch-CDs einsetzt, muss man immer darauf achten, dass jeder einzelne Welpe unter Kontrolle ist. Ein anderes enorm wichtiges Beispiel in diesem Zusammenhang: Natürlich ist es gut, die Welpen an Kinder zu gewöhnen, aber dabei muss man mit Kindern arbeiten, die sich adäquat benehmen können. Auch hier darf es keinesfalls zu einer unerwünschten Sensibilisierung kommen. Das Kind muss wissen, dass es sich passiv verhalten und darauf warten muss, dass die Welpen zu ihm kommen.

Und nicht zu vergessen: Natürlich müssen die Welpen mit Reizen konfrontiert werden, aber auch die Schlafzeiten müssen garantiert sein. Ja, sie müssen raus, sie sollen erkunden, aber sie brauchen auch strikte Ruhezeiten. So könnte man bereits während der Aufzucht einen Tagesablauf aufbauen, der für die späteren Besitzer eine große Hilfe sein kann. Wenn Welpen an bestimmte Schlafzeiten gewöhnt sind, bekommt der neue Besitzer sie mit diesen Gewohnheiten nach Hause. Wenn er nun drei Monate Zeit hat – wie es eigentlich sein sollte! – dann kann er alles so umstellen, wie es für das künftige gemeinsame Leben passend ist. Reize sind die eine Seite, aber Schlaf ist genauso ein wesentlicher Teil für eine gesunde Entwicklung. Das bedeutet nicht, den Welpen in die Box zu sperren, sondern man kann das Zimmer verdunkeln und eine leise, ruhige Atmosphäre schaffen – das, was man als „in den Schlaf wiegen“ bezeichnet … 

Kommen wir noch einmal zurück zu den Entwicklungsphasen: Die sensible Zeit ist mit der 8. Woche ja keinesfalls vorbei … 

Katharina Aberle: Sicher nicht! Während der 8. bis 12. Woche erreicht die Fähigkeit des spielerischen Lernens ihren Höhepunkt. Die Welpen sind jetzt selbstständig, ihre Selbstsicherheit steigt, die Bindung zum menschlichen Partner wird enger. Während dieser Zeit, in der auch der Umzug in das neue Zuhause erfolgt, steigt die psychische und körperliche Belastungsfähigkeit schrittweise an.

Das Haupttraining eines Hundes passiert im Prinzip bis zur 16. Lebenswoche: Jetzt saugt das Hirn wie ein Schwamm, später sinkt die Stresstoleranz. Vieles kann und sollte schon vom Züchter gemacht werden: ein Sitz, an der Leine gehen, einen Gegenstand tragen … für all diese grundlegenden Dinge ist diese frühe Phase der optimale Zeitpunkt. Züchter bekommen für die Hunde viel Geld – und die meisten künftigen Besitzer zahlen gerne für gut sozialisierte Welpen. Die Frage ist, zahle ich 1000 Euro für einen Hund oder zahle ich 1800 Euro für einen Welpen, der seinen Namen kennt? Die Frage ist, was bekomme ich als Käufer für das Geld? 1000 Euro sind zu viel, wenn der Welpe reizüberflutet und gestresst ist, 1800 Euro sind gut, wenn kein Konkurrenzverhalten aufgebaut wurde und der Welpe bereits gelernt hat, locker an der Leine zu gehen.

Was ist der ideale Zeitpunkt, um in das neue Zuhause zu ziehen? Die Meinungen darüber variieren sehr … 

Katharina Aberle: Ja – und das ist tatsächlich keine leichte Frage: Meistens wird der Hund entweder zu früh oder zu spät geholt. In jedem Fall muss die Übergabe erfolgen, solange man noch in die Sozialisierung eingreifen kann. Die 8. Woche ist zu früh, die 10. fast zu spät, denn da bleibt nicht mehr viel Zeit, um noch auf die Umweltreize zu sozialisieren, die im neuen Zuhause herrschen. Meistens kommt der Hund vom Land und zieht dann in die Stadt. Der Welpe muss jetzt viele weitere Aspekte des alltäglichen Lebens kennenlernen: Busse, Radfahrer, Jogger – und das alles noch zu einem Zeitpunkt, an dem er keinen Stress damit hat, was ab der 16. Woche nicht mehr gegeben ist.

