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“Ich sehe leider zu viele Dramen …”

Prof. Dr. Achim Gruber ist Tierpathologe an der freien Universität Berlin, Fachbereich Veterinärmedizin, Institut für Tierpathologie. Er schrieb das Buch Kuscheltierdrama.

Herr Professor Gruber, Sie haben das Buch „Kuscheltierdrama“ geschrieben. Worin bestehen denn die Dramen?

Dr. Gruber: Wir lieben unsere Hunde, aber weil wir Menschen sind, machen wir auch manchmal Fehler im Umgang mit ihnen. Die meisten werden sicher gut gehalten, aber ich als Tierpathologe sehe leider viel zu viele Dramen, wenn Haustiere, auch Hunde, durch unsere Fehler auf meinem Obduktionstisch landen. Hunde sind für viele von uns in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer lieber und wichtiger geworden, und der Trend wird auch zukünftig anhalten. Und das ist gut so: Unsere Gesellschaft verändert sich. Single-Haushalte und Einsamkeit nehmen zu, Familien zerfallen öfter als früher, berufliche Mobilität erschwert den Aufbau eines Freundeskreises. Hier füllen unsere Hunde schnell und ohne viel zu fragen die Lücken, die früher andere Menschen ausgefüllt hätten. Zum Vorteil beider.

Wir nehmen sie in die Familie auf, sie werden Partner, Seelenverwandte, manchmal bis auf Augenhöhe. Da hat der Pathologe erstmal auch gar nichts dagegen. Ihre Vermenschlichung führt jedoch allzu oft zu einem Verlust ihrer eigenen Natur und Bedürfnisse. Gegenseitige Hygiene und Schutz vor Infektionskrankheiten durch Impfung und Entwurmung werden vernachlässigt, weil es bei uns zu Hause ja „keine Killerkeime geben kann“. Falsch. Auch wenn wir Hunde wie uns selbst ernähren, kann das für sie dramatisch enden. Totsicher. Und wenn wir sie nach Schönheit in unseren Augen züchten, oder menschenähnlich mit runden, knautschigen Köpfen ohne Hundeschnauze, oder riesengroß oder winzigklein, dann kann das zu schlimmen Leiden, Krankheiten und ihrem verfrühten Tod führen. Unsere eigenen Interessen verdrängen dann das Recht der Hunde auf ihre Unversehrtheit, ihre eigene Natur und ihr eigenes Glück.

Ist das alles neu? Nein. Als ich selbst (jetzt 53) noch nicht laufen konnte, hat die Weltgesellschaft für Kleintiermedizin schon davor gewarnt. Bis heute weitgehend erfolglos, und mir scheint mancher Trend heute schlimmer als je zuvor. Das ist das Kuscheltierdrama.

Was wünschen Sie sich von Hundezüchtern?

Dr. Gruber: Liebe Hundezüchter, als Tierarzt und Pathologe wünsche ich mir von Ihnen von ganzem Herzen, dass Sie die Gesundheit und wahre Natur unserer Hunde höher bewerten als Extravaganz, Schönheit aus Menschensicht, Marktwert und Chancen auf Pokale. Ich nenne so etwas „Extremzucht“, und die ist oft extrem schlecht für unsere besten Freunde, nicht selten mit Todesfolge. Die zweite Todsünde heißt Inzucht, wenn zu viel in engen Stammbäumen verpaart wird, oder einzelne Superhelden durch künstliche Besamung unnatürlich viele Nachkommen haben können. Viel zu viele Beispiele aus der Vergangenheit zeigen eindrücklich, zu welchen Krankheitsdramen Inzucht beim Hund führt, nicht nur bei uns Menschen. Auch darin sind sie uns ähnlicher, als wir es oft denken. 

Ein Blick in die Züchterwelt zeigt aber schnell, dass manche Züchter das alles schon verstanden haben und die beiden Todsünden bereits konsequent vermeiden, etwa in einem guten Zuchtbuchprogramm. Danke dafür: Sie verdienen Hochachtung und Respekt. Aber das sind eindeutig noch zu wenige.

Darf es Mops & Co dann in Zukunft nicht mehr geben?

