
Trudi und die Kunst des Nichtstuns
Hier schreibt: Lilo Sommer lebt mit ihrer Katze Trudi in einer alten Stadtwohnung voller Bücher, Teetassen und zerfetzter Sofakissen. Sie liebt Jazz, Weißwein und diese stillen Momente, in denen Trudi schnurrend auf ihrem Bauch entspannt und sie anblinzelt, als wüsste sie alle Antworten auf das Leben, aber ihr trotzdem keine verrät.
Es ist vier Uhr nachmittags, der Jazz säuselt leise aus dem Radio – Miles Davis, wie könnte es anders sein –, und Trudi liegt auf meinem Bauch wie ein warmer, schnurrender Talisman gegen die Unruhe dieser Welt. Sie blinzelt mich an mit diesen bernsteingelben Augen, die aussehen, als hätte sie gerade das Rätsel des Universums gelöst, aber beschlossen, es für sich zu behalten. Typisch Katze.
Ich trinke meinen Weißwein, einen leichten Riesling, der nach Sommernachmittagen schmeckt und denke daran, wie aufgeregt wir Menschen immer sind. Ständig müssen wir etwas tun, etwas erreichen, etwas werden. Trudi hingegen hat die Kunst des Nichtstuns zur Perfektion erhoben. Sie kann stundenlang dasitzen und… nichts tun. Einfach nur sein. Atmen. Schnurren. Existieren.
Manchmal, wenn ich sie so anschaue, frage ich mich, wer von uns beiden eigentlich der Philosoph ist. Ich mit meinen Büchern, die sich wie Gebirge in dieser alten Wohnung türmen, oder sie mit ihrer stillen Weisheit, die kein Buch der Welt lehren kann?
Heute Morgen zum Beispiel. Ich war wieder einmal in Aufruhr wegen irgendeiner Kleinigkeit – die Nachbarin hatte zu laut Musik gehört, die Milch war sauer, der Himmel zu grau. Trudi saß auf der Fensterbank und beobachtete einen Vogel draußen im Hof. Nicht jagend, nicht gierig, sondern einfach nur… schauend. Mit einer Ruhe, die ich ihr beneidete.
“Trudi”, sagte ich zu ihr, “wie machst du das nur?”
Sie drehte den Kopf zu mir, gähnte ausgiebig und legte sich dann auf die Seite, als wollte sie sagen: “Mach es wie ich. Leg dich hin.”
Und das tat ich. Ich legte mich neben sie aufs Sofa – auf diese zerfetzten Kissen, die schon so viele Geschichten erlebt haben –, und zum ersten Mal an diesem Tag atmete ich wirklich durch. Trudi schnurrte leise, und ich verstand: Das ist es. Das ist das Geheimnis. Nicht das große Suchen nach Antworten, sondern das kleine Finden von Momenten.
Jetzt liegt sie wieder auf mir, schwer und warm, und ich denke: Vielleicht sind Katzen die besseren Menschen. Sie lieben ohne Bedingungen, sie leben im Moment, und sie wissen, dass das wichtigste Gespräch das stumme ist – eines, das nur aus Berührung und Vertrauen besteht.
Miles Davis spielt “Kind of Blue”, der Weißwein wird langsam warm, und Trudi blinzelt mir zu. Ich blinzle zurück. Manchmal braucht es nicht mehr als das.
Lilo Sommer