Einsatz auf vier Pfoten! | Teil 41
Täglich zu Dienstbeginn wartete vor unserem UN-Hauptquartier im bosnischen Bihac schon seit mehr als einer Woche eine Streunerin auf mich. Kein Wunder, die hochträchtige Hundedame ohne Namen wusste längst, dass ich immer Futter für sie im Gepäck hatte. Umso mehr machte ich mir Sorgen, als sie mich eines Tages nicht mehr begrüßte. Ich suchte das Gelände ab, fragte Kollegen nach ihr, aber sie blieb verschwunden.
Ich befürchtete das Schlimmste und haderte mir mir selbst.
Aber wie hätte ich sie retten können? Mein Vermieter war schon wenig begeistert gewesen, als ich ungefragt die kleine Una mit in die Wohnung brachte. Erst mein Versprechen, den verwaisten Welpen drei Wochen später mit nach Deutschland zu nehmen, besänftigte ihn. Wäre ich jetzt wieder mit einer Hündin gekommen, noch dazu mit einer, die in absehbarer Zeit ihren Wurf zur Welt bringen würde, hätte mich der sonst sehr freundliche Mann wahrscheinlich rausgeworfen.
„Hast du Enny gesehen?“, fragte mich Irena, eine der Dolmetscherinnen. „Wer ist Enny?“, fragte ich zurück. „Die Hündin, die du immer gefüttert hast. Ich habe ihr gelegentlich auch etwas zu Fressen mitgebracht und ihr den Namen Enny gegeben.“ Schöner Name, dachte ich und antwortete, dass ich Enny schon eineinhalb Wochen nicht mehr gesehen hätte. Wir rätselten noch, was mit ihr passiert sein könnte, als uns Suad, der Chef der Security, die das UN-Areal sicherte, in etwas holperigem Deutsch ansprach. „Das Hund, das immer auf Sie gewartet hat…“, er schaute mir ernst in die Augen, „… es liegt unter unserem Büro“. Ich erschrak, doch ehe ich etwas erwidern konnte, fuhr er fort: „Man kommt nicht ran, zu wenig Platz. Ich glaube, es hat Kinder.“
Gemeinsam eilten wir zu dem Container am Eingangstor.
Ich musste mich auf den Bauch legen, um einen Blick darunter werfen zu können.
Tatsächlich, da lag Enny, in einer Mulde, wodurch sie immerhin genügend Kopffreiheit hatte. Sie legte die Schlappohren an und wedelte hektisch, als ich sie ansprach, machte aber keinen Versuch, sich mir zu nähern. Welpen waren nicht zu sehen, aber zu hören. Leises Fiepen und Quietschen bestätigte Suads Vermutung .
Ich stand auf, klopfte mir den Staub von der Uniform. „Die müssen weg“, sagte Suad. „Wenn stirbt, es stinkt.“ In dieser Sekunde wurde mir der Mann unsympathisch, denn ich erkannte, was er mit weg meinte. „Wann?“, fragte ich. „Morgen“, war seine knappe Antwort.
Ich beriet mich kurz mit Irena.
Sie sah auch keine Möglichkeit, die Hundefamilie aufzunehmen. Die Tiere an einen anderen, abgelegenen Ort umzusiedeln, fanden wir beide keine gute Idee. Heute war Mittwoch, das kommende Wochenende hatte ich ausnahmsweise frei. Somit stand mein Plan fest. „Ich fahre am Freitag nach Deutschland,“ wandte ich mich wieder an Suad. „Ich nehme die Hunde mit.“ Suad nickte und lächelte irgendwie abfällig, aber Irena fiel mir strahlend um den Hals.
Der Freitagnachmittag war sonnig, aber zum Glück nicht allzu heiß. Die letzten beiden Tage hatte ich Enny häufig gefüttert, deshalb krabbelte sie schon unter dem Container hervor, als sie nur meine Stimme hörte. Diesmal lockte ich sie mit der Futterdose in der Hand zu meinem klimatisierten Dienstauto, hob sie in den Kofferraum, gab ihr das Fressen und schloss die Heckklappe.
Jan, mein schwedischer Kollege, war unterdessen bereits damit beschäftigt, mit einem Pickel den harten Boden hinter der Bürobox zu lockern, um so einen Zugang zu den Welpen zu schaffen. Ich griff mir die bereitstehende Schaufel und räumte das steinige Erdreich zur Seite. Zwanzig Minuten später beobachteten wir schweißtriefend, wie die zierliche Irena bäuchlings robbend unter dem Container verschwand.
„Oh my god!“, hörte ich sie kurz darauf rufen.
„Sie sind so süß!“
„Wie viele sind es?“, fragte ich. Statt zu antworten streckte Irena ihre Hand hervor, in der sie ein schwarzes, faltiges, fiependes Etwas hielt, das eher einem Meerschweinchen als einem Hund ähnelte. Es war ein kleiner Rüde, Augen und Ohren noch verschlossen und somit wohl keine zwei Wochen alt. Ich legte ihn in den gut gepolsterten Rattankorb, den ich mitgebracht hatte. Als ich mich wieder Irena zuwandte, reichte sie mir schon den nächsten Welpen, diesmal in der weiblichen Schwarzweiß-Ausgabe.
Nach und nach füllte sich das Hundebettchen hinter mir, insgesamt wurden es vier Buben und fünf Mädchen in unterschiedlichen Farbkombinationen, sogar eine ganz weiße war dabei. Ein wahrlich unerwartet großer Wurf der ausgemergelten Enny! Wir waren gleichzeitig erfreut und besorgt. Würden alle die fast zehnstündige Fahrt überstehen? Ich trug den Korb zu meinem privaten Auto und stellte ihn behutsam vorne rechts in den Fußraum.
Dann holte ich Enny.
Noch in der geöffneten Tür stehend schnüffelte sie intensiv ihren Nachwuchs ab, so, als wolle sie nachzählen, ob alle da waren. Dann hüpfte sie wie selbstverständlich ins Auto und machte es sich auf dem Beifahrersitz bequem. Nun war ich mir sicher: Enny war nicht schon immer eine Streunerin gewesen, sie kannte Autofahren! Das versprach, das Unternehmen zu erleichtern.
Es war spät in der Nacht, als wir zuhause ankamen. Unterwegs hatte ich mehrere Pausen eingelegt und die Welpen auch während der Fahrt abwechselnd an ihre Mutter „angedockt“. Anna hatte in meinem Büro eine wunderbare Kinderstube eingerichtet, wo es sich Enny sofort mit ihrem Nachwuchs bequem machte.
„Du kannst nicht alle Hunde retten“, meinte Jan vor einiger Zeit. Stimmt, dachte ich mir, als ich erschöpft ins Bett fiel, aber nun waren es insgesamt immerhin schon elf.
Hier erfährst du, wie es weitergeht.
Elmar Heer arbeitet seit 40 Jahren als Polizeibeamter. 1990 wechselte er vom Streifendienst zur Diensthundestaffel Mittelfranken. Schon früh entdeckte er seine zweite Leidenschaft: das Schreiben. Mit seinem Buch „Partner auf Leben und Tod“, erschienen bei Droemer-Knaur, gewährt der Autor dem Leser einen Einblick in Leben und Arbeit eines Polizeihundeführers. Er erzählt über seine Aufgaben als Hundeführer, die umfangreiche Ausbildung von Polizeihunden und über spannende, heitere und auch tragische Einsätze, die er mit seinen Schäferhunden Gundo, Bux, Carina und Sam erlebte.
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