Hilfe, mein Hund ist aggressiv | Warum?
Hunde sind gelegentlich aggressiv. Das ist zunächst einfach mal völlig normal, liegt in der Natur der Dinge und ist darüber hinaus auch schlicht ein Kommunikationsmittel.
So ist es also überhaupt nicht zu beanstanden, wenn unser Hund droht, knurrt und sich steif macht, wenn er keine andere Lösung mehr für sich weiß. Spätestens jetzt wäre es für den klugen Hundebesitzer ratsam, sich zunächst zurückzuziehen. Damit vergibt man sich erst einmal nichts.
Allerdings sollte ich jetzt darüber nachdenken, wodurch dieses Verhalten ausgelöst wurde und ggfs. für die Zukunft eine Strategie entwickeln. Einem solchen Verhalten voraus gehen in der Regel eine Reihe von Beschwichtigungssignalen, die, wenn sie ignoriert werden, regelmäßig in Drohverhalten bis hin zum tatsächlichen Biss münden.
Hier gilt es, an den Ursachen und nicht an den Symptomen zu arbeiten. Kommt zum Beispiel ein neuer, bereits älterer Hund ins Haus, wissen wir normalerweise nicht genau, welche Erfahrungen und Verknüpfungen dieser in seinem früheren Leben gemacht hat.
Zeigt er sich unsicher,
ist es ratsam, ihn zunächst in Ruhe zu lassen und schlicht abzuwarten, bis der Vierbeiner unsere Nähe sucht. Versuchen wir ihm ständig zu nahe zu kommen, weil wir meinen, er brauche jetzt dringend eine Streicheleinheit, könnte er sich schnell bedrängt fühlen. Unser Hund beginnt dann zunächst, sich hektisch die Nase zu lecken und auf dem Boden herumzuschnüffeln. Bleiben diese Bemühungen, das eifrige Frauchen oder Herrchen aus seiner Sicht zu beschwichtigen erfolglos und kann er zudem, das wäre dann die nächste Reaktionsstufe, nicht flüchten, weil das Zimmer zu ist bzw. er vielleicht bereits in die Ecke gedrängt wurde, eskaliert die Lage leicht.
Unser neuer Freund macht sich steif,
bekommt einen starren Blick, knurrt und fletscht und wird dann, hat man es immer noch nicht begriffen, zubeißen. Aus seiner Sicht nicht überraschend und meist nicht einmal böse gemeint. Das ist dann reiner Selbsterhaltungstrieb, da er naturgemäß nicht wissen kann, das er bloß ein wenig liebgehabt werden sollte.
So weit, so gut …
Unangenehm wird es, wenn der Hund aus einem solchen Verhalten eine Strategie entwickelt. Vor einiger Zeit kam ein Cocker Spaniel per Flugzeug in einer Transportbox aus dem Ausland. Man kann sich vorstellen, dass der Kamerad ein wenig durcheinander war. Gerade wurde er aus seinem alten Leben herausgerissen, befindet sich in einer für ihn unangenehmen Situation nach dem Flug, in dem Lärm auf dem Flughafen und findet ein wenig Sicherheit in seiner Box. Nun kommt aber direkt eine Betreuerin, die der Meinung ist, ihn freudig begrüßen zu müssen. Sie greift in die Transportbox und versucht, ihn herauszuziehen. Was macht unser sehr gestresster Freund? Beschwichtigen funktioniert nicht, Flucht ist ebenfalls nicht möglich. Also hat der Bursche sehr herzhaft zugelangt – und sofort ist für ihn die Welt wieder in Ordnung. Die Hand ist weg, er ist noch in der Sicherheit der Box und alles ist wieder gut. Prompt sitzt die Verknüpfung, sogar ohne Wiederholungen und Clicker. Er hat in dem Moment gelernt, für sich schnell wieder Ruhe und Entspannung herzustellen.
Der Cocker
kam dann in sein neues Zuhause, die Besitzer gaben sich wirklich alle Mühe, aber die Strategie funktionierte auch da. Passt mir irgendetwas nicht, beiß ich zu – ganz einfach. Das ging einige Wochen so, bis die Besitzer keine Kraft mehr hatten, sich die Beißereien gefallen zu lassen.
Und wieder
ging seine Reise weiter, er kam zu uns. Wir ließen ihn zunächst einmal ein paar Tage komplett in Ruhe, damit er erst einmal wirklich „runterfahren“ konnte. Im Anschluss war es möglich, ihm schon nach zwei Tagen klarzumachen, dass seine Strategie ihm keine Ruhe und Entspannung bringt. Das hat in diesem Fall sehr gut funktioniert, erstaunlich schnell war der junge Mann entspannt und fügte sich ein.
Wir haben uns eben nicht nach seinen Wünschen und Vorstellungen gerichtet, sondern ihm eine für ihn klar verständliche Richtung vorgegeben. Erst dann kann auch wieder mit positiver Verstärkung gearbeitet werden.
Beispiele wie diese gibt es leider viele,
das würde hier den Rahmen sprengen. Fest steht nur eines. Ist eine solche, für uns unangenehme, Strategie vom Hund entwickelt worden, muss der Kreis zunächst durchbrochen werden. Hier funktioniert definitiv keine positive Verstärkung durch Clicker, Leckerchen oder dergleichen.
Sehr oft wird der Hund dann leider wieder abgegeben, weil es einfach nicht funktioniert und gefährlich wird. Von der Abgabe hat aber niemand etwas. Weder der Hund, der dann auf dem besten Wege ist, ein Wanderpokal zu werden und dessen „Nähkästchen“ an Erfahrungen und Strategien immer voller wird, noch den Besitzern. Diese haben das Gefühl, einfach aufgegeben zu haben und fragen sich, ob nicht doch vielleicht, wenn man nochmal … Tatsächlich ist hier wirklich professionelle Hilfe mit geeigneten Maßnahmen gefragt, die auch sofort fruchten. Lösungsansätze, die sich auf Futtergabe, Clickern etc. beschränken, nutzen in dem Stadium zunächst mal nichts, sind eher kontraproduktiv, weil wahrscheinlich eher unerwünschtes Verhalten verstärkt anstelle von vermieden wird. Später, wenn der Kreis einmal durchbrochen ist, sind sie sicher wieder ein mögliches Mittel.
Martin Weitkamp hat in seinem Leben schon unzählige Hunde ausgebildet: und zwar zu Minensuchhunden, Sprengstoffspürhunden und Schutzhunden. Sowohl bei der Polizei als auch bei der Bundeswehr konnte er eine Vielzahl von Diensthundprüfungen erfolgreich ablegen. Exklusiv in der HundeWelt und hier lässt er uns an seinem reichen Erfahrungsschatz teilhaben. Er ist ebenfalls Autor des Buchs “Im Schatten der Gefahr“.
Titelbild: AdobeStock/Piotr Wawrzyniuk