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Im Gespräch mit Dr. Bernhard Unti

Dr. Bernhard Unti ist der strategische und wissenschaftliche Leiter der „The Humane Society of the United States“ (HSUS). Das ist mit 125 Millionen Dollar Jahresumsatz und mehr als 500 fest Angestellten eine der größten Tierschutzorganisationen der USA. HSUS betreibt keine Tierheime, jedoch einige große Tierkliniken, in denen mittellose Halter ihre Tiere kostenlos behandeln lassen können. HSUS engagiert sich besonders in der Förderung wissenschaftlicher Forschung zum Wohl der Tiere. HundeWelt-Autor Christoph Jung lernte Bernhard auf der Jahrestagung der „International Society for Anthrozoology“ in Florida kennen und sprach mit ihm über das Verhältnis der Amerikaner zu ihren Hunden.

Bei meinen Besuchen in den USA fällt mir auf, dass man nur selten Hunde sieht. In Gaststätten zum Beispiel sieht man sie fast nie. Dabei haben die Amerikaner, statistisch gesehen, pro Kopf viel mehr Hunde als die Deutschen. Bilde ich mir da etwas ein oder wie ist mein Eindruck zu erklären?

Dr. Bernhard Unti: Nun, wir haben eine Menge Hunde (und Katzen) als Haustiere in den Vereinigten Staaten. Die Zahlen variieren je nach Quelle. Die Umfrage der American Pet Products Association zeigt, dass es 84,6 Millionen Haushalte mit Haustieren gibt. Etwa 48 Prozent der Haushalte haben Hunde, und etwa 38 Prozent haben Katzen.

Was den Zugang von Hunden zu öffentlichen Plätzen angeht, so hinken wir hinter einigen anderen Nationen hinterher. Über die ganzen Vereinigten Staaten hinweg variieren die Gesetze und Verordnungen sehr stark, die regeln, wo Einzelpersonen ihre Haustiere mitnehmen können. Sie können restriktiv sein. Es gibt viele Gesundheitsvorschriften, die die Anwesenheit von Tieren einschränken. Der Aufenthalt von Assistenztieren in Restaurants ist per Gesetz garantiert. Wir arbeiten daran, den Flugverkehr für Haus- und Assistenztiere zu normalisieren. Da machen wir Fortschritte, obwohl die Diskriminierung bestimmter Hunderassen die Entscheidungen der Fluggesellschaften erschwert.

Ich denke, dass wir dazu neigen, die entsprechenden Regeln strenger durchzusetzen als anderswo. Zugleich gibt es ein höheres Maß an Überempfindlichkeit gegenüber Tieren. Viele Amerikaner wollen Sicherheit, dass Hunde sie nicht beißen. Sie wollen Sicherheit davor, dass Hunde sie nicht krank machen und etwa beim Essen stören.

Wie sieht das dann bei der Arbeit oder im Restaurant aus?

Dr. Bernhard Unti: Wenn bei uns Unternehmen hundefreundlich sind, sagen sie das in aller Regel durch eine Beschilderung. Gleichzeitig machen Unternehmen, die nicht hundefreundlich sind, dies meist ebenfalls sehr deutlich. Es gibt ein wachsendes Interesse daran, Hunde zum Arbeitsplatz mitzunehmen. Meine Organisation hat ein Buch dazu veröffentlicht, um dabei zu helfen, solche Programme einzuführen. Hundetagesstätten, wo Menschen ihre Hunde abgegeben können, während sie selbst bei der Arbeit sind, florieren derzeit.

Es gibt eine Diskussion über den besseren Zugang für Hunde in Restaurants. Im Jahr 2014 unterzeichnete der kalifornische Gouverneur Jerry Brown ein Gesetz, das Hunde auf Restaurantterrassen und in Innenhöfen ausdrücklich erlaubt. Wir beobachten einen zunehmenden Trend, dass Cafés von den Leuten bevorzugt werden, wenn sie ihre Tiere mitnehmen können. Auch spezielle Hundeparks sieht man in den Städten immer öfter.

