„Schweigen ist Gold.”
Dr. agr. Christian Nawroth ist führender Wissenschaftler im Bereich der geistigen Fähigkeiten von Nutztieren und hat hier viele erstaunliche Entdeckungen gemacht. Heute forscht er am Leibniz-Institut für Nutztierbiologie in Dummerstorf bei Rostock. Im Gespräch mit Kynologe Christoph Jung erklärt er, wie wichtig Zeigegesten sind.
Vor etwa 10 Jahren wurde wissenschaftlich belegt, dass Hunde die Zeigegesten von Menschen verstehen und ihnen folgen. Wölfe interessiert das wenig. Unsere biologisch nächsten Verwandten, die Schimpansen und Bonobos, interessieren sich für unsere Zeigegesten überhaupt nicht. Jetzt hast Du herausgefunden, dass Ziegen ebenfalls unsere Zeigegesten verstehen. Was ist da los?
Dr. Christian Nawroth: In der Tat – obwohl ‘verstehen’ hier wohl etwas zu weit gefasst ist. Wir haben bisher herausgefunden, dass Ziegen menschliche Zeigegesten nutzen können – dies schließt einfache Lernvorgänge (z.B. “gehe zum Behälter nahe der menschlichen Hand”) nicht aus und muss somit nicht zwangsläufig bedeuten, dass die Ziegen tatsächlich die kommunikative Natur hinter der Geste verstehen. Anders aber als die Hundeforschung steckt die Forschung bei Nutztieren in diesem Bereich der Mensch-Tier-Interaktion noch in den Kinderschuhen – was direkte Vergleiche zwischen den Fähigkeiten von Hunden und z.B. Ziegen damit sehr schwierig macht.
Bei Hunden kann man sich ja eine Vorstellung machen, warum sie menschliche Gesten verstehen. Schließlich leben und arbeiten Hunde mit uns seit Jahrtausenden aufs Engste zusammen. Warum aber interessieren sich Ziegen überhaupt für Signale von uns Menschen?
Dr. Christian Nawroth: Ziegen, so wie viele andere Nutztierarten, lebten ja bis vor 150 Jahren auch noch in den Haushalten der Menschen. Erst durch die industrielle Massentierhaltung des 20. Jahrhunderts verschwanden sie zusehends aus den Augen der Konsumenten. In diesem Licht ist also eine Anpassung an die menschliche Umwelt, inklusive der Deutung verschiedener Signale des Menschen, auch für Nutztiere von Bedeutung. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass es sicher qualitative Unterschiede in dieser Anpassung zwischen Hunden und Nutztieren gibt – erstere wurden nämlich speziell auf Kooperation gezüchtet.
„Man kann aber sicher sagen, dass die Kommunikation zwischen Mensch und Hund komplexer und vielschichtiger sein kann als zwischen Menschen und anderen domestizierten Tieren.“
Das ist ein interessanter Hinweis. Gerne vergisst man, wie eng unsere Vorfahren mit ihren Tieren zusammengelebt haben. Oft lebten Menschen, Ziegen, Kühe, Katzen und Hunde in kleinen Häusern unter einem Dach. Vielleicht spielt auch noch eine Rolle, dass Hunde bzw. Wölfe oder Ziegen von Natur aus in engen sozialen Gruppen leben und so auf Kommunikation eingestellt sind. Bei meinen Hauskatzen, die von Natur aus Einzelgänger sind, sehe ich kein Interesse an einer menschlichen Zeigegeste, obwohl sie emotional eng an den Menschen gebunden zu sein scheinen.
Dr. Christian Nawroth: Es gibt tatsächlich einige sehr interessante Untersuchungen zur Katze-Mensch-Kommunikation. Was man bei diesen unter anderem herausfand war, dass Katzen beim Nutzen von Zeigegesten im Vergleich zu Hunden gar nicht viel schlechter abschneiden. Wenn man sie jedoch vor ein Problem stellt, welches sie nicht selber lösen können, zeigen sie weit weniger Mensch-gerichtete Kommunikation als Hunde. Ein besonderer Punkt scheint bei Katzen die veränderte Motivation zu sein, auf Knopfdruck mit dem Menschen zu kommunizieren – etwas das viele Wissenschaftler, welche Verhaltensexperimente mit Katzen durchgeführt haben, sicher gern unterschreiben.
Im Volksmund heißt es ja “Hunde haben Herrchen, Katzen Personal”. Das trifft also den Kern schon ganz gut. Oder was sagt der Verhaltensbiologe dazu?
