Einsatz auf vier Pfoten! | Teil 3
Dienstbeginn 13 Uhr. Zehn Stunden Arbeitszeit lagen vor Carina und mir. Sie wartete schon in ihrer Box im Heck, als ich mich in den Streifenwagen setzte und das Funkgerät einschaltete. Hektik herrschte hier, alle redeten durcheinander. Es dauerte eine Weile, bis ich verstand, worum es ging. Ein Strafgefangener war abgehauen! Nur wo?
Dem Führungsbeamte in der Einsatzzentrale gelang es, sich Gehör zu verschaffen: „Bei dem Flüchtigen handelt es sich um einen verurteilten Internetbetrüger, der von München nach Bayreuth überführt werden sollte.“ Es folgte die Personenbeschreibung: 30 Jahre, dunkelhaarig, schmächtig, grau-grüne Jacke, Halbschuhe. „Die Besatzung des Transporters war Zeuge eines schweren Unfalls geworden. Während sie Erste Hilfe leistete, gelang es dem Häftling, zu entkommen. Er dürfte sich jetzt im Waldgebiet zwischen A 9 und Leerstetten versteckt halten.“
Das ideale Einsatzgebiet für einen Polizeihund!
Mit Blaulicht und Tatütata preschte ich vom Hof der Dienststelle. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, die Hände wurden feucht. Ich war aufgeregt. Das war typisch für den Polizeidienst: von einer Sekunde auf die andere änderte sich die Situation. Gerade noch belud ich entspannt mein Dienstauto, jetzt raste ich hochkonzentriert durch den Verkehr einer vierspurigen Straße stadtauswärts.
Nebenbei hörte ich dem Funkverkehr zu und erfuhr, wo genau sich der Sträfling aufhalten dürfte. Dort kannte ich mich einigermaßen aus. Ich trat auf die Bremse und bog in einen mit dünnem Schnee bedeckten Feldweg ab, den ich beinahe verpasst hatte. Frischen Reifenspuren zeigten, dass hier erst vor Kurzem ein Fahrzeug entlang gefahren war. Doch schon nach wenigen hundert Metern ging es nicht mehr weiter. Eine Gruppe des Unterstützungskommandos (USK) hatte ihren VW-Bus festgefahren. Der Fahrer stand daneben. „Wo sind deine Kollegen?“, fragte ich ihn. „Die sind zu Fuß weiter,“ antwortete er und deutete in Richtung Osten.
Carina winselte ungeduldig
Als ich sie aus dem Auto holte, klinkte ich die Fünf-Meter-Leine in ihr Geschirr ein und folgte den Spuren, die die Kollegen im verharschten Schnee hinterlassen hatten. Je tiefer wir in den Wald vordrangen, desto dünner wurde die weiße Schicht auf den Wegen. Über einige Meter war sie sogar schon ganz verschwunden. Wo die Sohlenabdrücke noch sichtbar waren, vermischten sie sich zunehmend mit anderen, wahrscheinlich von Spaziergängern. Carina hob den Kopf und grub ihre Krallen in den Waldboden.
Was hatte sie gehört? Es waren zwei der USK-Kollegen, die uns im Laufschritt entgegen kamen. „Wo wollt ihr denn hin?“, rief ich ihnen zu. Sie bogen in einen Trampelpfad ab. „Hier ist er entlang gelaufen! Er trägt spitze Schuhe mit glatten Sohlen! Kann man teilweise noch sehen.“ Dann waren sie schon hinter der nächsten Biegung verschwunden.
Carina schaute ihnen aufgebracht hinterher und sprang in die Leine, die ich fest in der Hand hielt. Sie drehte ihren Kopf und schaute mich an. So, also wollte sie mir sagen: „Was ist los, Herrchen? Hier geht’s lang! Hinterher!“ Sie hatte Recht! Wir brauchten nur den Spuren der beiden zu folgen und kämen so vielleicht gerade rechtzeitig, um bei der Festnahme des Flüchtigen zu unterstützen. „Such!“, sagte ich. Carina stürmte derart los, dass ich Mühe hatte, mich auf den Beinen zu halten. Sie folgte dem Pfad, der übersät war mit Schuhabdrücken unterschiedlicher Größen und Profile.
