Hunde helfen Seelen heilen
Margarete Weiler und ihre Therapiehelfer
Seit der berühmten Delphin-Therapie ist die tiergestützte Therapie in weiten Kreisen bekannt. Oftmals wird darunter verstanden, dass die Tiere einem Menschen emotionale Nähe, Wärme und unbedingte Anerkennung zur Verfügung stellen. Doch was bedeutet das für das Therapietier? Margarete Weiler vertritt die Meinung, dass ein verantwortungsvoller Therapeut nicht nur das Bedürfnis seines Klienten im Auge haben darf, er muss auch seinen Hund achten. Ein Therapiehund ist mehr, als nur ein Streicheltier und ein bedingungsloser Verstärker. Lässt man ihm seinen Freiraum, so profitieren alle davon. Der Hund hat weniger Stress, die Beziehung zwischen Hund und Therapeut ist vertrauensvoller – und die Art, wie der Hund auf den Patienten reagiert, kann unglaublich hilfreich bei der Analyse sein. Für die HundeWelt sprach Christoph Jung mit Margarete Weiler. Sie ist analytische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin und studierte und arbeitete viele Jahre in Hamburg, wo sie ihre Zulassung und Approbation erwarb. Heute betreibt sie in Dänemark “Wikkegaard”. Hier werden erfahrene Therapeuten in tiergestützter Therapie und Pädagogik weitergebildet. Im Mittelpunkt steht dabei die heilende Arbeit mit dem Hund.
Heute ist es wissenschaftlich bestätigt, dass Hunde eine positive Rolle für unser Wohlbefinden spielen. Sie spielen zuweilen sogar die Rolle des „Co-Therapeuten“ in Schule, Altenheim bis zur Psychotherapie. Worin liegt diese große Bedeutung des Hundes?
Margarete Weiler: Mit dem Begriff Co-Therapeut habe ich so meine Sorgen: Ein Pilot kann durch einen ausgebildeten Co-Piloten unterstützt, sogar ersetzt werden. Der Begriff Co-Therapeut ist bestenfalls ein Wunschtraum. Das ist eine Zuschreibung, die einfach nicht stimmen kann. Ich denke sogar, dass solche Vermischungen dem Ansehen hundegestützter Interventionen schaden.
Das ist ein sehr wichtiger Hinweis. Aber trotzdem hat der Hund diese wohltuende Wirkung auf unsere Psyche.
Margarete Weiler: Wissenschaftliche Erklärungen für die positive Bedeutung und damit letztlich für die Wirksamkeit des Hundes auf den Menschen gibt es heute immer zahlreicher. In der Forschung nehmen wir heute an, dass die Wurzeln dieser positiven Wahrnehmung nicht zuletzt in dem Jahrtausende dauernden Miteinander von Mensch, Wolf und dem späteren Hund liegen. Die Domestizierung des Wolfes hat wechselseitig auch Auswirkungen auf den Menschen gehabt. Die mehr als 30.000 Jahre währende Gemeinsamkeit zwischen Mensch und Wolf/Hund führte eben auch zum gegenseitigen Wollen, einander zu brauchen. Das machte Abstimmungen auf beiden Seiten notwendig, die sich heute sogar im Vergleich menschlicher und hundlicher Gehirne zeigen. Auch die Gefühlswelt ist einander ähnlich. Hund und Mensch können Stimmungen aneinander wahrnehmen und teilen, können sich gegenseitig binden und die Gegenwart des anderen so genießen.
Wie jeder Mensch so hat auch jeder Hund seine eigene Persönlichkeit. Jeder hat seine eigene Art des Zugangs zu jedem einzelnen Menschen. Wie kann das beim Einsatz in der Therapie berücksichtigt werden?
Margarete Weiler: Ich spreche hier lieber von einer Integration und nicht von einem Einsatz. Der letztere Begriff hat für mein Empfinden zu viel mit einer Reglementierung und Fremdbestimmung des Hundes zu tun. Integration dagegen meint ein Einfügen in einen Bereich, in dem sich der Hund frei bewegen kann und nicht eine vom Menschen bestimmte Aufgabe zu erfüllen hat.
Therapie ist ein sehr umfassender Begriff, der letztlich alles meint, was den Menschen hilft oder gesunden lässt. Ich bin analytische Psychotherapeutin und habe meine Erfahrungen in hundegestützter beruflicher Tätigkeit in meiner Praxis gemacht. Meine Antworten basieren also auf Erfahrungen aus der hundegestützten Psychotherapie.
Die von Ihnen genannte individuelle Art eines jeden Hundes, von der Sie sprechen, bestimmt die Art seiner Wirksamkeit! Es gibt nicht DIE Wirksamkeit des Hundes, es gibt immer nur die individuelle Wirksamkeit. Das ist ein Indiz dafür, dass nachhaltige Wirksamkeit nur da erreicht werden kann, wo der Hund auch die Chance erhält, sie zu leben. Das Gegenteil wäre der Einsatz des Hundes nach Vorgaben und Wünschen des Therapeuten. Ich denke hier an das Positionieren des Hundes in „Streichellage“ liegend, was oft von einem enormen, vom Therapeuten nicht erkannten, Stressaufbau des Hundes begleitet Ist.
Ja, ich sehe oft so genannte Therapiehunde, die ganz offensichtlich Stress haben und zwar enormen. Da habe ich zuweilen den Eindruck, dass die Bedürfnisse des Hundes, seine Individualität nicht berücksichtigt werden.
