Aggressives Verhalten verstehen und kontrollieren
Aggressives Verhalten bei Hunden kann für viele Halter eine Herausforderung sein. Doch was steckt wirklich dahinter? In dieser Folge von Tierisch gut spricht Hundetrainer Martin Weitkamp über die Ursachen von Aggression und wie man richtig darauf reagiert. Erfahre, welche Fehler viele Menschen unbewusst machen und wie du deinem Hund mit Ruhe, Klarheit und Konsequenz die richtige Orientierung gibst.
Was bedeutet es, wenn ein Hund aggressiv ist?
Martin Weitkamp: Aggression ist erstmal nichts Schlimmes – sie ist überlebenswichtig. Hunde benötigen Aggression zur Verteidigung und zur Wahrung ihrer Ressourcen. Wir Menschen interpretieren Aggression oft anders, aber für Hunde ist sie ein normales Verhalten.
Also ein natürlicher Instinkt?
Martin Weitkamp: Genau. Ein Hund bleibt ein Beutegreifer, auch wenn wir ihn als Haustier sehen. Er versteht nicht, dass wir für ihn sorgen, sondern handelt nach seinen angeborenen Mustern.
Was sind die häufigsten Auslöser für Aggressivität?
Martin Weitkamp: Das ist individuell verschieden. Angst spielt oft eine Rolle. Wenn ein Hund keinen Fluchtweg hat, zeigt er erst Meideverhalten, dann Beschäftigungssignale und schließlich Aggression, um sich zu schützen. Viele Bisse entstehen, weil der Hund zuvor nicht respektiert wurde – etwa wenn ein Kind ihn beim Schlafen stört.
Ich erinnere mich an einen Fall im Tierheim: Ein Golden Retriever galt als „bissig“, weil das Kind der Familie ständig über ihn stieg und ihm auf die Pfoten trat. Da hat der Hund sich gewehrt.
Martin Weitkamp: Genau. Oft ist der Mensch schuld, weil er die Signale des Hundes nicht erkennt. Jeder Hund braucht Rückzugsorte, die respektiert werden müssen. Ignoriert man das, reagiert der Hund irgendwann mit Aggression – für ihn völlig logisch.
Also liegt das Problem oft am Menschen?
Martin Weitkamp: Sehr häufig. Tiere handeln nach Mustern, sind also berechenbar. Ein krankheitsbedingtes aggressives Verhalten gibt es, aber es ist selten.
Und draußen? Wenn Hunde sich begegnen und plötzlich aufeinander losgehen?
Martin Weitkamp: Territorialverhalten, Ressourcensicherung, soziale Rangordnung – das alles spielt eine Rolle. An der Leine verstärken sich Konflikte oft, weil der Hund sich anders verhält als ohne. Dominante Hunde können dabei sogar Streitigkeiten schlichten.
Kann es sein, dass Besitzer die Aggression ihres Hundes unbewusst fördern?
Martin Weitkamp: Ja! Manche beruhigen ihren Hund mit Streicheln, wenn er an der Leine bellt. Für den Hund ist das eine Bestätigung: Gut gemacht!. Oder sie versuchen, ihn mit Leckerchen abzulenken – oft verstärkt das das Verhalten sogar.
Wie unterscheidet man aggressives von beschützendem Verhalten?
Martin Weitkamp: Tatsächlich gibt es kein beschützendes Verhalten im menschlichen Sinn. Hunde verteidigen Ressourcen, ihr Territorium oder ihre eigene Sicherheit. Was wir als Schutz deuten, ist oft Territorialkontrolle oder die Wahrung ihres Wohlfühlbereichs.
Ich dachte, meine Polly beschützt mich, wenn sie sich nachts beim Spaziergang groß gemacht hat und Männer angebellt hat.
Martin Weitkamp: Das kann man so sehen, aber letztlich hat sie eher ihre eigene Sicherheit geschützt – du bist als Teil ihres „Rudels“ eine Ressource, die mit dazugehört.
Verstehe. Wie setzt man klare Grenzen, ohne unfair zu sein?
Martin Weitkamp: Mit Konsequenz und Ruhe. Ich nehme den Hund ins Gehorsam, unterbinde unerwünschtes Verhalten und lenke ihn nicht einfach ab. Wichtig ist, den Blickkontakt zu unterbrechen – denn aggressives Verhalten entsteht oft durch Fixieren.
Spielt Sozialisierung eine Rolle?
Martin Weitkamp: Absolut! Hunde, die zu früh von der Mutter getrennt wurden oder schlechte Erfahrungen gemacht haben, entwickeln häufiger Aggressionsprobleme. Angsthunde zeigen oft Wehraggression, weil sie sich bedroht fühlen.
Gibt es eine allgemeine Methode zur Aggressionskontrolle?
Martin Weitkamp: Nein, jeder Hund ist individuell. Man muss die Ursache verstehen und entsprechend reagieren. Bei Spaziergängen hilft es, den Hund ins Gehorsam zu nehmen und Blickkontakt zu mir herzustellen. Wer glaubt, mit Ablenkung durch Leckerchen etwas zu lösen, fördert oft ungewollt das unerwünschte Verhalten.
Also muss der Mensch lernen, klar und bestimmt aufzutreten?
Martin Weitkamp: Genau! Hunde brauchen Führung. Ablenkung oder übermäßige Bespaßung kann das Problem verschlimmern. Viele Hunde sind überfordert, weil sie zu wenig Ruhe bekommen – das kann Aggression begünstigen.
Weniger reden, mehr klare Signale?
Martin Weitkamp: Ja! Wer ständig auf seinen Hund einredet, lenkt ihn eher ab. Ein klares „Sitz“ ist effektiver als zehnmal „Ich habe dir doch gesagt, du sollst sitzen“.
Danke für die wertvollen Tipps, Martin!
Martin Weitkamp: Sehr gerne.