Wie ist das Verhältnis der Amerikaner zu ihren eigenen Hunden?

Dr. Bernhard Unti: Das Buch “Citizen Canine” des Wissenschaftsjournalisten David Grimm enthält eine ausführliche Beschreibung der Verbesserung des Status insbesondere von Hunden. Im 21. Jahrhundert wurden Haustiere zu Familienmitgliedern. Sie wurden in einigen Situationen auf den Status einer Staatsbürgerschaft erhoben. Sie werden in zunehmendem Maße in die menschliche Planung und Politik einbezogen.

Aus meiner eigenen beruflichen Praxis kann ich vom Hurrikan Katrina (2006) berichten. Die Evakuierungspläne waren nur dann erfolgreich, wenn sie die Haustiere umfassten. Ich erinnere an den öffentlichen Aufschrei um den Melamin-Verseuchungsskandal im Heimtierfutter (2007). Ich erinnere an den Michael-Vick-Fall (2007), wo ein berühmter amerikanischer Athlet wegen seiner Teilnahme an einem Hundekampf verurteilt wurde. Wir haben den Aufstieg der No-Kill-Bewegung und die Bemühungen, die Aussichten auf Adoption zu stärken.

Was ist deine Meinung?

Dr. Bernhard Unti: Als Wissenschaftler und Anwalt interessiere ich mich sehr für das Konzept von “Zoopolis”. Das ist eine Art integrierte menschliche Ethik, die alles Leben, menschliches wie nicht-menschliches, als erweiterte Gemeinschaft sieht.

Gibt so etwas wie Qualzucht bei Hunden?

Dr. Bernhard Unti: Wir haben keinerlei Standards für eine gesunde Hundezucht. Leider wurde der American Kennel Club, ein bedeutender Zuchtverband, von der Puppy Mill-Industrie „erobert“. Der Kontrast zu Nationen wie Schweden, England und Deutschland ist groß. Ich würde die Zustände nicht als “Folter” bezeichnen, doch schlechte Zucht bringt enorme Missbildungsprobleme mit sich, die den Tierschutz gefährden. Unsere riesigen Puppy Mills interessieren sich nicht für Zuchtstandards.

Welche Rolle spielen Puppy Mills in den Staaten?

Dr. Bernhard Unti: In unseren Kampagnen betonen wir die schwerwiegenden Tierschutzprobleme, die mit dem Puppy Mill-System verbunden sind. Das gilt für eine Vielzahl von Verhaltensproblemen. Puppy Mills bedeuten für die Tiere ein psychologisches Trauma sowie eine unzureichende Sozialisierung. Und es mangelt an Umweltreizen. Selbst einfachste körperliche Bedürfnisse werden missachtet.

Durch die Epigenetik wissen wir heute, dass die Belastung der Mutterhunde in der Schwangerschaft, der Mangel an Sozialisation, der Stress der ersten Erfahrungen, einen schädlichen Einfluss und nicht nur auf die Lernfähigkeit haben. Während der Perinatalperiode reagiert das Gehirn besonders empfindlich auf Umwelteinflüsse. Frühkindliche Erfahrungen wie Stressbelastung oder suboptimale mütterliche Fürsorge können für das Individuum dauerhafte nachteilige Folgen haben. Diese Schäden leben in deinem Hund weiter.

Puppy Mills sind ein Problem von zunehmender Bedeutung in den Vereinigten Staaten. Sie behindern unsere Fortschritte, Tierheime zur ersten Adresse zu machen, wenn es darum geht, ein Haustier zu erwerben. Als Lieferant von Tieren für Zoohandlungen – viele dieser Geschäfte verkaufen lediglich Tierbedarf und verwandtes Material – verschärfen Puppy Mills die Überbevölkerungsprobleme. Sie sorgen bei den Verbrauchern für Enttäuschungen in Form von ungesunden Begleitern, angeborenen Schäden und hohen Ausgaben für den Tierarzt.

Warum tun Menschen den Tieren, die sie angeblich lieben, so etwas wie Qualzucht oder Puppy Mills an?

