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Im Interview mit Prof. Dr. James Serpell

Prof. Dr. James Serpell ist einer der renommiertesten Hunde-Wissenschaftler weltweit. Der Direktor des “Center for the Interaction of Animals and Society” an der University of Pennsylvania ist Herausgeber mehrerer Standardwerke zum Hund, darunter “The Domestic Dog: Its Evolution, Behavior and Interactions with People”. Serpell engagiert sich für ein besseres Verhältnis von Mensch und Hund. Woran tüftelt er wohl gerade? Christoph Jung sprach mit ihm auf der Jahrestagung der International Society for Anthrozoology (ISAZ) in Orlando, Florida.

Ist das Verhältnis Mensch – Hund wirklich etwas Einzigartiges?

Prof. Dr. James Serpell: Ja, ich denke, dass die Beziehung zwischen Menschen und Hunden wirklich einzigartig ist, und zwar aus zwei Gründen. Zum ersten war der Wolf die erste Spezies, die eine Lebensgemeinschaft mit Menschen einging, vielleicht 20.000, mindestens aber 5.000 Jahre vor jedem anderen domestizierten Tier. Zum zweiten: Symbiotische und mutualistische Beziehungen zwischen verschiedenen Spezies sind nichts Außergewöhnliches in der Natur. Doch die Beziehung zwischen Menschen und Hunden ist die einzige bei der der Nutzen (für den Menschen) in erster Linie sozial statt materiell ist. Klar, im Laufe der Zeit haben Hunde auch eine Menge praktischer Funktionen übernommen, aber ich denke, dass sich all dies erst infolge zur primären Rolle des Hundes als Quelle sozialer Unterstützung entwickelte.

Heute sind sich die Wissenschaftler aller Disziplinen einig, dass der Hund vom Wolf (Canis lupus) und nur von diesem abstammt. Aber wir wissen immer noch wenig darüber, WIE nun der Hund entstand. Was ist Ihre Meinung?

Prof. Dr. James Serpell: Derzeit gibt es zwei konkurrierende Theorien, wie der Wolf domestiziert wurde. Am beliebtesten ist heute die Idee, dass Wölfe ursprünglich vom Müll um die menschlichen Lagerplätze und Siedlungen angezogen wurden, eine Idee, die auf den späten Konrad Lorenz zurückgeht. Die Menschen tolerierten dieses Eindringen, vielleicht auch, weil die Wölfe frühzeitig vor gefährlichen Raubtieren oder Angriffen anderer Menschen warnten. Mit der Zeit – so heißt es weiter – wurden diese Wölfe mutiger und weniger ängstlich gegenüber Menschen, bevor sie schließlich als ständige Partner in die menschliche Gesellschaft aufgenommen wurden.

Die zweite Theorie besagt, dass frühe Menschen Wolfswelpen aktiv gefangen und als Haustiere adoptiert haben, vielleicht sogar mit menschlicher Muttermilch säugten, bis sie zum festen Futter entwöhnt werden konnten. So wurde eine einheimische Population von Wölfen geschaffen, die effektiv auf den Menschen „geprägt“ wurde. Wenn sich diese Haustierwölfe auch noch innerhalb ihrer adoptierten, menschlichen Gemeinschaften paarten und Nachkommen hervorgebracht hätten, hätte dies genetisch isolierte Populationen hervorgebracht, die sich zunehmend von den wilden Vorfahren abgesetzt hätten.

Ich bevorzuge die zweite Theorie, hauptsächlich, weil sie mit dem übereinstimmt, was wir über die Tierhaltungspraktiken von Naturvölkern wissen. Auch bietet dieses Modell einen Mechanismus für die Entwicklung eines gut sozialisierten Hauswolfs, der keine Gefahr für Menschen oder ihre Kinder gewesen wäre. Im Gegensatz dazu bleibt im Modell vom Müll fressenden, streunernden Wolf, der langsam seine Angst vor Menschen verliert, ein potenziell gefährliches Raubtier. Ich kann mir nur schwer vorstellen, warum unsere Vorfahren sie in der Nähe ihrer Siedlungen geduldet oder gar gefüttert hätten. In der Tat handelte es sich bei den jüngsten Berichten über Wolfsangriffe auf Menschen entweder um tollwütige Tiere oder um Wölfe, die ihre Angst vor Menschen verloren haben, gerade weil sie mit Leckereien und Essensresten gefüttert worden waren.

Einige Forscher argumentieren, dass Hunderassen ein modernes, künstliches Phänomen seien, das im viktorianischen Großbritannien begann. Ich denke, dass Hunderassen viel älter sein müssen und dass sie eine alte Kultur der Zusammenarbeit mit Menschen repräsentieren. Was ist Ihre Meinung dazu?