Dr. Gruber: Doch, doch, ich liebe Rassenvielfalt, unser gelebter Hundepluralismus ist doch ganz besonders wertvoll. Gerade auch Möpse sind großartige Hunde, sie haben ein besonders liebenswertes und lebhaftes Wesen und viele andere Vorzüge. Genau deshalb betrübt mich mancher Trend zur extremen Schnauzenverkürzung so sehr und macht mich unendlich wütend. Gebt uns den Mops von vor 50 oder 100 Jahren zurück! Ähnliches gilt für viele andere Rassen auch. Schauen Sie, unser Tierschutzgesetz ist da richtig gut formuliert. Da steht nichts drin von Rasseverbot, im Gegenteil, Vielfalt ist erwünscht im Geist des Gesetzes. Aber Schmerzen, Leiden und Schäden sowie ein Verlust der Artgerechtigkeit stehen im Fadenkreuz der staatlichen Tierschützer. Zum Glück gibt es endlich erste Trends, das auch amtlich durchzusetzen, wie es in dem Kapitel „Tierwohl in Menschenhand“ in meinem Buch zu lesen ist.

Welche Fehler machen Menschen sonst noch in der Hundehaltung?

Dr. Gruber: Ich bin jedes Mal von Neuem traurig und verzweifelt, wenn ich Hundetumoren sehe, die tennisball- oder handballgroß geworden sind, bevor der Besitzer zum Tierarzt ging. Mit jedem Tag, den wir dem unbehandelten Tumor schenken, reduzieren wir die Chance des Hundes, wieder gesund zu werden. Gestern habe ich einen Hund untersuchen müssen, der laut Besitzer ein halbes Jahr lang aus dem Popo blutete, bevor eine Tierärztin ihn zu sehen bekam. Der Arme hatte Dickdarmkrebs, und erst das Zögern von Frauchen hat ihn umgebracht, denn früh genug erkannt und entfernt muss dieser Tumor nicht töten. Die Zeit, die wir Tumoren und vielen anderen Krankheiten schenken, bevor wir damit zum Tierarzt gehen, ist der schärfste Richter über Leben und Tod. 

„Warum nur?“, frage ich dann oft. „Kein Geld für die OP“ höre ich manchmal, dann empfehle ich eine der vielen Tierkrankenversicherungen. Ist das Tier krankenversichert wie wir selbst, können der Hund und wir sorglos sofort Hilfe bekommen, und Armut oder Geiz werden machtlos. „Keine Zeit zum Tierarzt zu gehen, mein Mann und ich arbeiten doch so spät“ sagen mir andere. „Dann schafft Euch keinen Hund an, wenn Ihr Eurer Verantwortung nicht nachkommen könnt“, sage ich dann, „Kauft Euch ein Stofftier!“ 

Einzelfälle? Leider nein! Auch da läuft etwas schief in unserer Gesellschaft, auch das ist Teil des Kuscheltierdramas.

Welche Krankheiten des Menschen können für Hunde gefährlich sein?

Dr. Gruber: Wir kennen weit über 250 teils tödliche Infektionen, die zwischen Tieren und Menschen übertragen werden können. Zum Glück – oder ist es Vorsehung? – sind das gar nicht so viele für den Hund! In meinen 25 Berufsjahren habe ich nur eine Handvoll Hunde an Menschentuberkulose sterben sehen, die von ihren Besitzern ständig angehustet wurden. Meist wussten die gar nichts von ihrer eigenen Krankheit. Eine ganze Reihe von ekeligen und auch tödlichen Parasiten können auch leicht übertragen werden, wie etwa der orientalische Augenwurm (gab´s schon bei uns in Berlin!), oder der Zungenwurm, der eigentlich in der Nase des Menschen lebt, zum Glück noch nicht bei uns. Viele Krankheiten sind in beide Richtungen übertragbar, wie etwa die Tollwut, theoretisch. Manche werden auch über Umwege wie Zecken oder Mücken übertragen, etwa die Borreliose oder Frühsommer-Meningoenzephalitis, oder FSME. Alles in allem sind die Risiken aber gering, die meisten der genannten habe ich noch nie von einem Menschen auf einen Hund übertragen gesehen. 