Dr. Bernhard Unti: Wenn wir von den Produzenten sprechen, den Welpenzüchtern, sieht die Sache ziemlich einfach aus. Gewinne gehen vor Mitgefühl. Für sie ist es bequemer, Hunde als Vieh anzusehen.

Bei den Verbrauchern ist das anders. Die meisten Bürger sind sich der Umstände, unter denen Welpen gezüchtet werden, einfach nicht bewusst. Sie werden oft durch Werbung und Anbieter in die Irre geführt. Natürlich sind sie anfällig für „Impulskäufe“ niedlicher Tiere. Ich bin mir nicht sicher, ob wir behaupten können, dass die Amerikaner Puppy Mills wirklich akzeptieren. Daher liegt es in unserer Verantwortung, ihnen dabei zu helfen, bessere Entscheidungen zu treffen. Es ist eine Herausforderung für das menschliche Verhalten wie das soziale Marketing der HSUS.

Die menschliche Psyche spielt Puppy Mills in die Hände: Die Menschen wollen sofortige Befriedigung. Sie möchten nicht warten müssen, um einen Hund von einem verantwortlichen Züchter zu bekommen. Zumal, wenn sie einen Hund sofort online bei einem “Züchter” bestellen können, der behauptet, verantwortlich zu sein. Sie wollen der attraktiven Website oder in den gut formulierten Verkaufsversprechen glauben. Es fällt den Menschen schwer, eine gesunde Dosis Skepsis zu bewahren, wenn sie einem entzückenden Welpen gegenüberstehen.

Gibt es in den USA Vorschriften oder Gesetze, die die Zucht und den Handel mit Hunden regeln?

Dr. Bernhard Unti: Unsere Bundes- und Landesvorschriften sind relativ schwach, obwohl in 35 Bundesstaaten einige Zuchtvorschriften gelten. In letzter Zeit haben wir uns auf die Verabschiedung von Gesetzen konzentriert, um den Verkauf in Zoohandlungen zu unterbinden. Das ist ein direkter Angriff auf die Großzuchtindustrie.

Ich muss sagen, dass das US-Landwirtschaftsministerium unter der Trump-Regierung viel weniger aktiv ist im Vollzug des Tierschutzrechtes gegenüber Puppy Mills. Auch die Transparenz hat enorm gelitten. Eine Analyse in der Washington Post dokumentiert den Rückgang der Vollzugsmaßnahmen um 92 Prozent. Die Behörden haben Protokolle und andere Unterlagen von ihren öffentlichen Websites entfernt.

Wie ist die Lage der Hunde in den Tierheimen?

Dr. Bernhard Unti: Insgesamt haben wir eine viel bessere Situation als in den 1970er Jahren. Die Zahl der gesunden, obdachlosen Tiere ist seitdem stark zurückgegangen. Damals wurden 17 bis 20 Millionen Tiere eingeschläfert, weil sie kein Zuhause fanden. Die Zahlen sind in vielerlei Hinsicht immer noch beunruhigend: Schätzungen zufolge werden jährlich zwei bis drei Millionen Tiere eingeschläfert. Aber wir haben erhebliche Fortschritte gemacht. Darüber hinaus ist es uns gelungen, durch Architektur, Design, verbesserte Verfahren und Praktiken sowie die Entwicklung der Tierheimmedizin die Tierheime viel besser zu machen. Eine weitere positive Entwicklung ist die Zunahme von Vermittlungsstellen, die den Druck auf die Notunterkünfte erheblich verringern.

Wir bedanken uns bei Dr. Unti für das ehrliche und offene Gespräch.

Fotos: Dr. Bernhard Unti/AdobeStock


Dr. Bernhard Unti ist der strategische und wissenschaftliche Leiter der „The Humane Society of the United States“ (HSUS). Das ist mit 125 Millionen Dollar Jahresumsatz und mehr als 500 fest Angestellten eine der größten Tierschutzorganisationen der USA. HSUS betreibt keine Tierheime, jedoch einige große Tierkliniken, in denen mittellose Halter ihre Tiere kostenlos behandeln lassen können.

Dieses Interview stammt aus der HundeWelt.

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