Prof. Dr. James Serpell: Ich bin mir ziemlich sicher, dass Hunderassen oder so genannte Landschläge eine uralte Geschichte haben. Wir haben klare bildliche Belege für die Existenz charakteristischer Arten von Hunden, die etwa modernen Windhunden schon vor 8.000 Jahren sehr ähnlich sind. Zur Zeit des alten Ägyptens und Griechenlands waren zahlreiche Rassen anerkannt, jede mit ganz speziellen Fähigkeiten. Diese frühen Rassen wurden zweifellos eher nach ihrer Funktion als nach ihrem Aussehen gezüchtet. Doch wollten Menschen wahrscheinlich das gesamte „Paket“ an Eigenschaften, wenn sie sich entschieden haben, mit welchen Exemplaren sie züchten wollten.

Mit anderen Worten, sie suchten nach einer Kombination aus dem richtigen Verhalten (Jagen, Bewachen, Hüten, Schoßhund usw.) und dem richtigen Design oder der richtigen Morphologie, die zu diesem Verhalten passt. Im 19. Jahrhundert nahmen viktorianische Hundezüchter in Großbritannien diese grundlegenden Rassen und isolierten sie, indem sie Champion-Hunde mit bestimmten körperlichen Merkmalen auswählten und dann die Zuchtbücher schlossen, um ein Auskreuzen zu verhindern. Dies hat sich zum größten Teil nachteilig auf die Gesundheit und das Wohlergehen der Rassehunde ausgewirkt.

Hunderassen sind in ihrer Erscheinung sehr unterschiedliche denken wir nur an den Chihuahua oder die Deutsche Dogge. Gibt es ebenso Unterschiede im Verhalten?

Prof. Dr. James Serpell: Ja, und einige meiner Forschungen haben ergeben, dass viele dieser Rassenunterschiede in hohem Maße vererbbar sind und mit Genen zusammenhängen, die an der Bestimmung der Struktur und Funktion des Gehirns und des Zentralnervensystems beteiligt sind. Dies deutet darauf hin, dass moderne Rassen immer noch viele der Verhaltensmerkmale der Vorfahren beibehalten haben, die ursprünglich vor Hunderten und manchmal Tausenden von Jahren ausgewählt wurden.

Was ist besonders wichtig für ein gutes Verhältnis zu unserem eigenen Hund. Was raten Sie als Wissenschaftler den Leserinnen und Lesern?

Prof. Dr. James Serpell: Der Knackpunkt für eine gute Beziehung ist, dass der Hund bereits in einem frühen Alter (vorzugsweise 7 oder 8 Wochen) gut mit Menschen und anderen Hunden und Tieren sozialisiert ist. Solche Hunde werden als Erwachsene sicherer und geschickter mit unbekannten Personen und Situationen umgehen. Sie werden weniger wahrscheinlich Verhaltensprobleme entwickeln. Es ist auch ratsam, den eigenen Hund zu trainieren, einfache Befehle oder Anweisungen zu befolgen (sitzen, bleiben, kommen, gehen) und an der Leine zu gehen. All dieses Training sollte darauf basieren, den Hund zu belohnen (mit Lob, Streicheln, Leckerbissen oder Spielzeug), wenn er das Richtige tut, anstatt ihn für falsches Tun zu bestrafen.

Mehrere Studien haben gezeigt, dass strafbasiertes Training die Mensch-Hund-Beziehung stört und die Lernfähigkeit des Hundes beeinträchtigt. Offensichtlich sind Hunde mit schwerwiegenden Verhaltensproblemen (Aggression, Angst, Trennungsangst usw.) ein viel größere Herausforderung für das Zusammenleben. Auch Hunde mit einer starken inneren Motivation auf Basis rassenspezifischer Verhaltensmuster wie Jagdtrieb, Hüte- oder Schutztrieb können schwierige Partner sein. Frühe Sozialisation und positive Trainingsmethoden können jedoch in aller Regel dazu beitragen, auch mit den schwierigsten Hunden eine gute Beziehung aufzubauen.

Vielen Dank, Herr Serpell, für das Gespräch.


Prof. Dr. James Serpell ist einer der renommiertesten Hunde-Wissenschaftler weltweit. Der Direktor des “Center for the Interaction of Animals and Society” an der University of Pennsylvania ist Herausgeber mehrerer Standardwerke zum Hund, darunter “The Domestic Dog: Its Evolution, Behavior and Interactions with People”. Serpell engagiert sich für ein besseres Verhältnis von Mensch und Hund.

Dieses Interview stammt aus der HundeWelt.

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