Wie Japan durch Hunde verändert wird | Prof. Miki Kakinuma im Interview
„Japaner sind nicht sehr offen, wenn es darum geht, ihre Gefühle auszudrücken. Doch bei Hunden zögern sie nicht, ihre Gefühle zu zeigen“, sagt Prof. Miki Kakinuma. „Diese Art von Beziehung ist in Japan eher neu.“ Prof. Kakinuma ist die führende Wissenschaftlerin in Japan zur Mensch-Hund-Beziehung und erläutert, wie Hunde die Menschen in Japan verändern.
Miki, welche Rolle spielen eigentlich Hunde in Japan?
Prof. Miki Kakinuma: Früher blieben die Hunde als Wachhunde draußen. Sie bekamen die Reste zu essen. Sie erhielten nie eine Ausbildung. Es sei denn, die Besitzer bevorzugten reine Zuchthunde wie Shiba- oder Akita-Inu. Gewöhnlicherweise holten die Menschen ihre Hunde vom Nachbarn, wenn da Welpen geboren waren. Heutzutage beziehen die Menschen ihre Hunde in Tierhandlungen, bei Züchtern oder Tierheimen. Dann bringen sie diese oft gleich zum Tierarzt, um sie präventiv zu behandeln. Die Hunde werden drinnen gehalten. Immer häufiger erhalten sie heute eine Ausbildung oder ein Training.
Obwohl Hunde inzwischen sehr beliebt wurden, sind sie in den meisten Restaurants, Hotels oder öffentlichen Einrichtungen nicht erlaubt. Auch in vielen Wohnungen oder öffentlichen Einrichtungen sind Haustiere noch immer nicht erlaubt.
Da Japan eine Nation von Erdbeben und Vulkanausbrüchen ist, sind wir auf zeitweilige Evakuierungen vorbereitet. Bereits im Jahr 2000 begannen Tierärzte und Freiwillige mit der Rettung von Haustieren, die nach der Evakuierung zu Hause geblieben waren. Die Unterkünfte für Evakuierte hatten keine Plätze für Haustiere. Die Menschen begannen daher, in ihren Autos zu bleiben, damit sie mit bei ihren Haustieren bleiben konnten. Dies könnte jedoch zu einem „Economy Class Syndrom“ (wie bei langen Flügen) führen, da die Menschen so nicht genügend Platz haben, ihre Beine zu vertreten. Unterkünfte beginnen heutzutage, den Menschen zu erlauben, samt ihrer Hunde evakuiert zu werden. Sie definieren, dass Hunde ihre Familienmitglieder sind.
Alte Hunde können in Japan mit modernsten Methoden behandelt werden. Die Menschen zögern, ihre Hunde einzuschläfern, selbst wenn es keine Hoffnung auf Genesung gibt. Auch beim Menschen ist Euthanasie keine Option.
Ich höre es schon heraus. Trotzdem die Frage: Haben Japaner eine enge emotionale Beziehung zu ihrem Hund?
Prof. Miki Kakinuma: Zu den Hunden, die mit in der Wohnung leben, haben die Menschen eine enge emotionale Beziehung, wie oben schon erwähnt. Diese Art von Beziehung ist in Japan eher neu. Ja, es gibt einige Probleme mit exzessiver Vermenschlichung. So werden Hunde übermäßig gefüttert. Oder die Besitzer verlieren die Kontrolle über ihre Hunde. Da die meisten Hunde klein sind, nehmen die Besitzer ihre Hunde kurzerhand auf den Arm, wenn sie außer Kontrolle geraten sind. Für einige Halter sind es schon keine Hunde mehr.
Wenn Eltern nach dem Grund gefragt werden, warum sie einen Hund angeschafft haben, sagen sie, dass es gut für die emotionale Entwicklung der Kinder sei. Sie erwarten, dass Kinder eine gute emotionale Bindung zu Hunden entwickeln.
Hachiko, ein japanischer Akita-Inu, ist berühmt für seine Loyalität zu seinem Besitzer. Er ist einer der berühmtesten Hunde der Welt. Sogar Hollywood hat ihm einen Film gewidmet. Aber ist diese Geschichte echt?
