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Mein Hund, der Personal Trainer

Warum ein Labrador die beste Ausrede ist, um nicht joggen zu gehen

Es begann mit einem Blick in den Spiegel. Einem ehrlichen Blick. Dem Blick eines 43-jährigen Mannes, der feststellt, dass sein Bauch inzwischen ein eigenes Postleitzahlengebiet haben könnte.

“Ich muss Sport machen”, verkündete ich beim Frühstück.

Meine Familie reagierte mit der Begeisterung, die man normalerweise für Steuererklärungen aufbringt.

“Wieder mal?”, fragte Clara und blickte nicht von ihrem Handy auf.

“Diesmal meine ich es ernst”, beharrte ich. “Ich fange mit Joggen an. Und Gustav kommt mit. Das wird perfekt – er braucht Bewegung, ich brauche Bewegung. Win-win.”

Gustav, der das Wort “Bewegung” gehört hatte, legte sich demonstrativ hin und seufzte. Tief und lang, wie ein Philosoph, der gerade die Sinnlosigkeit des Lebens erkannt hat.

“Gustav ist kein Jogging-Hund”, sagte meine Frau vorsichtig. “Gustav ist eher ein… Gemütlichkeits-Hund.”

“Unsinn”, widersprach ich. “Labradore sind Sporthunde. Apportierhunde. Die sind für Bewegung gemacht.”

Gustav sah mich an mit diesem Blick, den nur übergewichtige Labradore hinbekommen. Dieser Blick sagt: “Schau mich an. Sehe ich aus wie ein Sportgerät?”

Aber ich war entschlossen. Am nächsten Morgen um sechs Uhr stand ich in Joggingklamotten vor Gustavs Körbchen. “Auf geht’s, Kumpel! Zeit für unser Training!”

Gustav öffnete ein Auge, betrachtete mein Outfit und beschloss offensichtlich, dass es sich um einen schlechten Traum handelte. Er drehte sich um und schlief weiter.

“Gustav! Personal Training! Du bist mein Trainer!”

Das Wort “Trainer” schien ihn zu interessieren. Er stand auf, gähnte ausgiebig und trottete zur Haustür. Ich war begeistert. Das würde funktionieren!

Die ersten fünfzig Meter liefen tatsächlich gut. Ich joggte, Gustav trabte neben mir her, und ich fühlte mich wie in einem Fitness-Werbespot. “Siehst du?”, keuchte ich zu Gustav. “Das macht Spaß!”

Gustav sah mich von der Seite an. Sein Blick sagte: “Warum redest du so komisch? Und warum hüpfst du so eigenartig?”

Nach hundert Metern blieb Gustav stehen. Abrupt. Ohne Vorwarnung. Ich rannte weiter, bis die Leine mich zurückriss und ich fast gestürzt wäre.

“Was ist los?”, fragte ich.

Gustav schnüffelte intensiv an einem Laternenpfahl. Sehr intensiv. Als würde er ein Buch lesen.

“Gustav, das ist jetzt nicht die Zeit für Nachrichten”, sagte ich ungeduldig. “Wir trainieren.”

Gustav ignorierte mich völlig. Er las seine Laternenpfahl-Post, wie andere Leute Facebook checken. Gründlich und ohne Eile.

Nach fünf Minuten gingen wir weiter. Weitere fünfzig Meter, dann der nächste Stopp. Diesmal ein Busch, der offenbar die Schlagzeilen des Tages bereithielt.

“Gustav, wir wollen laufen, nicht lesen!”

Gustav sah mich an mit einem Blick, der sagte: “Du verstehst nicht, wie wichtig diese Informationen sind.”

So ging es weiter. Stopp bei jedem Baum, jedem Zaun, jedem interessanten Grashalm. Aus meinem geplanten 30-Minuten-Lauf wurde ein zweistündiger Informationsrundgang durchs Viertel.

“Wie war denn euer Training?”, fragte meine Frau, als wir zurückkamen.

“Sehr… informativ”, sagte ich. “Gustav hat mir jeden Laternenpfahl im Umkreis von einem Kilometer gezeigt.”

“Das ist sein Job als Personal Trainer”, sagte Clara grinsend. “Er zeigt dir, wie man richtig pausiert.”

Am nächsten Tag probierte ich eine andere Taktik. “Gustav, heute joggen wir ohne Pausen. Durchlaufen. Verstanden?”

Gustav wedelte zustimmend. Ich interpretierte das als Einverständnis.

Wir starteten. Nach zweihundert Metern sah Gustav einen anderen Hund und bremste schlagartig ab. Nicht wegen der Nachrichten diesmal, sondern für ein ausführliches Begrüßungsritual.

“Gustav, das ist ein Trainingslauf! Keine Kaffeepause!”

Aber Gustav hatte bereits ein intensives Gespräch mit einem Golden Retriever begonnen. Sie beschnüffelten sich so gründlich, als würden sie sich nach jahrelanger Trennung wiedersehen.

“Entschuldigung”, sagte ich zu der anderen Hundebesitzerin. “Wir sind eigentlich beim Joggen.”