Was kann der Züchter tun, um den Umzug ideal vorzubereiten? 

Katharina Aberle: Ideal ist es natürlich, wenn die Hunde ab der fünften Woche besucht werden können. Wenn wir einen neuen Hund in unsere Familie nehmen, halte ich persönlich es so, dass wir eineinhalb Wochen vor dem Abgabetermin anreisen und das Baby während dieser Zeit täglich besuchen. Nach der Übergabe verbleiben wir noch eine Woche im Umfeld der Mutter, so dass man Mama nochmal besuchen gehen kann. Gleichzeitig wird auf sanfte Weise an Umweltreizen und an der Leinengängigkeit gearbeitet. Die Fahrt in das neue Zuhause bedeutet dann absolut keinen Stress mehr. So habe ich es bei all meinen Jungs gehandhabt, und auch, wenn es keine wissenschaftlichen Belege dafür gibt, so habe ich doch das Gefühl, dass diese Vorgangsweise eine weichere Form des ersten Abschieds im Leben ist – es ist kein „aus dem bisherigen Leben herausreißen“ …

Auch wenn die Welpen ins neue Zuhause umgezogen sein, die Verantwortung des Züchters für das junge Leben endet damit nicht. Wie kann er das neue Mensch-Hund-Team jetzt noch optimal unterstützen?

Katharina Aberle: Der zentrale Punkt für mich ist, dass der Züchter den Besitzer darauf aufmerksam macht, was für einen Hund er sich da ins Haus holt, und welchen Job er damit übernimmt! In diesem Zusammenhang stellt sich auch generell die Frage, wie sinnvoll es ist, Welpen aus Arbeitslinien in Familien zu geben. Hunde wurden immer wieder gezielt miteinander verpaart, um bestimmte Eigenschaften zu festigen. Die Optik, die heute bei den meisten Kaufentscheidungen im Mittelpunkt steht, hat sich nebenbei entwickelt und ist ein Nebenprodukt! Vorrangiges Ziel der ursprünglichen Zucht war es, einen bestimmten Charakter zu schaffen, und damit hat sich dann parallel das optische Erscheinungsbild entwickelt.

Hunde wurden für bestimmte Aufgaben gezüchtet und sollten auch heute nicht einfach nur als „Hunde“ verkauft werden – oder man züchtet nicht zwingend mit Arbeitslinien! Ein Border Collie aus Arbeitslinien wird in der Stadt leicht reizüberflutet sein, ein Jagdgebrauchshund lässt sich nicht nur mit Fahrradfahren und Wandern auslasten – dann wird man sich früher oder später wundern, wenn man einem Reh begegnet. Diese Rassen wurden gezüchtet, um als Jagdhund eingesetzt zu werden. Früher hat man einen Weimeraner beispielsweise gar nicht bekommen, wenn man nicht Jäger war. Heute kann jeder ohne Legitimation jeden Hund kaufen, ohne vorweisen zu müssen, dass der Hund auch entsprechend seiner Veranlagung beschäftigt wird. Dem müssten die Züchter einen Riegel vorschieben, was leider nur selten geschieht …

… ein ebenso leidenschaftlicher wie dringlicher Appell zum Abschluss. Damit das junge Leben als Ergebnis bewusster züchterischer Überlegungen und Entscheidungen sich in einem idealen Umfeld entwickeln kann!
Herzlichen Dank für das Gespräch, Frau Aberle.


Katharina Aberle beschäftigt sich seit 1986 mit Ausdrucksverhalten und Kommunikation von Hunden, mit Angst, Aggression, unerwünschtem Jagdverhalten, Lernverhalten, Tellington Touch und Tiergesundheit. Sie studierte an der Veterinärmedizinischen Universität Wien und absolvierte Ausbildungen bei namhaften und renommierten Referenten. Heute bietet sie in ruhigem und entspanntem Ambiente vor den Toren Wiens hochqualifizierte Verhaltensberatung für Hunde, Katzen und Vögel an.

Dieses Interview stammt aus dem Magazin BreederSpecial.

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