Einsatz auf vier Pfoten! | Teil 19
„Ein großer Hund läuft auf der A 73, Höhe Anschlussstelle Fürth-Poppenreuth.“ Der Funkspruch der Einsatzzentrale hatte mich gegen Ende meines Spätdienstes erreicht und in Aufregung versetzt. Hunde auf der Autobahn haben schon häufig schwere Unfälle verursacht, dazu kam, dass ich unbedingt verhindern wollte, dass das Tier unter die Räder kam. Mit Blaulicht und Sirene überholte ich auf dem Standstreifen den Stau, den zwei umsichtige Brummifahrer zum Schutz des Hundes erzeugt hatten. Und es war mir gelungen, den schwarzen Mischling mit einem Hechtsprung einzufangen.
Was für ein Anblick
Ein Polizist liegt auf der Überholspur der Autobahn mit einem Hund in den Armen. Doch was nun? Ich wagte es nicht, den wild zappelnden Burschen loszulassen.
Wieder einmal rettete mich Buxi. Ein zunächst leises, lang gezogenes Winseln tönte aus meinem Streifenwagen. Dann ein kurzes Bellen, in der Stimmlage eher das eines Schoßhündchens als das eines ausgewachsenes Schäferhundes, das schließlich in das Heulen eines Wolfes überging. Buxi konnte uns, eingesperrt in seiner Box, die ganze Zeit beobachten und griff nun auf seine Weise ein. Ich war erstaunt und spürte, wie mir Gänsehaut den Rücken hinab wanderte, aber auch, wie sich der Bursche in meinen Armen entspannte. Ich wusste nicht, was ihm Buxi „gesagt“ hatte, aber es schien ihn zu beruhigen. Vorsichtig lockerte ich meinen Griff, umfasste mit der linken Hand sein Halsband und befestigte daran die kurze Lederleine, die ich mit der rechten aus meiner Hosentasche geangelt hatte. Betont langsam richtete ich mich auf.
Leiser Applaus ertönte aus der Schwärze hinter dem blendenden Fernlicht der Lastwagen.
Die Fahrer waren ausgestiegen und standen im Nebel ihrer Dieselmotoren. Zwei korpulente Kerle mit karierten Hemden klatschten ob meiner artistischen Einlage; nicht laut, sondern leise, verhalten. Sie wollten den Hund nicht erschrecken. Der machte nun einen recht „gefassten“ Eindruck. Ich kniete mich neben ihn, streichelte und lobte ihn mit ruhiger Stimme. „Sooo isser ein Braver…“. Gleichzeitig untersuchte ich sein Halsband. Keine Hundemarke, keine Adresse. Schade. Vielleicht war ja gechipt? Ein solcher Chip, ein reiskorngroßer Datenträger, per Spritze unter dem Fell platziert, enthält eine Individualnummer, mit der jeder Hund und damit sein Besitzer identifiziert werden kann. Ein unsichtbares Nummernschild sozusagen, das bei jedem Tierarzt oder -heim mit einem dafür bestimmten Gerät ausgelesen werden kann.
Etwas zögerlich folgte mir der Hund nun zu meinem VW-Bus.
Buxi begrüßte ihn erstaunlich freundlich, teilt er sein Taxi doch sonst nur ungern. Ohne zu zögern sprang unser Gast in die freie Box. Autofahren war er anscheinend gewöhnt. Ich bedankte mich bei den Truckern, die dem Hund mit ihrer Umsicht das Leben gerettet und darüber hinaus vielleicht auch noch die Gefährdung von Menschen verhindert hatten. Weit nach Dienstschluss parkte ich vor dem Nürnberger Tierheim. Um diese Zeit war kein Mitarbeiter mehr anwesend. Die Polizei hat einen Schlüssel für einen speziellen Raum, beheizt, mit Futter und Wasser ausgestattet. Auch hier ging nichts ohne Formulare: Tiere sind im juristischen Sinne Sachen, gefundene Sachen –Fundsachen. Also musste ich eine Fundanzeige ausfüllen, Betreff: „Fundhund“. Ich hatte höchstens drei Wörter geschrieben, da klopfte es an die Scheibe.
„Ja?“, ich drehte mich um. Eine Frau mittleren Alters in höchst aufgelöstem Zustand fragte mit einem Blick auf meine Uniform „Ist denn vom Tierheim niemand mehr da?“ „Um diese Zeit nur in Notfällen“, antwortete ich. „Aber vielleicht kann ich Ihnen helfen?“
Sie schluchzte laut auf. „Ich habe meinen Blacky …“ Lautes Heulen aus dem Heck meines Busses unterbrach sie. Sie hielt für einen Moment den Atem an, lief dann um meinen Wagen, riss die Beifahrertür auf und zuckte zurück, als Bux seinen Alarm einschaltete. Im Duo bellheulte es gänsehauterregend aus dem Heck.
„Das ist Blacky! Sie haben den Blacky!“
Die Frau brach in Tränen aus. „Geht es ihm gut? Was hat er denn? Hat er was? Wo haben Sie ihn gefunden? Ist er verletzt?“
So viele Fragen konnte ich nicht auf einmal beantworten. Ich arbeitete sie ab, eine nach der anderen. Jede neue gute Nachricht quittierte die Frau mit einem lauten Aufschrei, in der Tonlage ähnlich ihres Hundes. Die zwei gehörten zusammen, keine Frage. Endlich öffnete ich die Hundebox, und wir feierten Familienzusammenführung. Blacky sprang seinem Frauchen geradezu in die Arme. Ich musste sie stützen, damit sie das Gleichgewicht nicht verlor. Vor Erleichterung immer wieder laut aufschluchzend, erzählte mir die Frau, dass sie Blacky an der Autobahntankstelle verloren hatte. Er sei in der angrenzenden Wiese einem Kaninchen nachjagt und nicht mehr zurückgekommen. Nachdem sie zwei Stunden auf ihn gewartet habe, sei sie schließlich hierher gefahren, um den Racker als vermisst zu melden. „Und ich hab’ solche Angst gehabt, solche schreckliche Angst, immer die Bilder, dass er platt gefahren ist … oder schwer verletzt und in der Fremde herumirrt … Ach ich bin ja so froh, so froh!“
„Sie hätten keine zwei Stunden allein warten müssen. In einem solchen Fall können Sie auch die Polizei informieren.“
„Einen solchen Fall wird es nie wieder geben!“, erklärte die Frau resolut. „Der kommt mir nie mehr von der Leine, wenn ich unterwegs anhalte! Und ich wusste ja nicht, dass die Polizei für so was auch zuständig ist.“ Doch, das sind wir. Und nicht nur dafür.
Hier erfährst du, wie es weitergeht.
Elmar Heer arbeitet seit 40 Jahren als Polizeibeamter. 1990 wechselte er vom Streifendienst zur Diensthundestaffel Mittelfranken. Schon früh entdeckte er seine zweite Leidenschaft: das Schreiben. Mit seinem Buch „Partner auf Leben und Tod“, erschienen bei Droemer-Knaur, gewährt der Autor dem Leser einen Einblick in Leben und Arbeit eines Polizeihundeführers. Er erzählt über seine Aufgaben als Hundeführer, die umfangreiche Ausbildung von Polizeihunden und über spannende, heitere und auch tragische Einsätze, die er mit seinen Schäferhunden Gundo, Bux, Carina und Sam erlebte.
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