Prof. Miki Kakinuma: Die meisten Geschichten, die über ihn erzählten werden, gelten als wahr. Er wurde oft am Bahnhof von Shibuya gesehen, auch nachdem sein Herrchen gestorben war. Man muss verstehen, dass die Leute eine solche Art von Geschichten ganz allgemein mögen. Auch heute noch sind Akita- und Shiba-Inu für ihre treue Haltung gegenüber ihren Besitzern bekannt. Nach seinem Tod wurde Hachiko ausgestopft und im National Museum of Nature and Science, Tokio, aufbewahrt.
Eine neue Statue wurde jetzt am Landwirtschaftsministerium nahe der Universität von Tokio aufgestellt, wo das Herrchen von Hachiko früher arbeitete. Während Hachiko bei der berühmten Statue am Bahnhof Shibuya sitzt und auf seinen Besitzer wartet, begrüßt Hachiko bei der neuen Statue sein Herrchen, Professor Ueno, überschwänglich. Die Menschen spendeten viel Geld für den Bau dieser Ehrung für einen Hund.
Was hältst du als Psychologie-Professorin von so einer tiefen Bindung eines Hundes an seinen Halter?
Prof. Miki Kakinuma: Japaner sind nicht sehr offen, wenn es darum geht, ihre Gefühle auszudrücken. Doch bei Hunden zögern sie nicht, ihre Gefühle zu zeigen. Ich glaube, dass die Bindung zum Hund im Allgemeinen einen positiven Effekt hat. Ich habe bei einigen meiner Patienten (Kinder mit psychosomatischen Erkrankungen) positive Veränderungen gesehen. Dazu zählen mehr Gespräche unter Familienmitgliedern; Kinder lernen, sich um andere zu kümmern. Die Älteren genießen ebenfalls die Gesellschaft des Hundes. Die bringen mehr soziale Interaktionen mit anderen oder auch mehr Bewegung.
Einige negative Aspekte sind der Verlust oder der Stress, der durch anhaltende Krankheiten gerade älterer Hunde verursacht werden. Dies hängt mit der emotionalen Nähe durch die Vermenschlichung zusammen. Abgesehen von der in Japan sehr niedrigen Rate an Euthanasie nehme ich an, dass die emotionalen Bindungen denen der europäischen Ländern ähnlich sind.
Gibt es in Japan Probleme mit dem Tierschutz, wie geht es Hunden in Tierheimen?
Prof. Miki Kakinuma: Im Allgemeinen bevorzugen Japaner es nicht, Tiere zu töten. Streunernde Hunde werden eingefangen und in Tierheime oder an neue Besitzer geschickt. Wenn ungewollte Hunde dann doch einmal euthanasiert werden, dann von Beamten. Man bringt unerwünschte Hunde zu diesem Zweck in die örtlichen Gesundheitszentren, nicht zu Tierärzten. Aus europäischer Sicht mag das unverantwortlich sein, aber es ist einfach nicht die richtige Wahl für japanische Hundehalter.
Was ist besonders wichtig für ein gutes Verhältnis zu unserem eigenen Hund? Was sagst du als Wissenschaftlerin unseren Lesern?
Prof. Miki Kakinuma: Ich meine, dass die Fähigkeit, sich in der Wärme des anderen wohl zu fühlen, am wichtigsten ist. Natürlich sind gute Kommunikationsfähigkeit und viele andere Dinge wichtig, aber wenn es um das Wesentliche geht, ist es wichtig, schlicht glücklich zu sein, den Platz miteinander zu teilen. Ich glaube, es liegt in unseren Genen, die Wärme des Hundes als etwas Positives und Tröstliches zu genießen und umgekehrt. (Was ich versuche zu sagen ist, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich mich bei einem Löwen oder Elefanten wohlfühlen würde!)
Vielen Dank, Professor Kakinuma, für das Gespräch.
Fotos: Miki Kakinuma/AdobeStock: mykeyruna, Haru, Anton Maltsev
Miki Kakinuma ist Psychologie-Professorin an der Nippon Veterinary and Life Science University in Tokio. Sie leitet das Institut für vergleichende Entwicklungspsychologie. Hier arbeitet sie mit Menschen, Schimpansen und Hunden. Kakinuma ist die führende Wissenschaftlerin in Japan zur Mensch-Hund-Beziehung. Christoph Jung kennt Miki seit 2014 und sprach mit ihr über die Japaner und ihre Hunde exklusiv für die HundeWelt.
Dieses Interview stammt aus der HundeWelt.