Einsatz auf vier Pfoten! | Teil 48
Der Hund am Bahngleis: Als Diensthundeführer hat man nicht immer nur mit seinem eigenen Hund zu tun. Nicht selten werden wir zu Einsätzen hinzu gerufen, bei welchen es um aggressive, herrenlose oder streunende Tiere aller Art geht. Gerade im Stadtverkehr stellten sie eine Gefahr für sich und andere dar.
In diesem Fall ging es aber ausschließlich darum, einem verletzten Hund das Leben zu retten. Blutend lehnte er an der verklinkerten Betonmauer am Gleisbett der ICE-Trasse. Er hatte sich gesetzt und zitterte am ganzen Körper. Beruhigend auf ihn einredend, näherte ich mich ihm langsam.
Blutend saß er auf den Bahngleisen
Der Rüde kannte mich nicht, warum sollte er mir vertrauen? Die Gefahr, dass er mich biss oder trotz seiner schweren Verletzungen davon lief, wenn ich ihm noch näher kam, war groß. Das Diensthandy riss mich aus meinen Überlegungen.
„Elmar, bist du bei dem Hund? Lebt er?“ Es war der Funksprecher der Einsatzzentrale. Meine Kehle war zugeschnürt, ich brachte gerade einmal ein trockenes „Ja“ heraus.
„Ist es ein hellbrauner Mischling, kurzes Fell?“
„Ja.“
„Gut, dann bleib’ wo du bist. Der Hundehalter hat mich angerufen. Er ist bereits auf dem Weg, müsste in ein paar Minuten bei dir sein … ach ja, der Hund heißt Ronny.“
Der Knoten in meinem Hals löste sich. Hilfe nahte! Ich setzte mich mit etwas Abstand zu dem Hund und lehnte mich wie er an die Schutzwand. „Ronny?“, fragte ich. Er hob kurz den Kopf. Dann ließ er ihn wieder hängen. Aber seine Schnauze hatte aufgehört zu bluten. Vielleicht waren seine Verletzungen doch nicht so schlimm, wie sie auf den ersten Blick aussahen?
Herrchen kommt dich holen
Mit ruhiger Stimme erzählte ich Ronny, dass sein Herrchen unterwegs sei, alles gut werde, er sich keine Sorgen machen müsse. Der Klang meiner Stimme beruhigte ihn und er legte sich hin, den Kopf auf seinen Pfoten. So blieb er sogar, als der nächste Zug an uns vorbeirollte. Ich spürte, wie der Boden vibrierte und machte mich so klein wie möglich. Ein Hauch Schmierfettgeruch streifte mich und in einem der Fenster erkannte ich einen Fahrgast, der verwundert auf uns herabschaute. Dann blies mir der Luftzug Staub ins Gesicht, für einen Moment musste ich die Augen schließen. Als ich sie wieder öffnete, war der Spuk vorbei. Und endlich nahte Hilfe: Ein Bahnmitarbeiter lief in meine Richtung. Hinter ihm ein Paar mittleren Alters, das ihn stolpernd überholte, als es mich – oder den Hund? – entdeckte. Mit einem Aufschrei stürzte die aschblonde Frau an mir vorbei, kniete sich zu dem Hund und stammelte schluchzend „Oh mein Gott oh mein Gott oh mein Gott …“ Ronny wedelte schwach.
Der Mann blieb stehen. Er hatte eine bunt karierte Decke unter dem Arm und nestelte an deren Fransen herum. Seine Augen waren rot, als hätte er geweint.
Sie waren zu zweit. Nelly liegt auf dem Bahngleis. Tot.
„Das ist Ihr Hund?“, fragte ich ihn.
„Ja“, erwiderte er, „besser gesagt der von Renate, meiner Lebensgefährtin.“ Er wischte sich über die Augen. „Bis vorhin hatte ich auch einen. Die beiden sind zusammen ausgebüchst. Dabei sind sie wohl auf die Bahnstrecke …“, er stockte, seine Unterlippe zitterte, „… da vorne.“ Er deutete mit dem Kinn in Richtung Innenstadt. „Meine Nelly liegt dort. Ich muss sie noch…“, er suchte nach dem passenden Wort, „…abholen.“
Ronny muss in die Klinik
Ich wollte nicht wissen, wie Nelly aussah, wenn sie unter den Zug geraten war. Mitfühlend legte ich dem Mann meine Hand auf die Schulter. „Das tut mir leid. Aber wir müssen jetzt Ronny von hier wegbringen. Er sollte so schnell wie möglich zu einem Tierarzt. Und die Strecke muss auch wieder frei gegeben werden.“
Der Mann nickte kummervoll.
Ich nahm ihm die Decke ab und breitete sie mit Hilfe von Renate vor dem Hund aus. Dann legten wir ihn vorsichtig darauf. Ronny ließ alles mit sich geschehen.
Der Bahnangestellte wies uns den Weg zu einem Durchgang in der Mauer, für den er einen Schlüssel hatte. Auf der anderen Seite stand Renates Auto. Sie und ihr Freund trugen Ronny behutsam in der Decke, die aus der Ferne wie eine Hängematte wirken mochte. Allein die blutige Pfote oben am Rand passte nicht ins Bild. Kraftlos wippte sie im Takt der Schritte des Paares. Als Ronny vorsichtig im Kofferraum des Kombis abgelegt wurde, hob er den Kopf. Der Geruch schien ihm vertraut zu sein. Ich hatte den Eindruck, dass er erleichtert war, sich nun sicherer fühlte. In aller Eile erklärte ich dem Fahrer den kürzesten Weg zur Tierklinik und drückte ihm meine Visitenkarte in die Hand. „Bitte melden Sie sich“, konnte ich ihm noch sagen, ehe er losfuhr. Ich sah dem Fahrzeug hinterher, bis es in die Hauptstraße abgebogen war.
Ronny war gerettet. Vielleicht. Mit gemischten Gefühlen ging ich zurück zu meinem Streifenwagen. Buxi sprang in seiner Box auf und schüttelte sich, als ich einstieg. Ich setzte die Einsatzzentrale per Funk über den Ausgang des Einsatzes in Kenntnis und fuhr Richtung Hafen. Mein Hund brauchte nach der Wartezeit sicher etwas Auslauf – und ich auch.
Hier erfährst du, wie es weitergeht.
Elmar Heer arbeitet seit 40 Jahren als Polizeibeamter. 1990 wechselte er vom Streifendienst zur Diensthundestaffel Mittelfranken. Schon früh entdeckte er seine zweite Leidenschaft: das Schreiben. Mit seinem Buch „Partner auf Leben und Tod“, erschienen bei Droemer-Knaur, gewährt der Autor dem Leser einen Einblick in Leben und Arbeit eines Polizeihundeführers. Er erzählt über seine Aufgaben als Hundeführer, die umfangreiche Ausbildung von Polizeihunden und über spannende, heitere und auch tragische Einsätze, die er mit seinen Schäferhunden Gundo, Bux, Carina und Sam erlebte.
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