Die gute Nachricht ist auch: die meisten der häufigen Menscheninfektionen, also Schnupfen, Grippe, Feldwaldundwiesen-Durchfall und Lippenherpes können unseren Wolfsabkömmlingen nichts anhaben!

Sie sind Pathologe. Wer beauftragt Sie mit der Obduktion eines Hundes und warum?

Dr. Gruber: Die Liste ist lang. Ähnlich wie Menschenpathologen werden wir von Polizei oder Staatsanwaltschaft beauftragt, um den Hergang von Verbrechen und unklare Todesfälle zu lösen. Giftköder, Kleinkaliber aus dem örtlichen Schützenverein oder Tod durch Blaualgen nach dem sommerlichen Bad im See, alles schon erlebt. Auch so dramatische Sachen wie Sodomie mit schweren Tierverletzungen sehen wir Gott sei Dank selten. Viel öfter aber klären wir Todesursachen im Besitzer- oder Tierarztauftrag, wenn die wissen wollen, was der Hund eigentlich hatte oder warum eine Therapie nicht gewirkt hat. Wer sich danach ein neues Tier anschaffen möchte oder noch weitere Tiere hat, möchte Risiken für die Lebenden durch Killerkeime oder Haltungsfehler vermeiden. Nicht selten müssen wir auch völlig neue Krankheiten und Seuchen aufklären und erforschen. 

Und: Hunde werden wie Sachen bewertet, wenn sie kurz nach dem Kauf versterben oder vom Nachbarn vergiftet oder vom Jäger erschossen wurden. Dann werden „Geld zurück“ oder „Schadensersatz“ fällig, und der Tierpathologe muss dem Richter erklären, was wirklich passiert ist und ob gezahlt werden muss. Dasselbe gilt für teuer lebensversicherte Koikarpfen oder Rennpferde. Wenn die auf mysteriöse Weise versterben, will die Versicherung sich durch eine Obduktion regelmäßig vor „Versicherungsbetrug durch Nachhelfen“ schützen. Auch da habe ich schon einiges erlebt… 

Ganz besonders spektakulär sind unsere Obduktionen von Zoo-Berühmtheiten, wie etwa Eisbär Knut oder Panda Bao Bao, von denen ich in meinem Buch im Kapitel „Promileichen“ berichte. 

Haben Sie schon mal einen Hund obduziert, der rein vegan ernährt wurde?

Dr. Gruber: Nein, nicht, dass ich wüsste. Zumindest konnte ich das noch nicht als Todesursache feststellen. Zum Glück ist konsequente vegane Hundeernährung über längere Zeit wahrscheinlich extrem selten. Ich frage aber mal meine anderen 250 Kollegen in Deutschland… 

Welchen Einfluss hat die Ernährung des Hundes auf evtl. tödliche Erkrankungen?

Dr. Gruber: Puh, darüber wurden schon viele dicke Bücher von Tierernährungsexperten geschrieben. Hier gibt´s erstmal die allgemeinen Regeln, die auch für andere Tiere und auch Mensch gelten: Übergewicht erhöht das allgemeine Tumorrisiko und längere Unterernährung schwächt das Immunsystem mit erhöhter Gefahr für Infektionskrankheiten, auch tödliche. Fehlerhafte Futterzusammensetzungen in Bezug auf Mineralstoffe und Spurenelemente können zum Beispiel die Knochen schädigen, bis zur Notwendigkeit der Euthanasie. Vitaminmangel spielt kaum eine Rolle, viel öfter sehen wir sogar tödliche Vitamin-D-Vergiftungen, wenn ohne Sachverstand Vitamine zugefüttert oder gespritzt werden. Zum Glück sind die allermeisten käuflichen Hundefutter heute sehr gut, auch die aus dem Discounter. Die zunehmenden Futter-Allergieprobleme scheinen mir ganz anders verursacht zu werden. 