Margarete Weiler: Um seiner individuellen Art und Weise im therapeutischen Prozess Raum zu geben, braucht es eine Beziehung zwischen Therapeut und Hund, in der gegenseitiges Vertrauen gepaart mit einer leitenden oder auch führenden Rolle gelebt wird. Leitend und führend meint die Achtsamkeit, dass weder dem Klienten, noch dem Hund oder dem Therapeuten etwas Schlimmes widerfahren kann. Es meint aber auch dem Hund und seiner Art in der menschlichen Sozialisation gerecht zu werden. In dieser Konstellation aus gesichertem Vertrauen und Führung kann der Hund beispielsweise entscheiden, ob er zum Klienten Kontakt aufnehmen möchte oder lieber auf seiner Decke bleibt. Er kann Spielzeug anschleppen, abgeben oder auch nicht. Er kann zum Streicheln kommen und bleiben oder lieber Abstand halten. Die Art seines Kontaktes oder Nicht-Kontaktes zum Klienten gibt dem Psychotherapeuten Hinweise auf mögliche eventuelle Störungen im Beziehungsmuster des Klienten, die dann reflektierend Ansprache und Bearbeitung finden können.
Ich kann mir vorstellen, dass so neben der Hilfe bei der Diagnose auch die positive Wirkung des Hundes auf die Psyche eines Klienten viel eher und besser zur Wirkung kommen kann.
Margarete Weiler: Ja, das ist richtig. Doch hier ist der Blick ausschließlich auf das „Wohlergehen“ des Klienten gerichtet. Es vergisst den Respekt vor der Art Hund und vor allem die Anerkennung und das Zugestehen seines ihm eigenen Wesens. Um die Wirksamkeit des Hundes zu fördern, braucht es eben ein gutes Maß an Zugeständnis von Freiraum, in dem der Hund Hund bleiben kann, mit seiner Subjektivität, seinen Wünschen und Vorstellungen im augenblicklichen Geschehen.
Abgrenzungen des Hundes vom Klienten mögen manchmal auch schmerzlich sein, häufig sind es aber gerade diese „Störungen“ im harmonischen Zusammensein, die Prozesse in Gang setzen, Zugang für den Therapeuten bieten und beim Klienten Nachdenken bewirken, das zu neuen Lösungen führt.
Haben Sie hier ein praktisches Beispiel aus ihrer langjährigen Praxis?
Margarete Weiler: Ich denke da an eine junge Patientin. In ihrem häuslichen Umfeld hatte sie sich weitgehend isoliert und verbrachte die meiste Zeit des Tages allein und tagträumend in ihrem Zimmer. Sie hatte jedoch eine sehr enge Beziehung zu meinem Hund gefunden, die dieser auch gern annahm. Es war allerdings nicht zu übersehen, dass ich innerhalb dieser Zweierbeziehung für sie keine Rolle spielte. In einer Sitzung rief die Patientin den Hund, der bei mir saß, zu sich. Der Hund reagierte nicht. Die Patientin versuchte ihn mit allerlei Einfällen zu locken. Plötzlich rief sie unter Tränen: „Janosch ist ja doch Ihr Hund und nicht meiner!“
Warum Janosch an diesem Tag nicht zu ihr gehen wollte, lässt sich nicht wirklich beantworten.
Wichtig wurde hier die Aufarbeitung dessen, was in der Patienten gerade geschah: Der enge und andere Personen ausschließende Kontakt zu meinem Hund erwies sich als das Ergebnis einer Suche nach früher Zweierbeziehung und damit einem Weg aus der Isolation. Das Verweigern des Hundes wurde für sie zu einem äußeren und erlebten Signal, das dann im weiteren Therapieverlauf als ein wertvoller Auftakt, zu einem Prozess wurde, der die Patientin wieder in eine altersgemäße Beziehung zum Umfeld bringen konnte.
In Wikkegaard bilden Sie Therapeuten und Pädagogen in der Integration von Hunden aus. Was ist die Botschaft, die Sie Ihren (Schülerinnen und Schülern) Teilnehmern mit auf den Weg geben?
Margarete Weiler: Die Botschaft finden Sie in Wikkegaards Logo: Im Gegenüber von Mensch und Hund. Das bedeutet, dass die Subjektivität von Mensch und Hund in der Integration erhalten bleibt. Der Mensch ist Freund, Bezugsperson und Leiter in der menschlichen Sozialisation. Auf dieser Basis ist der Kontakt zwischen Mensch und Hund getragen von gegenseitiger Achtung wie auch von Zuneigung und liebevollem Miteinander. An die Stelle des funktionalisierenden Trainings treten Abstimmungen mit dem Hund, die sein Anderssein berücksichtigen. Ohne den Fokus auf die Mensch-Hund-Beziehung im Zusammenleben wie in Ausbildung und Integration zu setzen, kann es eine für alle Beteiligten wertvolle hundegestützte Psychotherapie oder auch Pädagogik nicht geben.
Das Andere, das ich mitgeben möchte, ist die Empfindsamkeit für nicht menschliche, aber menschenähnliche Wahrnehmungen und Ausdrucksweisen des Hundes. Beispielsweise für seine Sprache, seine Botschaften an uns, die auch ihn selbst meinen. Das erfordert ständige Reflexion, das Spüren der eigenen Empfindungen, aber auch den Mut, die eigene dem Menschen erhalten gebliebene Körpersprache zu wagen und in der Kommunikation mit dem Hund einzubringen.
Mehr als nur erwähnenswert bleiben noch die Freude und der Spaß am Miteinander, ob im häuslichen Bereich, im Urlaub oder im Beruf. Freude und Spaß bei Mensch und Hund sind wahrscheinlich die wichtigsten Kriterien dafür, ob eine Integration des Hundes in die berufliche Arbeit gelingen kann oder nicht.
Sehr geehrte Frau Weiler, vielen Dank für das interessante Gespräch.
Dieses Interview stammt aus der HundeWelt.