Benutzt Leckerlis zum Trainieren!
„Ich bin immer wieder überrascht, ja schockiert, zu sehen, dass manche die Leckerlis beim Training als eine schlechte Methode ablehnen, da der Hund dann keine echten Gefühle aufbauen könne…“
Marc Bekoff war bis zu seinem Ausscheiden in den (Un-)ruhestand Professor für Ökologie und Evolutionäre Biologie an der Universität von Colorado in Boulder nahe Denver, USA. Der vielfach ausgezeichnete Wissenschaftler arbeitet seit langem eng zusammen mit der Pionierin der Verhaltensforschung Jane Goodall. Mit ihr gründete er eine Tierschutzorganisation. Bekoff hat unzählige Bücher über Tiere und Hunde geschrieben. Das ganze Leben hat er eng mit Hunden verbracht. Sein aktuelles Buch “Canine Confidential” kam jetzt in deutscher Übersetzung als “Feldstudien auf der Hundewiese” heraus. Bekoff schreibt regelmäßig Beiträge auf Psychology Today. Mit ihm sprach Christoph Jung exklusiv für die HundeWelt.
Marc, dein neues Buch “Canine Confidential” ist nun in Deutsch als “Feldstudien auf der Hundewiese” erhältlich. Du meinst, Futterbelohnungen bedeuten nicht, dass der Hund dich ausnutzt. Wie kommst du darauf?
Marc Bekoff: Ich meine schlicht, dass Futter durchaus zum Trainieren und Erziehen eines Hundes taugt, warum nicht? Hunde lieben dich kein bisschen weniger, wenn du kein Futter benutzen würdest. Sie nutzen dich nicht wegen des Futters aus. Sorgen, dass Hunde dich dann nicht mehr lieben würden und einfach als Futterquelle ohne soziale Bindung ausnutzen, sind unbegründet. Ich denke, dass das in den meisten Fällen nicht zutrifft. Wenn es mit Futter funktioniert, dann tu es. Wenn nicht, versuche eben was anderes. Ich bin immer wieder überrascht, ja schockiert, zu sehen, dass manche die Leckerlis beim Training als eine schlechte Methode ablehnen, da der Hund dann keine echten Gefühle aufbauen könne.
Ich selbst gebe keine Leckerlis bei der gemeinsamen Arbeit. Aber ich gebe sie immer wieder während des Tages. Auch wir Menschen beschenken uns untereinander, um die emotionale Bindung zu vertiefen. Was ist die Grundlage, auf der solche Gefühle aufgebaut werden können?
Marc Bekoff: Zunächst einmal, Hunde sind eine große Verantwortung: Ich meine hier einfach, dass, wenn jemand die Verantwortung für das Leben eines Hundes oder eines anderen nichtmenschlichen Tieres übernimmt, auch als Begleiter, mit dem sie ihr Zuhause und ihr Herz teilen, dass dies eine einschneidende und anspruchsvolle Veränderung bedeutet und das nicht nur in der ganzen Zeiteinteilung, der Energie, den Finanzen.
Die Menschen sind verpflichtet, an der Entwicklung und Aufrechterhaltung einer respektvollen Beziehung zu arbeiten, die auf gegenseitiger Toleranz basiert und für beide von Nutzen ist. Es muss ein Geben und Nehmen sein und die Wünsche des Hundes müssen sorgfältig ernst genommen werden. Die meisten Menschen, die diese Entscheidung getroffen haben, wissen, dass ein Hund auch nerven und ihre Geduld austesten kann. Die Lernkurve kann sowohl für den Menschen als auch für den Hund ziemlich steil sein, und es kann auch sehr viel Spaß machen, die Bedürfnisse und Eigenarten des anderen kennenzulernen.
„Dominanz“ ist nach wie vor ein großes Thema in der menschlichen Hundewelt. Es scheint ein Schlagwort geworden zu sein für alles, was ein Hundehalter bei seinem Hund nicht mag – aber nicht wirklich versteht oder verstehen will. Ich denke, dass wir Menschen zu 99% der dominante Part sind.
Marc Bekoff: Ja, manche sind dominant zu ihren Hunden, obwohl sie es nicht sein sollten. Dominanz scheint ein Sammelbegriff für jegliches unerwünschtes Verhalten von Hunden zu sein. Deniers bieten keine glaubwürdige Erklärung, um diese Frage zu beantworten. Zieht ein Schlittenhund wie der Husky an der Leine,„ist er dominant“. Springt ein Deutscher Schäferhund vor Freunde einen Besucher an, „ist er schon wieder dominant“. Anfang des Jahres beobachtete ich im Warteraum einer Tierarztpraxis einen Pointer, der zunehmend gestresster wurde. Als ein Aussie ihm zu nahe kam, knurrte und schnappte er nach ihm, um ihn auf Abstand zu halten. Der Besitzer des Pointers entschuldigte sich für dessen Verhalten „tut mir leid, er ist so dominant“ und schlug ihm auf den Kopf.
Was meinst du mit “Deniers”?
