Hunde sind die besseren Therapeuten
Dr. Rainer Wohlfarth und Bettina Mutschler gelten in Deutschland als Pioniere auf dem Gebiet der tiergestützten Therapie. Mit uns sprechen sie über die Heilkraft von Hunden, Eseln und Kühen. Das Interview führt Claudia de la Motte.
Starten wir doch gleich persönlich: Wann ging es Ihnen denn einmal nicht so gut und wie haben Ihnen Tiere dann geholfen?
Bettina Mutschler: Als unser letzter Hund Ayla gestorben ist, habe ich sehr gelitten. Sie wurde langsam dement, fiel dann ins Koma und wir haben sie im Koma einschläfern lassen müssen. Dass mir das nahe gegangen ist, wird wohl jeder verstehen können. In meiner Trauer ging ich zu den Eseln, mit denen ich damals gearbeitet habe. Die haben aber vollkommen anders reagiert, als ich es mir erhofft hatte. Nämlich mit Rückzug, so als wollten sie mir sagen: „Nein, also mit dieser Stimmung, in der du bist, damit wollen wir aber nichts zu tun haben!“ Das war eine deutliche Ansage. Als sie mich dann schlussendlich wieder in ihre Gruppe aufgenommen haben, ist in mir etwas passiert. Nur der Mensch leidet ewig. Ein Tier ist immer im Hier und Jetzt und das kann uns Menschen sehr befreien.
Und was ist mit Hunden?
Bettina Mutschler: Auch Hunde sind ganz bei sich. Und das ist es, was wir in der Therapie auch nutzen. Hunde leben eben nicht in der Vergangenheit. Sie lassen die Erfahrungen hinter sich und orientieren sich im Jetzt.
Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Fall?
Rainer Wohlfarth: Ja, das war eine kleine private Feier – eine Geburtstagsfeier bei einem Freund. Erst drei Tage vorher hatte er seine Hochzeit gefeiert und war dann – für ihn vollkommen überraschend – von seiner Frau verlassen worden. Wir hatten unsere Ayla mit dabei. Ayla war ein altdeutscher Hütehund. Das heißt, ein distanzierter und misstrauischer Typ, der eher beim Anblick von 2000 Schafen auf Temperatur gekommen wäre. Die Altdeutschen haben es rassetypisch nicht so mit Kuscheln und sind grundsätzlich eher skeptisch – also überhaupt nicht der Prototyp eines Therapiebegleithundes. Da saß unser Freund also da, ein Bild des Jammers, die Stimmung war hinüber und wir alle wussten nicht so recht, was wir sagen konnten.
Da ging unsere Ayla auf ihn zu, legte ihm die Schnauze auf das Knie und in dem Moment geschah etwas. Es kam Bewegung in ihn, der Trost kam an. Der Moment war für uns die Initialzündung, Tiere mit in die Therapie zu integrieren. Zu der Zeit habe ich in einer neurologischen Klinik gearbeitet und habe Ayla, die ja dafür eigentlich nicht so geeignet war, manchmal zur Arbeit mitgenommen. Und der Erfolg war bemerkbar.
Was war denn im Rückblick das beeindruckendste Erlebnis?
Rainer Wohlfarth: Der erste eindrückliche Moment war, als wir beide – meine Frau macht Coaching, ich Psychotherapie – gemerkt haben, wie Tiere die Atmosphäre im Therapieraum verändern. Also, dass da wirklich was passiert. Ayla war eigentlich ein ungeeigneter Hund für die Therapie, wie eben die altdeutschen Hütehunde so sind, aber trotzdem war plötzlich etwas anders. Die Menschen waren offener. Sie hatten mehr Motivation, ich als Therapeut bin anders angesehen worden.
