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Einsatz auf vier Pfoten! | Teil 36

Chicco erwies sich als Problemfall. Der schon dreijährige Belgische Schäferhund ohne bekannte Vorgeschichte blieb trotz aller meiner Bemühungen, mit ihm Freundschaft zu schließen, unberechenbar – und damit gefährlich.

Zwischen Gut und Böse

Ob im Spiel oder bei der Ausbildung, ich musste immer damit rechnen, dass er urplötzlich einen imaginären „Schalter“ umlegte und sich drohend gegen mich stellte. Dabei war kein bestimmbares Muster festzustellen, auf das ich mich hätte einstellen können. Was er gestern noch toll fand, machte ihn am nächsten Tag misstrauisch oder gar aggressiv. So war der Umgang mit ihm eine Gratwanderung zwischen Gut und Böse.

Sehr wahrscheinlich beruhte Chiccos Verhalten auf schlechten Erfahrungen, die er in seinen ersten Lebensjahren gemacht hatte. Aber die Gefahr, dass er mich aus einer noch so unverfänglichen Situation heraus angreifen könnte, war allgegenwärtig und machte mich zunehmend verzweifelt und mutlos. Chicco war schlichtweg ungeeignet als Polizeidiensthund.

Welcome to the mission

Umso glücklicher war ich, als kurz vor Weihnachten ein Schreiben der Bayerischen Bereitschaftspolizei in meinem Fach lag. Die Abteilung Multinationale Friedensmissionen teilte mir mit, dass meine Bewerbung erfolgreich gewesen sei und nun der Tag meiner Entsendung nach Bosnien-Herzegowina feststehe: Montag, der 21. Januar 2002.

Wenige Tage später verschwand Chicco aus meinem Leben. Ein erfahrener Malinois-Fan nahm sich seiner an, obwohl ihm die Probleme mit dem Hund ausführlich geschildert worden waren. „Das bekomme ich hin“, war sich der Mann sicher. Kurz vor meiner Abreise nach Bosnien hörte ich, dass Chicco eine ältere Dame attackiert und verletzt habe. Was danach aus ihm geworden ist, habe ich nie erfahren.

Es war kalt in Sarajevo

Die Wintersonne durchdrang kaum den Nebel, der über Bosniens Hauptstadt lag. In einem Büro des UN-Hauptquartiers schüttelte mir ein sommersprossiger Ire herzlich die Hand und überreichte mir das Ergebnis meines schriftlichen Englischtests. „Welcome to the mission!“

Er hatte ihn tatsächlich ausgesprochen, diesen Satz, auf den ich monatelang hingearbeitet hatte. Ich strahlte. Ein guter Beginn des Jahres 2002, das nun schon wieder drei Wochen alt war. Die scheinbare Floskel hatte symbolträchtigen Charakter. Erst jetzt stand fest, dass ich als Mitglied der International Police Task Force-IPTF am Wiederaufbau von Bosnien-Herzegowina, insbesondere an dessen Polizeistruktur, mitarbeiten durfte.

Trotz aller Vorbereitung wusste ich immer noch nicht, was mich vor Ort erwarten würde. Es gab vielfältige Möglichkeiten innerhalb der United Nations, und ich plante, möglichst viele davon auszuprobieren. Vor allem wollte ich ein Jahr lang nichts mit Hunden zu tun haben! So oft ich an Gundo dachte, so sehr ich ihn vermisste, redete ich mir dennoch ein, wie schön es sei, endlich mal wieder eine elegante, schwarze Jacke oder Hose anziehen zu können, ohne diese vorher mühsam und zumeist erfolglos von Hundehaaren zu befreien.

Im Hauptquartier

An einem Februarmorgen traf sich unter strahlend blauem Himmel das deutsche Kontingent vor dem Main-Headquarter. Eine lange Schlange weißer Toyota 4Runner wartete mit laufenden Motoren, um uns in alle Landesteile Bosniens zu verteilen. Olli, unser Fahrer, ein Missionshaudegen aus dem Ruhrpott, fuhr den Geländewagen, als wollte er einen neuen Geschwindigkeitsrekord aufstellen. Der Anblick der von Maschinengewehrsalven gezeichneten Fassaden zerstörter Häuser und öder Geisterdörfer – immerhin vier Jahre nach dem Krieg – inmitten der wunderschönen Landschaft beeindruckte mich tief.

Nicht nur die Kleinstadt Grahovo wirkte, als wäre die serbische Armee hier gerade erst abgezogen. Olli erzählte uns, dass Grahovo früher eine quirlige Stadt mit einem Flair südlicher Lebensfreude gewesen sei. Aha, dachte ich und sah menschenleere Straßen, fensterlose Häuser. Und Hunde, kleine und große, braune, schwarze, weiße, auf jeden Fall herrenlos. Auch sie hatten ihr Zuhause, ihre Familien verloren. Ich blickte in eine Welt, die ich bis vor kurzem nur aus den Nachrichten gekannt und weit weg gewähnt hatte. Jetzt war ich mitten drin.

„Da unten, das ist Bihac“,

ließ Olli mich wissen und durchkurvte die letzten Serpentinen mit wimmernden Reifen.

Bihac. Diese Stadt war sehr oft in den Nachrichten vorgekommen – und sah ganz anders aus, als ich sie mir vorgestellt hatte. Obwohl es auch hier zerschossene Häuser und Ruinen gab, wirkten die Menschen lebensfroh. Ich atmete auf. Die rund sechzigtausend überwiegend jungen Einwohner blickten optimistisch in ihre Zukunft. Wie ich. Olli bemerkte meinen überraschten Gesichtsausdruck, deutete ihn jedoch falsch.

„Ja, Elmar, hier ist was geboten! Vor allem Mädels, kann ich dir sagen, Mädels! Zum Glück bin ich verheiratet.“ Er zwinkerte mir zu.

„Bin ich auch“, antwortete ich und schaute automatisch auf mein Handy. Noch immer kein Empfang.

„Deutsche Sim-Karten kannste hier vergessen”, klärte Olli mich auf.

„Kauf’ dir eine lokale Sim-Karte, die funktioniert hier und ist viel billiger. Er lachte. Ich zeige dir erst mal deine Wohnung. Ist gleich da vorne.“ Schon nutzte er die nächste Lücke im Gegenverkehr.

Die voll möblierte Zweizimmerwohnung war gepflegt und erstaunlich komfortabel: Satellitenfernsehen mit deutschen Programmen, Zentralheizung, Balkon und sogar eine Waschmaschine. Das war viel mehr, als ich erwartet hatte. Ivo, der Besitzer, vermietete bevorzugt an UN-Personal und verlangte das Doppelte der ortsüblichen Miete, aber die war gemessen an deutschen Verhältnissen immer noch günstig. Deutsche Verhältnisse. Davon musste ich mich erst einmal verabschieden.

Hier erfährst du, wie es weitergeht.

Elmar Heer arbeitet seit 40 Jahren als Polizeibeamter. 1990 wechselte er vom Streifendienst zur Diensthundestaffel Mittelfranken. Schon früh entdeckte er seine zweite Leidenschaft: das Schreiben. Mit seinem Buch „Partner auf Leben und Tod“, erschienen bei Droemer-Knaur, gewährt der Autor dem Leser einen Einblick in Leben und Arbeit eines Polizeihundeführers. Er erzählt über seine Aufgaben als Hundeführer, die umfangreiche Ausbildung von Polizeihunden und über spannende, heitere und auch tragische Einsätze, die er mit seinen Schäferhunden Gundo, Bux, Carina und Sam erlebte.



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