Zum Glück wissen die meisten Hundebesitzer, dass dunkle Schokolade, Zwiebeln und Rosinen ihrem Liebling sehr gefährlich werden können. Die Liste von Stoffen in unserem eigenen Essen, die einen Hund umbringen können, ist aber noch viel länger! Dazu gehört zum Beispiel auch der Süßstoff Xylitol, der in Zuckerersatz-Süßungsmitteln, Backwaren und Zahnpasta enthalten sein kann. Für den Hund absolut tödlich, ich habe schon mehrere Hunde daran sterben gesehen!  Eine Katastrophe muss ich unbedingt noch ansprechen: Als Tierpathologe warne ich dringend davor, jegliche Knochen oder Knochenstücke zu füttern. Ich weiß, manche selbsternannten Experten glauben, das würde Hunden guttun, und sie würden das seit Jahren problemlos praktizieren. Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er (hier völlig unnötig) bricht. Ich habe schon zu viele Hunde daran sterben sehen, weil ihnen irgendwo ein Knochenspieß durch die Darmwand in die Organe gestochen hat. Jämmerlich und extrem schmerzhaft sind sie daran verendet, wirklich erschütternd. Es gibt einfach keinen guten Grund, der dieses Risiko rechtfertigen würde. 

Was war Ihr traurigster Fall?

Dr. Gruber: Das war die Schäferhündin Hella, deren Schicksal ich im Kuscheltierdrama schildere. Ihr Herrchen hat erst sie und dann sich selbst mit seiner alten Pistole in den Kopf geschossen. Er hatte sie erlöst, weil sie mit den vielen Lungenmetastasen ihres Gesäugekrebs kaum noch Luft bekam. Er fühlte sich schuldig, weil er mit ihr viel zu spät zur Tierärztin gegangen war, nachdem er schon monatelang den Tumoren unter dem Bauch beim Wachsen zugesehen hatte. Die Tierärztin konnte den Krebs aus dem Gesäuge zwar herausoperieren, aber die Metastasen waren schon im Körper unterwegs. Der alte Mann, der nur noch seine Hella auf der Welt hatte, konnte die Schuld nicht aushalten und hat sich gleich danach selbst gerichtet.

Wie schalten Sie zuhause ab, oder gibt es Fälle, die sie längere Zeit verfolgen?

Dr. Gruber: Als Tierpathologe muss man – wie jeder andere Tierarzt auch – schon in der Ausbildung lernen, eine professionelle Distanz einzunehmen, um sachlich korrekt handeln zu können. Das gelingt aber nicht immer, denn starke Emotionen lassen sich nur schwer kontrollieren, selbst nach 25 Berufsjahren. Ich schalte durch Ablenkung ab, Familie, Freunde, Hobbys, Sport, aber auch durch Entspannung mit meinem eigenen Hund oder der Pflege meines großen Aquariums. Manche unendlich grausamen Tierschicksale lassen mich aber trotzdem nicht los, und einige davon werde ich niemals einem anderen Menschen erzählen, um mich nicht selbst daran erinnern zu müssen.

Sie sind auch Hundehalter, wie füttern Sie Ihren Hund?

Dr. Gruber: Unser 13-jähriger Mischlingsrüde mag am liebsten eine Mischung aus Trocken- und Dosenfutter, er ist etwas mäkelig und wir mussten etwas herumprobieren. Beides aus meiner Sicht sehr gute Markenprodukte und beide speziell für die veränderten Bedürfnisse alter Hunde zubereitet. Wir variieren manchmal das Verhältnis etwas und auch die Sorten, damit er etwas Abwechslung hat. Ab und zu bekommt er etwas von übriggebliebenem Familienessen, aber da wählen wir sehr genau aus und er erhält es erst anschließend in der Küche, damit er nicht das Betteln am Tisch anfängt. Leckerli zwischendurch? Na klar, zur Belohnung und wann immer es passt, und die Kinder lieben es, ihn zu verwöhnen…

Sehr geehrter Herr Dr. Gruber, vielen Dank für das Gespräch.

Prof. Dr. Achim Gruber ist Tierpathologe an der freien Universität Berlin, Fachbereich Veterinärmedizin, Institut für Tierpathologie. Er schrieb das Buch Kuscheltierdrama.


Dieses Interview stammt aus der HundeWelt.

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