Bettina Mutschler: Wir hatten ein Programm mit übergewichtigen Kindern und mit sieben Hunden dabei. Dazu muss man wissen, dass aus der Sportmedizin bekannt ist, dass übergewichtige Kinder nur ganz schwer in Bewegung zu bringen sind. Und nun haben die Hunde etwas vorgemacht: Agility-Parcours, über eine Wippe balancieren – und die Kinder haben mitgemacht. Einer der Betreuer sagte dann: „Also, wir hatten das noch nie, dass in einem Kurs kein Kind gefehlt hat.“ Bei der normalen Gruppe haben die Kinder dann doch mal gefehlt – aber in dem Hunde-Kurs waren sie richtig mit Feuer und Flamme dabei.
Und gerade bei den Kindern haben wir ganz viel über die Hunde geredet: Wie kann der Hund sehen, wie kann er riechen? Und die Kinder waren so wissbegierig! Ich war von den Socken, wie sehr sie über den Hund reden wollten. Ein Mädchen war in der Gruppe eher die Außenseiterin, sie wusste aber sehr viel über Hunde und konnte sich dann über ihr Wissen eine „Spezialistenrolle“ in der Gruppe erarbeiten und gewann so den Anschluss.
Das ist beeindruckend. Aber kommen wir nun zu den Bedürfnissen des Hundes. Meine Tochter hat ein Praktikum als Reittherapeutin gemacht, noch zu Schulzeiten. Sie kam wieder und sagte: „DAS mache ich auf keinen Fall! Wenn ich sehe, wie diese Kinder mit den Pferden umgehen – ich würde die NICHT an mein Pferd lassen!“ Therapiehunde sind heute gängig. Die Leute werden in VHS-Kursen ausgebildet – und das, was ich zu sehen bekomme, lässt mich oft schaudern. Es scheinen hirnlose und willenlose Geschöpfe geformt zu werden. Hauptsache, der Hund tut nichts.
Rainer Wohlfarth: Der Trend kam aus den USA. Dort macht man ganz viel Charity – und da kam Elaine Smith, eine Krankenschwester darauf, Besuche mit ihren Hunden bei Kindern, kranken oder älteren Menschen zu machen. Die Idee war: Dann sind die Hunde beschäftigt und dann sind wir beschäftigt. Sie gründete später sogar eine Organisation namens Therapy Dog International. Aber das Problem war, wenn man Hunde überall einsetzt – im Kinderhort, Altenheim und Krankenhaus, dann kann man quasi nur die Karikatur eines gemütlichen Golden Retrievers brauchen, also einen Hund, der alles über sich ergehen lässt. Früher hat man in Prüfungen die Hunde sogar am Schwanz gezogen und sie mussten cool bleiben, ganz nach dem Motto: Wenn man am Schwanz zieht und er nicht beißt, dann ist er geeignet. Gott sei Dank hat sich das heute meist geändert.
Dann kam in der Folge die Idee auf: tiergestützte Therapie ist ein Beruf, für den ich nur einen Hund benötige. Das ist es aber nicht. Ich brauche immer einen Grundberuf, in dem ich den Hund therapeutisch oder pädagogisch einsetze. Ich zum Beispiel als Psychotherapeut muss mir überlegen, wo erlebe ich in meiner Tätigkeit einen Mangel an Methoden und wo könnte mir das Tier helfen als Co-Therapeut, diesen Mangel auszugleichen. Ein Mensch, der keine therapeutische oder pädagogische Ausbildung hat, verhält sich in der Situation oft nicht angemessen. Da hilft der Hund möglicherweise zwar, Zugang zu einem ängstlichen Menschen zu finden und wenn dann durch eine zutiefst menschliche, therapeutisch aber nicht zielführende Emotion – wie z. B. übertriebenes Mitleid – die Angst verstärkt wird, ist dies sicherlich nicht hilfreich.
Bettina Mutschler: Früher wurden Tiere als Werkzeuge eingesetzt, da wurde nicht drauf geguckt, ob es ihnen gut geht, oder ob der Hund tatsächlich einen Mehrwert bei der Intervention hat. Das ist uns ganz wichtig. Schön wäre zudem, wenn der Hund auch etwas davon hat.
Im Bereich der Therapiehunde-Ausbildung gibt es ja viele Anbieter mit sehr unterschiedlicher Qualifikation.
