Auf Ehre und Gewissen | Mein Weg an die Macht (3)
Verflucht, die Dosenöffnerin hat Ian umgedreht.
Die denken wohl, ich hätte nichts bemerkt. Von wegen. Katzenagentin Indy sieht alles. Mein Bruder, dieser Deserteur, entfernte sich unerlaubt von der Truppe und folgte dem Zweibein in das Zimmer mit dem weichen Teppich.
Als ich um die Ecke lugte, bot sich mir ein schreckliches Bild: Die Frau zauberte einen Löffel mit Leberwurstpaste hervor. Woher kannte die bloß Ians Schwachstelle? Für das Zeug tat er alles. Dann schenkte sie ihm auch noch ein Stoffschäfchen zum Spielen und streckte ihre Pfote aus. Als mein Bruder einschlug, hätte ich fast laut aufgemaunzt. Elender Verräter. Jetzt gab es eine Zwei-Katzen-Gesellschaft.
Gute Katze (Ian), böse Katze (ich).
Von tiefem Schmerz überwältigt trat ich den Rückzug an. Da passierte es. Ich übersah das männliche Zweibein und lief ihm voll vor die Füße. Als Erstes fielen mir seine Schuhe auf. Gutes Leder mit dem Duft der großen weiten Welt. Auch sonst roch der Mensch nicht schlecht. Sprach irgendwas von „keine Angst haben müssen“ und so.
Pah! Mich legt der nicht rein. Ich mache den großen Buckel und haue ab. Als nächstes will der Typ mich streicheln. Da kann er gleich sein Testament machen. Echt jetzt. Ich bin aus härterem Holz geschnitzt als mein blöder Bruder.
Stunden später …
… kehrte der Mann nach Hause zurück und zog die Schuhe aus. Ich habe es sofort gerochen. Am liebsten wäre ich ihm direkt an die Füße gegangen. Welch wundervoller Duft. Es gibt für mich nichts Schöneres – außer vielleicht Käse-Leckerlies. Ich gerate ins Schwärmen.
Die maßgefertigten Treter erwiesen sich jedoch als erstaunlich zäh. Fast eine Stunde musste ich kauen, bis das Leder endlich durch war. Noch jetzt läuft mir das Wasser im Mund zusammen, während ich mir einen Rest Schnürsenkel aus den Zähnen pule. Ich hoffe, es gibt im Flur bald weitere Paare, die ich mir schmecken lassen kann.
Aber eigentlich ist das nur eine Ersatzbefriedigung. Ich finde einen Weg in die Freiheit. So sicher wie du Katzensabber in deinen Schuhen, Zweibein. Da mir mein Verräterbruder in den Rücken gefallen ist, werde ich mich ganz alleine durchschlagen. Liebes Tagebuch, ab jetzt lautet mein Motto: »Lebe frei und wild!« Ich ziehe das durch. Und wenn ich mich dafür total verstellen muss. Indy kann nämlich eine sehr sehr liebe Katze sein … wenn sie will. Sieh mir in die Augen, Mensch – und mach die Tür auf! Beim nächsten Mal werde ich berichten.
Deine Katzenagentin INDY
Kerstin Fielstedde wurde in Wolfsburg geboren. Sechs Monate, nachdem sie und ihr Mann Katzen-Zuwachs bekommen hatten, begann sie, inspiriert von Ian und Indy ihren ersten Roman „iCats Kamikatze“ (icats.de/kamikatze) zu entwickeln. Neben dem Schreiben gehören Motorradfahren, Tauchen, Squash und Reisen zu ihren Hobbys – und natürlich Katzen.
Diese Serie ist erschienen im Magazin Our Cats.