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Mein Hund ist so überdreht!

“Liebes HundeWelt-Team, unsere Retriever-Hündin bringt mich an meine Grenzen. Was soll ich nur tun?”


Mila R. schreibt uns: “Ich habe sie von klein auf. Und es heißt doch, dass Retriever so leicht erziehbar sind. Das kann ich von ihr nicht sagen. Wir haben alles gemacht: Hundeschule, tägliches Training, viel Auslauf – aber der Hund ist extrem aufgeregt, zieht an der Leine und in neuen Umgebungen ist sie unberechenbar und wild. Rückruf funktioniert nur, wenn keine Ablenkung da ist. Der Alltag mit ihr ist sehr anstrengend, insbesondere jetzt, da wir ein vier Monate altes Baby haben. Mein Mann möchte sie nicht abgeben, aber ich fühle mich oft überfordert, da ich Hund und Baby gleichzeitig managen muss. Ich frage mich, ob wir ihr überhaupt gerecht werden können, oder ob wir etwas Grundlegendes übersehen. Habt ihr Tipps für Trainingsansätze oder Möglichkeiten, wie ich in dieser Phase eine bessere Balance finden kann? Ich bin für jeden Hinweis dankbar.”

Liebe Mila,

erst einmal möchten wir dir nachträglich zu deinem Baby gratulieren. Die Geburt liegt ja erst vier Monate zurück, da geht das noch. Und gleichzeitig liegt wahrscheinlich auch da eines der Probleme. Wenn eine Frau zum ersten Mal Mutter wird, ist alles neu.

Diese Zeit kann sehr erfüllend, aber auch sehr anstrengend sein. Wenn ich selbst nachdenke, wie es war, als ich meine Tochter gerade bekommen habe, erinnere ich mich, wie wenig ich geschlafen habe und wie übermüdet und überfordert ich zuweilen war. Du machst ja auch eine hormonelle Umstellung durch. Und deine Hündin? Bekommt das alles mit – erschwerend hinzukommt, dass sich bei ihr nun auch die Pubertät ankündigt. Und so tanzt ihr gerade zu dritt in einem wahren Hormonrausch umeinander herum und du hast das Gefühl, dass dir das gerade alles zu viel wird. Das ist verständlich und gar nicht so selten. Wie ist die Situation wohl entstanden? Man kann natürlich nur spekulieren.

Aber du schreibst, dass sie der einzige Welpe aus dem Wurf war. Und ja – diese Hunde sind oft drüber. Sie haben keine Geschwister, die ihnen Grenzen setzen und auch die Mütter sind bei einem Einzelwelpen oft sehr nachsichtig. Die Folgen zeigen sich dann später in einem ungestümen und raumgreifendem Wesen. Deine Hündin hat es einfach nicht gelernt, Rücksicht zu nehmen und mit anderen vernünftig zu interagieren. Hinzu kommt, dass du in der Phase ihrer Junghundzeit schwanger warst und dass deine Hündin so etwas riechen kann. Diese hormonellen Umstellungen können bewirken, dass sie dich nicht als stabile und gleichbleibende Quelle ankern konnte. Das passiert übrigens gar nicht so selten, deshalb betrachte ich das kritisch, wenn sich schwangere Frauen einen Hund anschaffen. Dass ihr bei zwei Trainern keinen Erfolg hattet, spricht offen gestanden nicht für die Trainer. Du hast geschrieben, dass sie es nicht schaffte, mit den anderen Hunden zu spielen, weil sie zu wild war. Es wäre gut gewesen, einen solchen Hund aus der Gruppe herauszunehmen und mit einem erfahrenen und gut erzogenen Althund zusammenzubringen. Da hätte sie die Chance gehabt, das zu lernen, was ihr fehlt und ich denke, eure Probleme wären heute nicht in dem Maße vorhanden.


Wie dem auch sei, es bringt ja jetzt nichts, mit Vergangenem zu hadern. Schauen wir also in die Zukunft – was konkret kannst du jetzt tun? Erst einmal: Hunde sind sensible Wesen. Deine Hündin reagiert also auf deinen Stress und sie wird auch merken, dass du sie ablehnst. Was mir nämlich auffällt, ist, dass du noch nicht einmal den Namen der Hündin genannt hast, du sprichst also eher unpersönlich von ihr. Und da frage ich mich schon: Liebe Mila, wie geht es dir? Könnte es sein, dass du unter einer Wochenbettdepression leidest? Symptome sind Energiemangel, eine innere Leere und ein allgemeines Desinteresse? Denkbar wäre es. Wie dem auch sei: Du brauchst jetzt erst einmal schnelle Unterstützung, und deine Hündin auch.

Was du für dich unternehmen kannst, besprichst du am besten mit deinem Arzt. Was man für deine Hündin tun kann? Da hätte ich schon ein paar Anregungen: Kann dein Mann die Hündin mit auf die Arbeit nehmen? Das wäre wohl für euch beide gut. Eine weitere Lösung wäre ein guter Dog-Walker, der die Hündin mit einem gut erzogenen und selbstbewussten Althund Gassi führt und gleichzeitig mit der Hündin einige Kommandos einüben kann. Oder ein Hundetrainer, der genau das leisten kann und eine Hunde-Tagesbetreuung anbietet. Der zwischenhundliche Kontakt wird sie auf eine Weise fordern, den man als Mensch nicht leisten kann. Sie wird zufriedener und ausgeglichener werden, wenn sie die Chance hat, hundliches Sozialverhalten zu lernen. Du musst jedenfalls aus der Erzieherrolle erst einmal raus. Wenn ihr zu Freunden geht, ist dein Mann für die Hündin zuständig und muss sich um sie kümmern. Ebenfalls wichtig ist ein Ruhe-Training. Du schreibst, dass ihr 3 Stunden am Tag mit ihr raus geht. Das ist zu viel.

Möglicherweise ist sie überdreht, weil ihr Ruhe und Schlaf fehlen. Reduziere die Runden und schafft ihr ein Plätzchen, an dem sie schlafen kann. Mach stattdessen Kopfarbeit mit ihr: Schnüffel- und Suchspiele oder übe Tricks ein. Die Hündin muss kleinschrittig lernen und darf wahrscheinlich auch nur dosiert bestätigt werden, weil sie ansonsten so aufgeregt ist, dass sie nicht mehr lernen kann. Außerdem solltet ihr die Hündin beim Tierarzt vorstellen, um sicher zu sein, dass ihr nichts Körperliches fehlt. Es mag sich im Moment vielleicht unüberwindbar anfühlen, aber das ist es nicht, liebe Mila.

Auch der größte Dickkopf kann erzogen werden. Birgit Jaklitsch hat übrigens auch ein ähnliches Retriever-Exemplar erwischt, du kennst Finley aus ihren Kolumnen. Sie hat ein Buch darüber geschrieben – und das sende ich dir heute zu. Als nachträgliches Geschenk zur Geburt. Es hat so viel Humor und ist dabei so gnadenlos ehrlich – ich denke, es könnte dir Mut machen und dir zeigen, dass du mit deinen Problemen wirklich nicht alleine bist. Alles Gute.
Deine Redaktion.

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