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Trudi und die Sache mit den Geschenken

Hier schreibt: Lilo Sommer lebt mit ihrer Katze Trudi in einer alten Stadtwohnung voller Bücher, Teetassen und zerfetzter Sofakissen. Sie liebt Jazz, Weißwein und diese stillen Momente, in denen Trudi schnurrend auf ihrem Bauch entspannt und sie anblinzelt, als wüsste sie alle Antworten auf das Leben, aber ihr trotzdem keine verrät.

Es ist sieben Uhr morgens, und Trudi hat mir wieder etwas mitgebracht. Diesmal liegt eine tote Maus vor meiner Schlafzimmertür, akkurat platziert wie ein kleines, pelziges Ausrufezeichen. Ich stehe da in meinem Nachthemd, die Haare zerzaust, und denke: So beginnt also mein Tag. Mit einem Geschenk, das ich nicht wollte, von jemandem, der es liebevoll gemeint hat.

Trudi sitzt daneben und schnurrt stolz. Sie hat mir etwas gebracht. Etwas Wertvolles. Etwas, das sie für wichtig hält. Dass ich nicht dieselbe Begeisterung für kleine Nagetiere aufbringe, liegt offenbar außerhalb ihrer Vorstellungskraft.

Beim Kaffee denke ich darüber nach.

Wie oft schenken wir Menschen einander Dinge, die wir selbst schön finden, aber der andere hasst? Wie oft denken wir, wir täten etwas Gutes, und merken nicht, dass wir damit völlig danebenliegen?

Meine Schwester zum Beispiel. Sie schenkt mir jedes Jahr zu Weihnachten einen Kalender mit Motivationssprüchen. “Jeder Tag ist ein neuer Anfang!”, “Du schaffst das!” – solche Sachen. Sie meint es gut, aber ich mag keine Motivationssprüche. Ich mag melancholische Gedichte und Jazz und die Art, wie Trudi mich anschaut, wenn sie müde ist.

Aber dann denke ich: Vielleicht ist es gar nicht so wichtig, ob das Geschenk passt. Vielleicht geht es um etwas anderes. Trudi bringt mir Mäuse, weil sie mich liebt. Meine Schwester bringt mir Motivationskalender, weil sie mich liebt. Beide wollen mir etwas geben, das aus ihrer Sicht wertvoll ist.

Ich räume die Maus weg – mit einem Küchenhandschuh, versteht sich – und kraule Trudi hinter den Ohren. “Danke”, sage ich zu ihr. “Das nächste Mal vielleicht etwas weniger… Totes?”

Sie schnurrt und reibt sich an meinem Bein. Dann geht sie zur Tür und miaut. Sie will raus. Vermutlich, um mir das nächste Geschenk zu besorgen.

Ich seufze und öffne die Tür. Liebe ist manchmal kompliziert. Aber sie ist immer da, auch wenn sie in Form einer toten Maus daherkommt.

Lilo Sommer

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