Rainer Wohlfarth: Ja, das ist ein großes Problem – es fehlt an Qualität in der Ausbildung von Mensch-Hund Teams für den therapeutischen Einsatz. Es braucht dazu beides – kynologischen und therapeutischen Sachverstand. Viele lesen etwas und reißen es aus dem Zusammenhang. Ein gutes Beispiel dafür ist die Aussage: „Wenn der Hund ohne Leine im Therapieraum ist, dann hat er weniger Stress“. Das ist dann so aufgefasst worden: Wir lassen die Hunde einfach ohne Leine raus in den Therapieraum und warten ab was passiert. Aber je nach Patient – beispielsweise bei ängstlichen Patienten – ist das überhaupt nicht in Ordnung. Jetzt ist erst einmal die Frage: Wie sehe ich die Leine? Als Mittel zum Zwangskuscheln? Dann ist das nicht gut. Oder als Möglichkeit der Kommunikation?
Aber auch auf Seiten der Anbieter tiergestützter Therapie beobachten wir häufig, dass sehr viele Menschen, die tiergestützte Therapie machen, ein ausgeprägtes Helfersyndrom besitzen und die Bedürfnisse des Hundes weniger gewichten als die des Klienten. Dann wird die Leine oft als Zwangsmittel eingesetzt, damit der Klient den Hund streicheln kann und das ist nicht gut. Entscheidend ist ein guter ungetrübter Blick für die Körpersprache des Hundes, dann erkennt man schnell, ob er mitarbeiten möchte oder nicht. Und wenn er den Klienten meidet, dann liegt es an mir, mit ihm darüber zu sprechen, warum das wohl so ist. Das ist dann auch Therapie.
Welche Fehler gibt es noch?
Rainer Wohlfarth: In einem anderen Fall hatten wir eine Ergotherapeutin bei uns in der Ausbildung. Das Kind sollte beschreiben, wie sich das Fell ihrer Hündin anfühlte und das Kind sagte: „Das Fell war ganz borstig“. Die Therapeutin sagte dann: „Aber das Fell von Paula ist ganz weich“ und gab dem Kind so das Gefühl, seine Wahrnehmung sei falsch. Auch wenn die Leute sagen: „Der Hund ist viel zu dünn, da muss aber noch Speck dran“ – muss man das als Hundehalter aushalten und stehen lassen können. Solche Aussagen hören wir oft von älteren Menschen, die die Jahre nach dem Krieg miterlebt haben.
Auch die Auswahl des Hundes ist wichtig. Wir hatten eine Therapeutin, die sich dann spontan einen Eurasier angeschafft hatte. Sicherlich vom Aussehen ein guter Eisbrecher, aber vielleicht nicht die erste Wahl als Therapiebegleithund. Wichtig ist auch eine extrem gute Sozialisierung. Gerettete Hunde aus dem Ausland z. B. sind – Ausnahmen bestätigen die Regel – in der Regel nicht geeignet. Sie genießen den Kontakt mit den Menschen nämlich eben nicht und gehen schnell ins Meideverhalten.
Bettina Mutschler: Man muss dann als Therapeut lernen auszuhalten, dass Tiere manchmal keine Lust haben. Ich kenne das aus dem Coaching. Da bucht ein Mensch Eselcoaching und wir stehen auf der Weide und jetzt kommen die Esel nicht – dann ist das für mich sehr schwer auszuhalten. Ich meine, er hat ja für das Coaching mit Eseln bezahlt. Das zu erkennen, dass die Tiere irgendwann einfach keine Lust haben, und dass auch zu respektieren, ist uns wichtig. Bei Eseln wird dies aber erstaunlich gut akzeptiert.
Delfintherapie ist für Sie ein absolutes No-Go. In Ihrem Buch „Die Heilkraft der Tiere“ schreiben Sie, dass es einen Delfin-Roboter gibt, der die gleichen Heilerfolge erzielt, wie der lebendige Flipper. Das hat mich doch sehr überrascht!
