Einsatz auf vier Pfoten! | Teil 29
Die Bombendrohung war telefonisch im Sekretariat der Schule eingegangen. Demnach werde am Ende der großen Pause ein Sprengsatz detonieren. Mit fünf Sprengstoffspürhunden rasten wir zum Einsatzort.
Die Evakuierung des Gebäudes war bereits abgeschlossen, als wir eintrafen.
Im Pausenhof drängten sich die Schüler, einige rauchten, andere scherzten und lachten. Die Stimmung war ausgelassen. Niemand schien die Drohung für bare Münze zu nehmen. Wir jedoch mussten so handeln, als wäre sie ein Ernstfall, denn ganz ausschließen konnten wir das trotz aller Erfahrung nicht.
Die Zeit drängte. Schnell teilten wir die Schule in Zuständigkeitsbereiche auf. Carina und ich bekamen das Erdgeschoss links zugewiesen: sechs Klassenzimmer und den Gang. Viele Möglichkeiten, eine Bombe zu verstecken.
Noch zwanzig Minuten, und wir hatten erst einen Raum abgesucht. Im nächsten Klassenzimmer motivierte ich Carina, schneller zu suchen. Ich trieb sie weiter, wenn sie allzu lange an einem vermutlich nach Wurst duftenden Schulranzen hängenblieb, wies ihr mit der Hand, wo es sich besonders zu suchen lohnte.
„Such’s Stoffi!“
Ich kannte sie: Würde sie Stoffi riechen, ließe sie sich nicht davon abbringen, diesen auch anzuzeigen. Denn das anschließende Spielen wollte sie sich keinesfalls entgehen lassen. Ein Anzeigen von kulinarischen Köstlichkeiten, und sei es Schokolade, war im Gegensatz dazu nie belohnt worden. Auch das war hinreichend geübt worden. Warum also sollte sie sich da hinsetzen?
Nur noch weniger als eine viertel Stunde. Allmählich wurde ich nervös. Sollten wir nicht einfach abbrechen und erst einmal warten, ob es knallte? Diese Entscheidung durfte allein der Einsatzleiter treffen. Die Zeit war gerade abgelaufen, als ich das letzte Zimmer verließ. Carina hechelte hektisch, war völlig fertig. Während einer Suche atmen Hunde bis zu dreihundert Mal pro Minute ein- und aus, ihre Körpertemperatur steigt von normalen siebenunddreißig auf bis zu vierzig Grad. Suchen ist Schwerstarbeit für sie. Eine Faustregel besagt, dass ein Hund, abhängig von Lufttemperatur und -feuchtigkeit, spätestens nach zwanzig Minuten eine Pause benötigt.
Carinas Leistungsgrenze war unübersehbar erreicht. Doch vor uns lag noch der Flur!
Mit einem lauten Knall fiel irgendwo eine Tür zu. Ich zuckte zusammen und zog unwillkürlich den Kopf ein. „Verdammt, das ist doch alles sowieso nur wieder ein dummer Scherz!“, beruhigte ich mich. Rückwärts durch den Gang gehend, Carina vor mir, zeigte ich ihr, wo es sich noch zu suchen lohnte. Hier ein Schaltkasten, dort ein Feuerlöscher, ein Mülleimer.
„Gleich hast du’s geschafft, mein Mädchen. Such schön. Such’s Stoffi!“, animierte ich sie erneut und strich ihr über die Flanke. Carina gab sich Mühe, unterbrach ihr Hecheln immer wieder, um besser abschnuppern zu können, was ich ihr mit der Hand wies. Sie tat mir leid. So erschöpft hatte ich sie bei einer Sprengstoffsuche noch nie erlebt. Endlich hatten wir die Aula und damit den Ausgangspunkt unserer Suche erreicht. Ich ging in die Hocke und drückte Carina, deren zuckende, tiefrote Zunge mir doppelt so lang erschien als jemals zuvor, kurz an mich.
„Gut gemacht! Und jetzt nichts wie raus hier!“
Ich nahm sie an die Leine, und wir liefen aus dem Schulhaus. Das unangenehme Gefühl im Rücken, die Erwartung, gleich eine Druckwelle zu spüren, ließ erst nach, als ich bei unseren Streifenwagen ankam. Der Ausbilder und drei weitere meiner Kollegen waren schon da, Leo stieß als letzter zu uns. Alle hatten wir Schweiß auf der Stirn, unsere Hunde hechelten ausgepumpt, schlabberten dazwischen Wasser in ihren Boxen. Wir waren elf Minuten über der Zeit. Der große Knall blieb aus.
„So ein Mist“, fluchte unser Ausbilder gereizt und meldete per Handy Vollzug: „Nein, nichts gefunden, natürlich nicht … ja, verstanden …“
„Warum bist du denn so verärgert?“, fragte ich ihn. „Sei doch froh, besser ein Fehlalarm als ein echter, oder?“
„Lieber gar keiner, als so a’n Schmarrn“, antwortete er und wandte sich dann an uns alle: „Wir können fahren, Kollegen! Betrachten wir das Ganze als Praxisübung. Die heutige Ausbildung ist somit gelaufen.“
Ein Gefühlsmix wirbelte meine Gedanken auf dem Rückweg durcheinander.
Einerseits war ich froh, dass Carina, keiner unserer Hunde, etwas gefunden hatte. Auf der anderen Seite, wäre ein Erfolg nicht auch mal schön gewesen? Nein, lieber nicht. Allein das Finden wäre mit großer Gefahr für uns verbunden, aber auch die Maßnahmen danach, das Entschärfen durch unsere Spezialisten aus München, der Abtransport des Sprengsatzes. Also lieber kein Erfolg. Außerdem: Nichts gefunden zu haben, war doch ein Erfolg! Denn das stellte sicher, dass keine Bombe in der Schule versteckt war. Mit diesem Fazit gelang es mir, den Ärger über den Anrufer zu vergessen.
Hier erfährst du, wie es weitergeht.
Elmar Heer arbeitet seit 40 Jahren als Polizeibeamter. 1990 wechselte er vom Streifendienst zur Diensthundestaffel Mittelfranken. Schon früh entdeckte er seine zweite Leidenschaft: das Schreiben. Mit seinem Buch „Partner auf Leben und Tod“, erschienen bei Droemer-Knaur, gewährt der Autor dem Leser einen Einblick in Leben und Arbeit eines Polizeihundeführers. Er erzählt über seine Aufgaben als Hundeführer, die umfangreiche Ausbildung von Polizeihunden und über spannende, heitere und auch tragische Einsätze, die er mit seinen Schäferhunden Gundo, Bux, Carina und Sam erlebte.
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