Tatsächlich, die des Häftlings waren auch dabei! Glatt und vorne spitz zulaufend. Doch unter dem immer dichter werden Blätterdach der Tannen hatten die Schneeflocken kaum mehr den Waldboden erreicht. Schließlich liefen wir nur noch auf der spurenlosen Laubschicht des letzten Herbstes. Carina aber ließ sich nicht beirren und zog mich zielstrebig weiter. Tatsächlich, wir hatten aufgeholt! Die Kollegen waren plötzlich wieder in Sichtweite. Sie liefen an einem Bachbett entlang, das nur wenig Wasser führte.
Doch was war das?
Carina bog nach links ab, rannte die Böschung hinab zu dem Flüsschen. Welcher Fährte war sie die ganze Zeit gefolgt? Nicht der der Kollegen? Ich vertraute meinem Hund und folgte ihm, musste ihn bremsen, als ich durch das Wasser watete. Es war doch tiefer, als ich es eingeschätzt hatte. Ich schnappte nach Luft, als es eisigkalt über den Rand in meine Stiefel lief. Meine Stimmung sank so schlagartig wie die Temperatur meiner Füße.
Im Gegensatz zu mir war Carina unübersehbar in ihrem Element. Sie zog und zerrte mich die gegenüber liegende Böschung wieder hinauf, dass mir allmählich die Schulter weh tat. Auf einer Lichtung überquerten wir ein Schneefeld. Deutlich zeichneten sich die Abdrücke von spitz zulaufenden, glatten Sohlen darin ab.
Woher wusste Carina nur, welche der vielen Fährten die richtige gewesen war? Strömten Täter tatsächlich einen besonderen Geruch aus? Vielleicht ein Gemisch aus Angstschweiß und Adrenalin? Was auch immer, ich jubelte innerlich. „Sehr gut, Carina!“ rief ich und feuerte sie an, „Prima! Wo ist der Lump!? Such’!“ So motiviert legte sie noch einen Zahn zu. Als würden wir um unser Leben rennen, stürmten wir hintereinander auf einen breiten Waldweg zu. Aber schließlich verfolgten wir einen Straftäter, der wahrscheinlich selbst um sein Leben rannte! Besser gesagt um seine Freiheit.
War das der Verbrecher?
Von links näherten sich zwei Kollegen, ebenfalls im Laufschritt. Was hatten sie vor? Im Straßengraben entdeckte ich den Gesuchten. In Embryostellung zusammengerollt, die Arme um seinen Kopf geschlungen, lag er da, völlig außer Atem und erschöpft. Die beiden Beamten waren näher bei ihm und stürzten sich auf ihn. Sie drehten ihn auf den Bauch und legten ihm Handschellen an. Carina riss an der Leine, bellte wütend, Schaumfetzen flogen durch die Luft, einer wickelte sich unschön um ihre Schnauze. Das war schließlich ihr Lump, sie hatte ihn gefunden! Ich kauerte mich neben Carina, ließ sie Platz machen. „Ruhig, Mädchen“, sagte ich. Sie bebte noch immer, aber sie hörte auf zu bellen. Als sie den Mann wegführten, drehte sich einer der Kollegen noch einmal zu uns um und streckte anerkennend den Daumen nach oben. Ich umarmte Carina und drückte sie lange an mich. Ich war sehr stolz auf sie.
Hier erfährst du, wie es weitergeht.
Elmar Heer arbeitet seit 40 Jahren als Polizeibeamter. 1990 wechselte er vom Streifendienst zur Diensthundestaffel Mittelfranken. Schon früh entdeckte er seine zweite Leidenschaft: das Schreiben. Mit seinem Buch „Partner auf Leben und Tod“, erschienen bei Droemer-Knaur, gewährt der Autor dem Leser einen Einblick in Leben und Arbeit eines Polizeihundeführers. Er erzählt über seine Aufgaben als Hundeführer, die umfangreiche Ausbildung von Polizeihunden und über spannende, heitere und auch tragische Einsätze, die er mit seinen Schäferhunden Gundo, Bux, Carina und Sam erlebte.
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