
David sagt, ich dramatisiere – Pompi sagt gar nichts. Er tritt nur Dinge vom Regal.
Hier schreibt Julius Mertens, Anfang 40, Texter und Kolumnist. Gemeinsam mit seinem Partner David und dem orangefarbenen Kater Monsieur Pompadour lebt er in einer Wohnung, die früher mal ihm gehörte, heute inszeniert Pompi täglich neue Bühnenstücke zwischen Futterneid, Fensterbank-Drama und Sofakissen-Intrigen.
Es fing damit an, dass ich bemerkte, wie Monsieur Pompadour mich anders anschaute. Nicht mehr mit der üblichen Mischung aus Verachtung und gelangweilter Toleranz, sondern mit etwas, das ich nur als „kalkulierte Feindseligkeit” beschreiben kann. Als hätte ich etwas getan. Etwas Unverzeihliches.
„Du übertreibst”, sagte David, als ich ihm meine Beobachtung mitteilte. „Das ist ein Kater, kein Mafia-Boss.”
„Schau ihn dir an!”, insistierte ich und deutete auf Pompi, der auf dem Bücherregal saß und uns beide mit der Intensität eines Gerichtsmediziner bei einer Obduktion musterte. „Das ist nicht normal!”
„Das ist völlig normal”, antwortete David und blätterte gelassen in seiner Architekturzeitschrift weiter. „Katzen schauen halt.”
Schauen. SCHAUEN. Als würde Pompi einfach nur „schauen” und nicht dabei planen, wie er uns am effizientesten aus der Wohnung mobben könnte.
Klirr.
Wir schauten beide hoch. Pompis Pfote schwebte über der Stelle, wo gerade noch meine Lieblings-Kaffeetasse gestanden hatte. Sie lag jetzt in tausend Scherben auf dem Boden.
„Hoppla”, sagte David. „Das passiert halt manchmal.”
„Hoppla?”, wiederholte ich ungläubig. „Das war Absicht! Hast du gesehen, wie er mich dabei angeschaut hat?”
„Du dramatisierst”, sagte David und griff nach dem Handfeger. „Es war ein Versehen.”
Versehen. Als wäre Satan in Plüsch jemals etwas aus Versehen passiert.
Am nächsten Tag: Klirr. Das Salzstreuer-Set aus Italien. Direkt vor meinen Augen. Pompi schaute mich dabei an, als würde er sagen: „Das war für gestern.”
„Siehst du?”, rief ich zu David ins Bad. „Er führt eine Liste!”
„Was für eine Liste?”, rief David zurück.
„Eine Rache-Liste! Er rächt sich für irgendwas!”
David kam mit Zahnbürste im Mund heraus. „Du shpinnshd.”
„Ich spinne nicht! Er—”
Klirr.
Die kleine Vase vom Fensterbrett. Pompi saß daneben und putzte sich gelassen eine Pfote, als wäre nichts geschehen.
„Okay”, sagte David, nachdem er ausgespült hatte. „Das ist schon komisch.”
SCHON komisch. Nach drei Tagen systematischer Verwüstung war es „schon komisch”.
Tag vier: Die Gewürzgläser. Alle. Nacheinander. Mit fünf Minuten Pause dazwischen, damit wir auch ja zuschauen konnten. Das Orakel hatte offenbar beschlossen, dass wir Zeugen seiner Urteilsvollstreckung werden sollten.
„Jetzt reichts!”, sagte ich und stellte mich vor das Regal. „Was ist los? Was hab ich getan?”
Pompi schaute mich an. Dann schaute er an mir vorbei zu David. Dann wieder zu mir. Dann hob er ganz langsam seine Pfote und schubste das letzte verbliebene Gewürzglas – Zimt – vom Regal.
Klirr.
„Das war eine Antwort”, flüsterte ich.
„Das war ein Kater”, sagte David. „Ein Kater mit schlechten Manieren.”
„Schlechte Manieren?”, rief ich. „Das ist psychologische Kriegsführung!”
An diesem Abend setzte ich mich hin und dachte nach. Was hatte ich getan? Wann hatte das angefangen? Und dann – Erleuchtung.
„David”, sagte ich langsam. „Erinnerst du dich an letzten Montag?”
„Was war letzten Montag?”
„Das neue Katzenfutter.”
David runzelte die Stirn. „Welches neue Katzenfutter?”
„Das mit Huhn und Gemüse. Das gesunde. Das teure.”
„Ach das.” David winkte ab. „Ja, und?”
„Pompi hat es nicht angerührt.”
„Stimmt. Er war wohl nicht hungrig.”
Ich schaute zu Pompi hinüber, der auf seinem Kratzbaum saß und uns beobachtete. „Er war nicht nicht hungrig. Er war beleidigt.”
„Beleidigt?”
„Wir haben ihm sein geliebtes Billigfutter weggenommen und durch Bio-Wellness-Kram ersetzt. Ohne ihn zu fragen.”
David schaute zwischen mir und Pompi hin und her. „Du meinst, er… rächt sich? Für Katzenfutter?”
Als Antwort erhob sich der Fluffinator majestätisch, spazierte zum Couchtisch und schubste mit einer einzigen, eleganten Bewegung die Fernbedienung auf den Boden.
Klonk.
„Das”, sagte ich triumphierend, „war ein Ja.”
Wir gingen sofort zum Supermarkt und kauften eine Palette des alten, ungesunden, billigen Katzenfutters. Als wir zurückkamen, hatte Pompi nichts mehr vom Regal geschubst.
Stattdessen saß er vor seinem Futternapf und wartete.