Sie lachte. “Mit einem Labrador? Viel Glück!”

Nach zehn Minuten Hundediplomatie ging es weiter. Für weitere dreihundert Meter. Dann entdeckte Gustav einen Stock. Nicht irgendeinen Stock – den perfekten Stock. Er hob ihn auf und blieb stehen, als würde er erwarten, dass ich ihn werffe.

“Gustav, das ist kein Apportiertraining. Das ist Ausdauertraining.”

Gustav ließ den Stock fallen, hob ihn wieder auf und sah mich erwartungsvoll an. Seine Botschaft war klar: “Sport ist nur dann sinnvoll, wenn man dabei spielt.”

Ich gab nach und warf den Stock. Gustav rannte los – für etwa fünf Meter. Dann ging er langsam zum Stock, hob ihn auf und brachte ihn gemächlich zurück. Das war seine Version von Sprint-Training.

“Schneller!”, rief ich. “Das ist kein Spaziergang!”

Gustav beschleunigte auf Schritttempo Plus. Ich konnte praktisch sehen, wie er dachte: “Wenn du Geschwindigkeit willst, hättest du dir einen anderen Hund holen sollen.”

Nach einer Woche hatte ich ein neues Trainingsprogramm entwickelt. Oder besser gesagt: Gustav hatte es für mich entwickelt. Es bestand aus kurzen Jogging-Intervallen, unterbrochen von ausgiebigen Pausen für Sozialkontakte, Nachrichten lesen und Stöckchen werfen.

“Das ist kein richtiges Training”, beschwerte ich mich bei meiner Frau.

“Doch”, sagte sie. “Das ist Gustav-Training. Du trainierst Geduld.”

“Ich wollte Ausdauer trainieren.”

“Das machst du auch. Du hältst zwei Stunden mit Gustav aus. Das ist Ausdauer.”

Sie hatte einen Punkt. Unsere “Jogging”-Runden dauerten inzwischen länger als ein Halbmarathon, auch wenn wir dabei höchstens drei Kilometer zurücklegten.

Am Wochenende traf ich einen echten Jogger im Park. Er rannte vorbei, schweißnass und konzentriert, mit der Entschlossenheit eines Profisportlers.

“So sollte ich auch laufen”, sagte ich zu Gustav.

Gustav sah dem Jogger nach und dann zu mir. Sein Blick sagte: “Siehst du, wie unglücklich der aussieht? Wir haben mehr Spaß.”

Und weißt du was? Er hatte recht. Ich war nicht fitter geworden, aber ich kannte inzwischen jeden Hund im Viertel, jeden interessanten Baum und jeden Stock, der Gustav für würdig befunden hatte.

“Gustav ist ein guter Personal Trainer”, sagte Mats eines Abends. “Er sorgt dafür, dass du nicht zu schnell läufst.”

“Zu schnell?”

“Papa, du bist nach dem Joggen nie außer Atem. Das ist doch gut.”

Stimmt. Ich war nie außer Atem. Müde war ich trotzdem – von zwei Stunden Gustav-Management.

Letzte Woche probierte ich es ein letztes Mal mit richtigem Joggen. “Gustav”, sagte ich streng, “heute machen wir Sport. Echten Sport. Keine Pausen, keine Stöckchen, keine Sozialkontakte.”

Gustav sah mich an und ging zur Haustür. Ich war begeistert. Endlich hatte er verstanden!

Wir starteten. Ich joggte los, Gustav trottete brav neben mir her. Keine Pausen, keine Ablenkungen. Das war es! Das war echtes Training!

Nach zehn Minuten merkte ich, warum Gustav so kooperativ war. Er war gar nicht neben mir. Ich drehte mich um und sah ihn etwa hundert Meter zurück gemütlich im Schatten liegen.

“GUSTAV!”

Er wedelte fröhlich, als würde er sagen: “Du hast gesagt, keine Pausen. Du hast nichts davon gesagt, dass ich mitlaufen muss.”

Als ich zu ihm zurückging, stand er auf und trottete nach Hause. Mission erfüllt. Training beendet.

Heute habe ich mein Lauftraining aufgegeben. Stattdessen mache ich Gustav-Walking. Das ist entspannter, sozialer und ehrlicher. Und Gustav ist der beste Personal Trainer der Welt – er sorgt dafür, dass ich nie überanstrengt bin.

“Du hast aufgegeben”, sagte Clara.

“Ich habe meine Prioritäten neu sortiert”, korrigierte ich. “Gustav hat mir gezeigt, dass Sport Spaß machen soll.”

“Indem er dich davon abhält, Sport zu machen?”

“Indem er dafür sorgt, dass ich mich nie überfordere.”

Gustav kam zu mir und legte den Kopf auf meine Füße. Seine Art zu sagen: “Gern geschehen.”

Manchmal braucht man keinen Personal Trainer, der einen antreibt. Manchmal braucht man einen, der einen bremst. Gustav ist ein Experte im Bremsen.

Benno Böhmer lebt mit seiner Familie und Gustav in einer Reihenhaussiedlung, wo er inzwischen der fitteste Spaziergänger weit und breit ist.

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