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Trudi und die Insektenjagd

Hier schreibt: Lilo Sommer lebt mit ihrer Katze Trudi in einer alten Stadtwohnung voller Bücher, Teetassen und zerfetzter Sofakissen. Sie liebt Jazz, Weißwein und diese stillen Momente, in denen Trudi schnurrend auf ihrem Bauch entspannt und sie anblinzelt, als wüsste sie alle Antworten auf das Leben, aber ihr trotzdem keine verrät.

Es ist Sommer, die Fenster stehen offen, und mit der warmen Luft kommen sie: die Insekten. Fliegen, Mücken, gelegentlich eine verirrte Wespe. Für mich sind sie lästig. Für Trudi sind sie das große Abenteuer.

Eine Fliege surrt durch das Wohnzimmer, und Trudi wird sofort hellwach. Ihre Pupillen weiten sich, ihre Ohren stellen sich auf, ihr ganzer Körper spannt sich an. Die Jägerin erwacht.

Sie verfolgt die Fliege mit den Augen, von links nach rechts, auf und ab. Ihr Kopf bewegt sich wie bei einem Tennismatch. Dann springt sie. Elegant, präzise – und trifft nur Luft.

“Fast”, sage ich ermutigend.

Aber Trudi gibt nicht auf. Sie ist eine Optimistin der Jagd. Jeder Fehlschlag ist nur ein Aufwärmen für den nächsten Versuch.

Eine Mücke schwebt träge an der Decke. Zu hoch für Trudi, aber das hält sie nicht davon ab, es zu versuchen. Sie stellt sich auf die Hinterbeine, streckt sich, macht Sätze, die physikalisch unmöglich erscheinen. Eine kleine, pelzige Akrobatin.

“Du bist zu klein”, sage ich zu ihr. “Die Mücke ist zu hoch.”

Aber Trudi hört nicht auf. Sie springt vom Sofa auf den Tisch, vom Tisch auf das Bücherregal. Ein Parcours der Verzweiflung. Die Mücke schwebt unbeeindruckt weiter.

Nach einer halben Stunde gibt Trudi auf. Sie setzt sich hin, putzt sich die Pfoten und tut, als wäre nichts gewesen. Die große Nonchalance. Als hätte sie die Jagd nur aus Höflichkeit versucht.

Aber dann, plötzlich, summt eine dicke Schmeißfliege ins Zimmer. Träge, langsam, überheblich. Trudi sieht ihre Chance. Ein perfekter Sprung, ein präziser Schlag mit der Pfote – und die Fliege liegt am Boden.

Trudi schaut mich an mit einem Blick, der deutlicher ist als alle Worte: “Siehst du? Ich kann das.”

Aber dann passiert etwas Seltsames. Statt die Fliege zu fressen, stupst sie sie nur mit der Pfote an. Vorsichtig, fast zärtlich. Als würde sie prüfen, ob sie noch lebt.

Die Fliege rührt sich nicht. Trudi schaut sie an, dann mich, dann wieder die Fliege. Sie wirkt… nachdenklich. Als würde sie sich fragen: “Was mache ich jetzt damit?”

“Du musst sie nicht essen”, sage ich zu ihr. “Jagen reicht auch.”

Trudi schnurrt leise und geht weg. Lässt die Fliege liegen. Für sie war es nie ums Töten gegangen. Es ging ums Jagen. Um das Spiel. Um den Beweis, dass sie kann, was ihre Instinkte von ihr verlangen.

Später räume ich die tote Fliege weg. Trudi schaut zu, ohne Interesse. Das Spiel ist vorbei. Morgen wird es neue Insekten geben. Neue Herausforderungen. Neue Beweise ihrer wilden Seele.

Lilo Sommer

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