Marc Bekoff: Ich verwende den Ausdruck “Homo denialus” für Menschen die ignorieren oder ablehnen, dass andere Tiere empfindsame und fühlende Wesen sind und sich mit dieser Sicht wohl fühlen, wenn wir ihnen im Namen der Menschheit Schlimmes antun. Sie sind wie Klimawandel-Leugner, die sagen, das Klima ändere sich nicht und fordern so die seriöse Wissenschaft heraus oder ignorieren sie schlicht. Menschen können sehr gut alles bestreiten, was sie nicht wollen. Ich habe mich damit intensiv in meinem Buch „Building Pathways of Compassion and Coexistence“ beschäftigt.
Die meisten heutigen Verhaltens-Wissenschaftler gewinnen ihre Erkenntnisse aus Laborstudien. Du arbeitest draußen, da wo die Hunde leben, zum Beispiel auf der Hundewiese. Warum?
Marc Bekoff: Ich nenne Hundewiesen und andere Orte, wo Hunde frei laufen können, meine Beobachtungsplätze. Ich beobachtete auf gleiche Weise streunende und einige wilde Hunde in einem Bergort westlich Boulder, gleichzeitig bin ich ein Freiland-Biologe und studierte Kojoten in Wyoming über 9 Jahre hinweg, Adeliepinguine an den Felsen von Cap Crozier in der Antarktis genau wie Vögel an meinem Haus in den Bergen am Rande von Boulder, Colorado. Ich denke, dass es entscheidend ist, Hunde da zu studieren, wo sie frei laufen und frei mit ihren Freunden, anderen Hunden und Menschen interagieren können. Es ist nicht so kontrollierbar wie im Labor, doch können wir eine Menge lernen, wenn wir die Hunde schlicht dann beobachten, wenn sie die Freiheit haben, Hund zu sein. Jessica Pierce und ich schreiben gerade an einem neuen Buch exakt zu diesem Thema “Unleashing Your Dog: A Field Guide to Giving Your Canine Companion the Best Life Possible”. Ich freue mich auch immer wieder, wenn ich Hundetrainer draußen im Park sehe, da lernen sie mehr als in ihrem Büro. Wie bei vielen anderen Tieren versuche ich die Evolution und das Verhalten von Hunden zu verstehen, und wie die ökologische Umgebung ihr Handeln beeinflusst. Das ist genau dasselbe, wie wenn du versuchst, die Evolution des Hundes zu verstehen, wie wir es zusammen in unserem Interview für Psychology Today „Auf den Müll mit der Theorie von der Domestikation des Hundes auf der Müllkippe – ein für allemal“ ausgeführt haben.
Ein anderes Thema. Du kämpfst für einen ethischen Umgang mit Tieren. Was heißt das für Hunde?
Marc Bekoff: Es meint, dass es sich jemand genau überlegen soll, wenn er oder sie entscheidet, Herz und Zuhause mit einem Hund teilen zu wollen. Sie sollten dann wirklich alles in ihrer Macht stehende tun, diesem Individuum das beste Leben zu ermöglichen. Und zwar über die ganze Lebenszeit hinweg! Es sollte geprüft werden, ob man wirklich den Willen hat, dies zu tun. Es ist eine hohe ethische Verantwortung, einen Begleithund in sein Leben zu holen und für sein Wohlsein zu sorgen und dann, wenn einmal die Zeit gekommen ist, die Entscheidung über das Ende seines Lebens zu treffen. Auch hier hilft es sehr, sorgfältig zu beobachten, was dein Schützling will und braucht.
Wenn du für unsere Leserinnen und Leser noch einen Tipp hast, worauf sie besonders achten sollen, um ihr Verhältnis zum Hund und dessen Wohlbefinden zu verbessern?
Marc Bekoff: Ich habe darüber schon mal einen Artikel in Psychology Today geschrieben. Das Wichtigste hier in Stichworten. Wie oben schon gesagt, Hunde brauchen unser hohes Verantwortungsbewusstsein. Jeder Hund stellt eine individuelle Persönlichkeit dar. Du solltest versuchen, sie kennenzulernen und zu verstehen. Dabei solltest du die Hundesprache fließend beherrschen. Das setzt voraus, dass du Hunde sorgfältig beobachtest, besonders wenn sie frei agieren können. Ich habe es oben beschrieben. Und noch ein Hinweis: Hetze nicht beim Gassi-Gehen. Gibt deinem Hund die Zeit, in Ruhe herumzuschnüffeln und seine Umgebung zu erkunden. Das Wichtigste: Du kannst deinem Hund nie zu viel Liebe schenken!
Sehr geehrter Herr Bekoff, vielen Dank für das angenehme Gespräch.
Marc Bekoff war bis zu seinem Ausscheiden in den (Un-)ruhestand Professor für Ökologie und Evolutionäre Biologie an der Universität von Colorado in Boulder nahe Denver, USA. Der vielfach ausgezeichnete Wissenschaftler arbeitet seit langem eng zusammen mit der Pionierin der Verhaltensforschung Jane Goodall. Mit ihr gründete er eine Tierschutzorganisation.
Dieses Interview stammt aus der HundeWelt.