Einsatz auf vier Pfoten! | Teil 34
„Ich habe des Öfteren darüber nachgedacht, warum Hunde ein derart kurzes Leben haben, und bin zu dem Schluss gekommen, dass dies aus Mitleid mit der menschlichen Rasse geschieht; denn da wir bereits derart leiden, wenn wir einen Hund nach zehn oder zwölf Jahren verlieren, wie groß wäre der Schmerz, wenn sie doppelt so lange lebten?” – Sir Walter Scott
Wie Recht Sir Walter Scott doch hatte.
Vor drei Tagen hatte ich meinen Gundo, meinen ersten Diensthund, begraben müssen. Elf Jahre alt war er geworden. Schock, Schmerz und Trauer saßen noch tief. Mein Chef, der mir auf der anderen Seite seines Schreibtisches gegenüber saß, schob mir ein Formular zur Unterschrift zu. Darin stand, dass Diensthund Nr. 50, Gundo vom Almanach, am 10. Mai 2001 ausgemustert worden war. Grund: Ableben.
Anschließend legte er das Blatt im Ordner Inventar, Unterverzeichnis Diensthunde, ab und schob ihn in die Lücke zwischen all den anderen Akten im Schrank hinter sich. Eine Weile betrachtete er mich, das um Fassung ringende Häufchen Elend vor ihm. Ich glaube, er hatte Mitleid, aber er ließ sich das kaum anmerken.
„Tja, Elmar, auch das gehört zum Geschäft. Leider. Jetzt brauchen wir erst einmal einen neuen Hund für dich. Zufällig wurde uns gestern einer angeboten. Sehr günstig. Ein belgischer Schäferhundrüde, zwei Jahre alt. Wir könnten ihn sofort kaufen. Auf Probe, versteht sich.“
So schnell ging das also. Kaum war Gundo zu den Akten gelegt, wurde eine neue geöffnet. Aber letztendlich war ich Hundeführer und wollte es bleiben. Sollte ich also nach vorne schauen und mich mit dem Gedanken an einen anderen Hund anfreunden? Ich wehrte mich dagegen. Denn wäre dies nicht Verrat an meinem treuen Freund und Begleiter der letzten zehn Jahre?
„Ich hätte lieber eine Hundeauszeit“,
sprach ich laut aus, was ich seit Gundos Tod fühlte und dachte. Ich wusste auch schon, wie ich die gestalten wollte. „Am schwarzen Brett hängt eine Ausschreibung für die multinationale Friedensmission in Bosnien-Herzegowina der Vereinten Nationen. Dafür würde ich mich gerne bewerben, für maximal ein Jahr. Dein Einverständnis vorausgesetzt.“
Mein Staffelleiter musterte mich eine Weile. „Dir ist bewusst, dass hohe Anforderungen an die Bewerber gestellt werden? Die physische, aber insbesondere die psychische Belastbarkeit wird vor Entsendung ins Ausland ausgiebig getestet. Außerdem ist gutes Englisch in Schrift und Wort Voraussetzung für eine Bewerbung …“
„Einen Versuch ist es auf jeden Fall wert.“
„Von mir aus, probier es. Ich habe keine Einwände.“ Ich hörte, dass er mir das Bestehen der Tests in meiner momentanen Verfassung nicht zutraute. Dass er mich damit erst recht motivierte und meinen Ehrgeiz anspornte, ahnte er wohl kaum.
In den folgenden Monaten absolvierte ich eine Reihe von Lehrgängen und Assessments, zunächst um meine Englischkenntnisse, vor allem aber meine psychische und physische Belastbarkeit bewerten zu lassen. Gerade Letztere stellte Chicco, ein belgisch-deutscher Schäferhundmix, gehörig auf die Probe. Der zweijährige Rüde mit unbekannter Vorgeschichte war mir als „Interimshund“ trotz meiner Pläne zugeteilt worden, damit ich als Hundeführer in der Zwischenzeit, im Falle einer Ablehnung meiner Bewerbung auch danach, einen Hund an meiner Seite hatte.
Chicco war nur optisch einem Deutschen Schäferhund etwas ähnlich, ansonsten war er ein Malinois hoch drei.
Zugegeben, Malis sind faszinierend, ihre Bewegungsfreude und -sicherheit, ihre Leichtfüßigkeit, ihr Temperament und Durchsetzungsvermögen. Was mich an ihnen störte, war ihre Nervosität, die sich häufig in Hyperaktivität und Hektik äußerte. Malis schienen nie zur Ruhe zu kommen, immer unterfordert und unausgelastet zu sein.
Diesen Eindruck hatte ich zumindest bei den Exemplaren gewonnen, die ich bis dahin kannte, was letztendlich ein Vorurteil war. Heute weiß ich, dass es auch ausgeglichene Vertreter dieser Rasse gibt. Insbesondere Ferdinand, der Hund eines Kollegen, hat mich mit dem Belgischen Schäferhund versöhnt. Aber den kannte ich damals noch nicht.
Mit Chicco war alles anders.
Nicht nur, dass ich gegen alle Gepflogenheiten bei seinem Ankauf nicht dabei gewesen war, es blieb mir auch ein Rätsel, dass unser damaliger stellvertretender Chef einen Hund kaufte, dessen Vorgeschichte völlig unbekannt war. Auf Irrwegen war er bei einem Hundehändler nahe der belgischen Grenze und nun bei uns in der Zwingeranlage gelandet. Dementsprechend war unser erstes Zusammentreffen.
Als ich mich dem Zwinger näherte, flog mir Chicco förmlich entgegen. Aber nicht aus Begeisterung, nein, es war pure Aggression. Er sprang mit Anlauf gegen das uns trennende Gitter, bellte mit kreischender Stimme, Speichelfetzen spritzten in meine Richtung, ich sah hellbraune, fast gelbe Augen und sämtliche Zähne, die er zu bieten hatte.
Unwillkürlich trat ich einen Schritt zurück, was den Hund veranlasste, mindestens zehn Pirouetten durch den Zwinger zu drehen, ehe er wieder zum Angriff überging. Damit hatte ich nicht gerechnet. Das sollte mein neuer Diensthund werden? Ich erinnerte mich an die Knabberstangen, die ich zur Begrüßung mitgebracht hatte, steckte eine davon durch das Gitter. Chicco riss sie mir aus den Fingern, spuckte sie aus und versuchte, mich in die Hand zu beißen.
Meine Ohren schmerzten.
Das Bellen, dessen Stimmlage ungleich höher war als die eines Deutschen Schäferhundes, empfand ich als unerträglich. Und ich fühlte mich hilflos.
Enttäuscht wandte ich mich ab und ging zurück ins angrenzende Gebäude unserer Staffel. Wie sollte ich mit diesem Hund jemals Freundschaft schließen, wie sollte er einmal der Partner an meiner Seite werden?
Hier erfährst du, wie es weitergeht.
Elmar Heer arbeitet seit 40 Jahren als Polizeibeamter. 1990 wechselte er vom Streifendienst zur Diensthundestaffel Mittelfranken. Schon früh entdeckte er seine zweite Leidenschaft: das Schreiben. Mit seinem Buch „Partner auf Leben und Tod“, erschienen bei Droemer-Knaur, gewährt der Autor dem Leser einen Einblick in Leben und Arbeit eines Polizeihundeführers. Er erzählt über seine Aufgaben als Hundeführer, die umfangreiche Ausbildung von Polizeihunden und über spannende, heitere und auch tragische Einsätze, die er mit seinen Schäferhunden Gundo, Bux, Carina und Sam erlebte.
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