> HundeInterviewMensch & Tier

Wo bleibt der Respekt vor dem Wildtier Wolf?

Wenn es um den Wolf geht, findet Elli Radinger klare Worte. Dabei sah es in ihrem Leben zunächst gar nicht nach Wolf aus. Elli H. Radinger arbeitete nach dem Abitur zunächst als Flugbegleiterin bei Lufthansa und Northwest Airlines, bevor sie Jura studierte und sich nach dem zweiten Staatsexamen als Rechtsanwältin niederließ. Nach fünf Jahren im Beruf hängte sie die Robe an den Nagel, um sich als Buchautorin ganz dem Schreiben und ihrer Leidenschaft, den Wölfen, zu widmen.

Heute ist Elli Radinger Deutschlands renommierteste Wolfsexpertin und gibt ihr Wissen in Büchern, Seminaren und Vorträgen weiter. Einen Großteil des Jahres verbringt sie in Wyoming und Montana im amerikanischen Yellowstone-Nationalpark, um wilde Wölfe zu beobachten. Die Autorin lebt mit ihrer Hündin Shira in Wetzlar, Hessen und sprach für die Hundewelt mit Christoph Jung.

Ich beneide dich manchmal wegen der Chance, wilde Wölfe in ihrer natürlichen Umgebung beobachten zu können. Was ist das für ein Gefühl?

Elli Radinger: Das ist schwer zu beschreiben. Es ist ein Gefühl von Angekommensein, zu wissen, wo man hingehört. Es ist ein Staunen über die unglaubliche Vielfalt des Ökosystems, in dem jeder seinen Platz hat. Das ist aber auch ein Resignieren und eine Trauer, weil der Mensch so viel zerstört.

In deinen Büchern beschreibst du die Weisheit der Wölfe und zeigst sie als sehr soziale Wesen. Bei manchen Experten spukt immer noch herum, es drehe sich alles nur um Dominanz. Meiner Erfahrung entspricht das nicht. Hunde zum Beispiel wollen keine dominante Stellung uns gegenüber, aber sie wollen Führung auf Basis von Vertrauen. Was hältst du davon?

Elli Radinger: Genauso ist es bei den Wölfen. Leitwolf/wölfin wird man ja vor allem durch Erfahrung. Das Leitwolfpaar sind immer die Eltern einer Wolfsfamilie. Sie haben sich das Vertrauen der Gruppe verdient und gezeigt, dass sie das Rudel auch durch schwere Zeiten führen können – und das gänzlich ohne „Dominanz-Gedöns“. Ihre Entscheidungen werden akzeptiert, weil ihnen die Familie vertraut. Darum sind die besten Leitwölfe auch immer die älteren Tiere. Das Alter wird sehr geschätzt – im Gegensatz zu uns Zweibeinern.

Die heutigen Grau- oder Timberwölfe sind meist sehr scheu, da sie seit hunderten von Jahren gnadenlos ausgerottet wurden. Die meisten Naturvölker haben dagegen ein positives, freundschaftliches, ehrendes Verhältnis zum Wolf. Dann kenne ich Berichte, die sagen, dass der Arktische Wolf kaum eine Scheu vor dem Menschen habe.

Elli Radinger: Die Arktischen Wölfe sind so wenig „scheu“, u.a. auch weil sie von einigen Forschern und Touristen dort gefüttert werden. Das ist ein bekannter Fakt, über den offiziell nicht gesprochen wird. Natürlich kennen die Wölfe in der Arktis nur wenige Menschen und haben von ihnen nichts zu befürchten. Im Gegensatz zu den Europäischen Wölfen, die seit vielen Generationen massiv verfolgt wurden und darum extrem scheu sind, deutlich scheuer noch als Timberwölfe.

Viele Naturvölker haben ein unbelastetes Verhältnis zu Wölfen, weil sie schon immer mit ihnen zusammengelebt haben. Von den Wölfen haben sie sich das Leben und die Jagd in sozialen Gruppen abgeschaut. Die Verfolgung von Wölfen begann erst mit der Viehzucht, als die Menschen den Wolf als Nahrungskonkurrenten fürchteten.

Wissenschaftliche Studien werden meist an Gehege-Wölfen gemacht, die schon seit Generationen unter menschlicher Obhut leben. Du beobachtest seit vielen Jahren Wölfe in Freiheit. Ich kann mir vorstellen, dass diese in vielerlei Hinsicht ein anderes Verhalten zeigen.

Elli Radinger: Absolut. Ich habe ja auch ein Verhaltensforschungspraktikum in einem Wolfsgehege gemacht und war schockiert, wie aggressiv dort die Stimmung war und wie massiv die sogenannten „Omega-Wölfe“ zusammengebissen wurden. In solchen Fällen ist es natürlich die Pflicht eines jeden verantwortungsbewussten Gehegebesitzers, die gemobbten Tiere aus der Gruppe herauszunehmen und separat unterzubringen.

