
Das Geschäft mit der Einsamkeit – wie wir Tiere zu Therapieobjekten machen | Tierärzte warnen
Es ist Samstag, 10 Uhr morgens, Tierheim Mitte. Lisa, 34, Marketingmanagerin, steht vor Käfig 7 und weint. „Ich brauche ihn”, schluchzt sie und zeigt auf Rocky, einen dreijährigen Schäferhund-Mix. „Seit der Trennung bin ich so allein. Er wird mir helfen.” Die Tierheimpflegerin runzelt die Stirn. Rocky ist ein Angsthund, braucht Ruhe, Geduld, professionelle Unterstützung. Lisa ist sechs Tage die Woche unterwegs, wohnt im vierten Stock ohne Aufzug, hat noch nie einen Hund besessen.
Trotzdem füllt sie den Adoptionsvertrag aus. Rocky wird ihr neuer emotionaler Rettungsanker.
Willkommen im Zeitalter der Therapietiere ohne Therapie.
Wir leben in einer Zeit, in der Haustiere zu lebenden Antidepressiva geworden sind. „Emotional Support Animals” heißt das neudeutsch. Tiere als Lückenfüller für zerbrochene Beziehungen, als Trostspender bei Depressionen, als Ersatz für menschliche Nähe. Das klingt schön. Ist aber oft das Gegenteil.
Denn was wir „emotionale Unterstützung” nennen, ist meist emotionaler Missbrauch. Wir projizieren unsere Bedürfnisse auf Wesen, die ihre eigenen haben. Erwarten bedingungslose Liebe von Tieren, die selbst traumatisiert sind. Machen Hunde zu Therapeuten, die nie dafür ausgebildet wurden.
Das Ergebnis: Überforderung auf beiden Seiten. Menschen, die denken, ein Tier würde ihre psychischen Probleme lösen – und dann verzweifeln, wenn der Hund nicht funktioniert wie gewünscht. Tiere, die unter dem Druck zerbrechen, den perfekten Seelenpartner geben zu müssen.
Ich habe es selbst erlebt. Sarah, 28, adoptierte einen Welpen nach dem Tod ihrer Mutter. „Balu sollte die Leere füllen”, erzählte sie mir. Aber Balu war ein normaler Hund. Er bellte, kaute Schuhe, brauchte Auslauf. Sarahs Trauer wurde nicht besser – sie wurde schlechter. Nach vier Monaten brachte sie Balu zurück ins Tierheim. „Er hat nicht geholfen”, sagte sie. „Er hat alles nur schlimmer gemacht.”
Das ist kein Einzelfall.
Tierheime berichten von einer neuen Kategorie von Rückgaben: „Therapie-Versager”. Tiere, die adoptiert wurden, um emotionale Wunden zu heilen – und dann „versagten”, weil sie normale Bedürfnisse hatten.
Social Media verstärkt das Problem. Influencer verkaufen die Illusion vom perfekten Tier-Mensch-Bond. #therapydog und #emotionalsupport werden zu Marketing-Hashtags. Und wir glauben daran. An die magische Heilkraft von Fell und Schnauze.
Dabei ist die Wissenschaft eindeutig
Tiere können psychisches Wohlbefinden fördern – aber nur, wenn die Haltung verantwortlich ist. Wenn Menschen emotional stabil genug sind, sich um ein anderes Lebewesen zu kümmern. Wenn die Chemie zwischen Mensch und Tier stimmt.
Ein Tier zu adoptieren, um emotionale Probleme zu lösen, ist wie Alkohol zu trinken, um Depressionen zu bekämpfen. Es funktioniert kurzfristig. Langfristig macht es alles schlimmer.
Die Lösung ist unbequem: Erst die eigenen Probleme lösen. Dann – vielleicht – ein Tier adoptieren. Nicht als Therapeut, sondern als Begleiter. Nicht als Heilmittel, sondern als Verantwortung.
Rocky ist übrigens wieder im Tierheim. Lisa brachte ihn nach drei Wochen zurück. „Er war zu anstrengend”, sagte sie. Jetzt sucht sie einen Therapeuten. Einen menschlichen.
Ich bin Max Löhmer. Und ich glaube an echte Heilung.
Max Löhmer (41) hat sich als Reporter mit vielen Themen beschäftigt– bis ihm ein sterbender Billig-Welpe das Herz brach. Seitdem kämpft gegen Tierleid und die Welpenmafia. In „Löhmer blickt hin“ zeigt er, wo andere wegschauen.