Rainer Wohlfarth: Das ist tatsächlich so. Und in Japan gibt es eine mechanische Robbe, die im Altersheim eingesetzt wird: warm, mit Herzschlag und Atmung. Und sie hat ähnliche Effekte, wie das lebende Tier.
Also wir brauchen keinen Flipper – uns reicht für die Therapie ein Hund?
Rainer Wohlfarth: Sogar ein Esel und eine Kuh – wenn sie dafür ausgebildet ist. Ich habe Klienten, die eine Delfintherapie gemacht haben. Wie diese Erfahrung überhöht wird, auch im Nachhinein, ist schon bemerkenswert. Sicher, zwei Wochen Karibik sind immer schön, keine Frage – aber hat die Therapie wirklich einen so durchschlagenden Effekt? Ehrlich gesagt: nichts, was ein Hund nicht auch leisten könnte.
Wie funktioniert sie denn, die Heilkraft der Tiere?
Rainer Wohlfarth: Da müssen wir unterscheiden zwischen unseren Tieren als Haustiere. Das Zusammensein mit unseren Hunden zum Beispiel motiviert uns zu mehr Bewegung, tröstet uns bei schlechter Stimmung, ist uns emotionale Stütze oder hilft uns, besser mit Stress umzugehen. Als Co-Therapeuten sind Hunde hervorragende Motivatoren, dienen als Ablenkung, aber auch als Spiegel unseres inneren Befindens, sind Gesprächsanlass, lassen Körperkontakt zu und machen insgesamt die Therapie kreativer. Das ist alles kein Hokuspokus, sondern wissenschaftlich bewiesen.
Und ist der Kontakt zu allen Hunden heilsam?
Bettina Mutschler: Nein, nicht immer. Wir sehen immer wieder Mensch-Hund-Teams, deren Beziehung nicht heilsam ist. Da hilft uns eine systemische Betrachtung viel. Wenn ein solches Mensch-Hund Team zu mir zur Beratung kommt, dann lasse ich den Menschen erst einmal aufschreiben: Welchen Teil an ihren Hunden mögen sie, welchen Teil mögen sie nicht? Was glauben sie, davon ändern zu können, und was glauben sie, nicht ändern zu können? Wenn das aufgeschrieben ist, kommen die richtigen Methoden oft von selbst. Wenn der Mensch nicht weiß, mit welcher Emotion der Hund draußen unterwegs ist, dann kann er auch nicht richtig antworten. Z. B. jagt er die Katze, oder verscheucht er sie? Ist er also jagdlich oder territorial unterwegs. Man sollte sich fragen: Warum verhält der Hund sich so, wie er sich verhält? Es geht um authentisches Verhalten und die Reaktion des Hundes darauf. Wir sind davon überzeugt, dass eine positive Wirkung eines Tieres sich nur dann ergibt, wenn eine konstante, intensive, positive und partnerschaftliche Beziehung zwischen Hund und Halter vorliegt.
Wenn ich nun zum Abschluss sage: „Das Beste, was du für dein Kind tun kannst: Erzieh einen Hund!“ Ich sage bewusst nicht: „Kauf einen Hund“. Sehen Sie das auch so?
Bettina Mutschler: Ja, wenn die Erziehung des Hundes erfolgreich war, es eine liebevolle Beziehung ist und eine sichere Bindung vorliegt, in der man den Hund in seinen Vorlieben und Bedürfnissen anerkennt, dann ist das großartig.
Vielen Dank für dieses angenehme und ausführliche Gespräch.
Zum Weiterlesen:
Die Heilkraft der Tiere – Wie der Kontakt mit Tieren uns gesund macht
ISBN: 978-3-442-75842-5
Fotos: Peter von Felbert
Dr. Rainer Wohlfarth und Bettina Mutschler gelten in Deutschland als Pioniere auf dem Gebiet der tiergestützten Therapie. Gemeinsam sprechen sie darüber, wie die tiergestützte Therapie funktioniert und was dabei zu beachten ist.
Dieses Interview stammt aus der HundeWelt.