Dr. Christian Nawroth: Sehr wohl gibt es viele Katzen, welche eine sehr starke Beziehung zu “ihrem” Menschen aufbauen. Man kann aber sicher sagen, dass die Kommunikation zwischen Mensch und Hund komplexer und vielschichtiger sein kann als zwischen Menschen und anderen domestizierten Tieren. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Hunde oft mit Menschen kooperieren mussten und es hierauf einen starken Selektionsdruck gab – etwas, das zum Beispiel bei Katzen nicht der Fall war.
“Hunde suchen verstärkt Blickkontakt mit dem Menschen, wenn sie vor eine nicht-lösbare Aufgabe gestellt werden und können die Zeigegesten des Menschen weitaus effektiver interpretieren als Wölfe.“
Ich denke, dass es eine wesentliche Rolle spielt, dass der Wolf als Ahne unserer Hunde hochsozial ist und ähnliche Jagdmethoden in der Großwildjagd hatte, wie unsere Ahnen in der Eiszeit. Der Ahne unserer Hauskatze, die Falbkatze, ist dagegen ein Einzelgänger. So hatte der Hund von seiner psychischen Grundstruktur eine viel bessere Ausgangslage für eine aktive Zusammenarbeit mit dem Menschen.
Dr. Christian Nawroth: Das stimmt. Hunde sehen Menschen als sozialen Partner, mit welchem kooperiert werden kann. Die Kooperation mit Artgenossen muss hierfür natürlich als Grundlage vorausgehen. So haben Studien gezeigt, dass Wölfe sehr gut von Artgenossen lernen und mit diesen kooperieren – sogar besser als Hunde. Diese wiederum suchen verstärkt Blickkontakt mit dem Menschen, wenn sie vor eine nicht-lösbare Aufgabe gestellt werden und können ebenfalls die, eingangs bereits erwähnten, Zeigegesten des Menschen weitaus effektiver interpretieren als Wölfe.
Ich habe oft den Eindruck, dass Hunde uns viel intensiver beobachten und unsere nonverbale Kommunikation sogar besser verstehen als wir Menschen untereinander. Der moderne Mensch ist sehr stark auf die Sprache orientiert. Kannst du uns als Verhaltensbiologe Hinweise geben, worauf wir mit unseren Hunden bei der Kommunikation achten sollten?
Dr. Christian Nawroth: Studien einer italienischen Forschungsgruppe haben gezeigt, dass wenn Menschen zeitgleich durch verbale Kommandos und Zeigegesten widersprüchliche Informationen darbieten, Hunde eher dazu tendieren, der Zeigegeste zu folgen. Der Schluss liegt nahe, dass Gesten auch im Alltag Vorrang vor verbalen Kommandos haben und damit einen bevorzugteren Kommunikationskanal darstellen.
Kommen wir noch einmal zurück auf dein Spezialgebiet bei den “Nutztieren”. Wenn Ziegen und Schweine ähnliche Fähigkeiten in der Kommunikation mit Menschen haben – könnte man sie dann wie Hunde als Begleiter halten?
Dr. Christian Nawroth: Nein, so einfach ist dies nicht. Wir sollten hierbei immer im Hinterkopf behalten, dass der Hund im Menschen einen ebenbürtigen sozialen Partner sieht. Dies ist nur bedingt der Fall für andere domestizierte Tierarten wie Schwein und Ziege. Diese haben ganz andere Anforderungen an ihre Haltung – zum Beispiel sollte man diese niemals allein, sondern mindestens zu zweit halten. Auch sollten sie nur kurzfristig und in Ausnahmefällen innen gehalten werden – das Tier sowie der Teppichboden wird es euch danken. Wenn man Nutztieren wie Schwein und Ziege aber artgerechte Haltungsbedingungen anbietet, so können diese durchaus eine Alternative zu Hund oder Katze darstellen.
„Der Schluss liegt nahe, dass Gesten auch im Alltag Vorrang vor verbalen Kommandos haben und damit einen bevorzugteren Kommunikationskanal darstellen.“
Lieber Herr Nawroth, vielen Dank für das interessante Gespräch.
Dr. agr. Christian Nawroth ist einer der weltweit führenden Wissenschaftler im Bereich der geistigen Fähigkeiten von Nutztieren wie Ziegen, Schafen, Schweinen, Pferden und hat hier viele erstaunliche Entdeckungen gemacht. Nach seinem Studium in Halle und Forschungsstationen an der Queen Mary Universität in London forscht er heute am Leibniz-Institut für Nutztierbiologie in Dummerstorf bei Rostock.