In einem Gehege verhalten sich Wölfe nicht „wolfstypisch“. Es ist so, als würde ich behaupten, dass sich Menschen im Knast „normal“ verhalten. Gehegewölfe werden auf Teufel komm raus zusammengesteckt, können weder jagen, noch fressen, was sie wollen, können sich nicht paaren mit wem sie wollen und können nicht abwandern, wenn es ihnen stinkt. Seit ich wilde Wölfe beobachte, besuche ich keine Wolfsgehege mehr.

Noch zu einem anderen Aspekt. In der Werbung für Hundefutter ist “Futtern wie ein Wolf” derzeit in Mode. Unsere Hunde leben aber schon seit tausenden von wahrscheinlich mehr als 20.000 Jahren, in der Gemeinschaft mit dem Menschen und dessen Nahrung. Wie sieht die Ernährung eines wilden Wolfes aus, was frisst er und was frisst er nicht?

Elli Radinger: Ach ja, die Hundeernährung. Irgendjemand hat im Internet einmal behauptet, ich würde meinen Hund barfen, weil sich so auch wilde Wölfe ernähren. Das habe ich nie behauptet. Ich barfe nicht. Ich möchte hier keine Grundsatzdiskussion entfachen, jeder mag seinen Hund ernähren wie er will. Um es kurz zu machen. Würde ich meinen Hund füttern wie einen Wolf, müsste ich ihn immer mal ein paar Tage hungern lassen und ihm dann lebende Beute vorwerfen, die er töten darf.

Wölfe sind keine reinen Fleischfresser wie Katzen. Sie sind „modifizierte, fleischfressende Allesfresser“ und fressen alles, was ihnen schmeckt. Natürlich ist das in erster Linie Fleisch – und hier besonders gerne Muskelfleisch. Und NEIN, Wölfe fressen NICHT den Mageninhalt ihrer Beutetiere. Wenn sie ein Tier getötet haben, reißen sie den Magen raus und lassen ihn liegen. Die Vögel sind die einzigen, die den Inhalt noch aufpicken. Allerdings fressen an einer Beute ja auch nicht nur Wölfe, sondern zahlreiche andere Tiere wie Füchse, Greifvögel, jede Menge Raben und andere Tiere. Aber Wölfe fressen auch Fisch, den sie selbst fangen – und manche Wölfe fressen dann nur die Köpfe der Fische. Außerdem Gemüse, Obst, Beeren.

Zum Schluss noch deine Meinung zu einer aus meiner Sicht sehr problematischen Entwicklung. Aus den USA ist in den letzten Jahren die Mode übergeschwappt, Mischlinge aus Wolf und Hund zu halten. Was hältst du davon?

Elli Radinger: Eigentlich möchte ich auf diese elende Diskussion nicht eingehen. Wölfe sind KEINE Hunde. Wenn jetzt irgendwelche Irren meinen, eine Tierart manipulieren und kreuzen zu müssen, weil es besonders cool oder gerade in Mode ist, dann lehne ich das völlig ab. Es hat Zehntausende Jahre gedauert, bis wir die für das Zusammenleben mit uns unerwünschten Eigenschaften des Wolfes herausgezüchtet hatten, um den Hund zu erhalten.

Wichtig aber ist: Die Zucht, Haltung und der Kauf/Verkauf von Wolfsmischlingen und Hybriden ist ILLEGAL und VERBOTEN. Die Haltung bedarf einer Genehmigung der Unteren Naturschutzbehörde. Wölfe stehen unter Artenschutz, dazu gehören auch Mischungen von Wolf und Hund. Wer unbedingt ein „wolfsähnliches“ Tier haben will, dem bleiben noch die anerkannten Hunderassen Tschechoslowakischer Wolfhund und Saarloos Wolfhund. Dass selbst die in fachkundige Hände gehören, davon können zahlreiche Experten aus Erfahrung berichten. Ich empfehle da die Artikel von Dorit Feddersen-Petersen.

Meiner Auffassung nach ist dieser „Trend“ jedoch zum Glück stark rückläufig.

Wo bleibt der Respekt vor dem Wildtier Wolf? Wölfe haben es nicht verdient, dass wir mit ihnen angeben oder sie zur Mode ernennen wollen. Sie wollen nicht bei uns auf der Couch liegen, sondern sie wollen ihr eigenes unabhängiges Leben in Freiheit leben und in Ruhe gelassen werden. Das schulden wir ihnen.

Liebe Frau Radinger, vielen Dank für das angenehme und offene Gespräch.

Wer Lust auf mehr bekommen hat, kann in Elli H. Radingers Buch “Die Weisheit der Wölfe” mehr über das spannende Thema Wölfe erfahren.

ISBN: 978-3-453-60512-1


Elli H. Radinger arbeitete nach dem Abitur zunächst als Flugbegleiterin bei Lufthansa und Northwest Airlines, bevor sie Jura studierte und sich nach dem zweiten Staatsexamen als Rechtsanwältin niederließ. Nach fünf Jahren im Beruf hängte sie die Robe an den Nagel, um sich als Buchautorin ganz dem Schreiben und ihrer Leidenschaft, den Wölfen, zu widmen.

Dieses Interview stammt aus der HundeWelt.

Teilen