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Trudi und das Gewitter

Hier schreibt: Lilo Sommer lebt mit ihrer Katze Trudi in einer alten Stadtwohnung voller Bücher, Teetassen und zerfetzter Sofakissen. Sie liebt Jazz, Weißwein und diese stillen Momente, in denen Trudi schnurrend auf ihrem Bauch entspannt und sie anblinzelt, als wüsste sie alle Antworten auf das Leben, aber ihr trotzdem keine verrät.

Der Himmel wird dunkel, obwohl es erst vier Uhr nachmittags ist. Schwere Wolken hängen über der Stadt wie graue Vorhänge, und die Luft ist so schwül, dass man sie schneiden könnte. Trudi spürt es als erste. Sie läuft unruhig durch die Wohnung, von Fenster zu Fenster, die Ohren gespitzt.

“Was ist los?” frage ich sie.

Sie miaut nervös und versteckt sich unter dem Sofa. Katzen haben einen sechsten Sinn für Wetter. Sie spüren das Gewitter, lange bevor der erste Donner rollt.

Ich mache alle Fenster zu und zünde eine Kerze an. Nicht wegen der Dunkelheit, sondern wegen der Gemütlichkeit. Gewitter machen mir Angst, seit ich klein bin. Dieses Grollen, diese Blitze, diese Gewalt der Natur.

Der erste Donner kommt wie ein Paukenschlag. Trudi zuckt zusammen unter dem Sofa. Ich knie mich hin und strecke die Hand aus.

“Komm”, flüstere ich. “Wir schaffen das zusammen.”

Sie zögert, dann krabbelt sie heraus und springt auf meinen Schoß. Ihre Krallen graben sich in meine Jeans, ihr Herz klopft schnell wie das eines Vogels. Draußen beginnt es zu regnen. Erst nur ein paar Tropfen, dann immer mehr, bis es gegen die Fenster prasselt wie kleine Steine.

“Es ist nur Wasser”, sage ich zu ihr und zu mir. “Es kann uns nichts tun.”

Aber der nächste Blitz ist so hell, dass er die ganze Wohnung erleuchtet. Der Donner folgt sofort. Das Gewitter ist direkt über uns. Trudi vergräbt den Kopf in meinem Pullover, und ich halte sie fest.

Früher, als Kind, habe ich mich bei Gewitter immer unter die Bettdecke verkrochen. Meine Mutter kam dann und setzte sich zu mir. “Es ist nur der liebe Gott, der Kegel schiebt”, sagte sie. Das half nicht viel, aber ihre Nähe half.

Jetzt bin ich diejenige, die Trost spendet. Trudi zittert in meinen Armen, und ich streichle sie und rede leise auf sie ein. Über alles und nichts. Über den Regen, der gut ist für die Blumen. Über das Licht, das nach jedem Gewitter kommt. Über die Sonne, die bestimmt bald wieder scheint.

Nach einer halben Stunde wird es ruhiger. Der Donner entfernt sich, der Regen wird sanfter. Trudi hebt den Kopf und schaut mich an. Ihre Augen sind nicht mehr ängstlich, sondern dankbar.

“Siehst du”, sage ich. “Es ist vorbei.”

Sie schnurrt leise und bleibt auf meinem Schoß. Draußen bricht die Sonne durch die Wolken, und ein Regenbogen spannt sich über die Dächer. Wie ein Versprechen, dass nach jedem Sturm wieder Ruhe kommt.

Manchmal ist Mut nicht das Fehlen von Angst, sondern das Füreinander-da-Sein trotz der Angst.

Lilo Sommer

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