Cheyenne und Nitro – Dualdiensthunde für die Bundespolizei
Im Februar 2005 wurde Cheyenne bei uns geboren. Ich hatte mir vorgenommen, eine Hündin aus dem C-Wurf zu behalten, da wir so ganz allmählich an eine Nachfolgerin für unsere Zuchthündin denken mussten.
Tatsächlich hatte ich mich zunächst für eine andere junge Dame entschieden. Leider trat versehentlich jemand während eines Welpenbesuchs auf Cheyenne und verletzte sie sehr unglücklich. Ein Besuch beim Tierarzt zeigte, dass ein Hinterlauf glatt gebrochen war und so blieb Cheyenne bei mir. Denn natürlich musste sie sich erstmal vollständig erholen und konnte nicht in ein neues Zuhause umziehen. Von dem Bruch sollten keine Folgeschäden bleiben, hatte uns der Tierarzt versichert. Bei einem so jungen Hund sind die Knochen noch weich und es war vollständige Heilung zu erwarten. Wir behielten Cheyenne, mit noch zwei älteren Hunden im Haus, die schon länger einen festen Platz im Wohnzimmer gebucht hatten. Die Kleine entwickelte sich sehr gut. Von der Verletzung war schon bald nichts mehr zu spüren und so konnten wir sehr bald beginnen, sie entsprechend zu beschäftigen. Cheyenne entwickelte eine ausgesprochen große Vorliebe für Wasser. Auf der Wiese hatten wir immer ein volles Wasserfass für die Pferde und die Dame fand es toll, dort hineinzuspringen, unterzutauchen und vor allem stundenlang dort drin zu bleiben. Es war fast unmöglich, sie dort herauszubringen.
Schutzhundesport ist in erster Linie ein Denksport
Ich nahm die Hündin überall mit hin, um sie später auch tatsächlich umweltsicher zu haben, denn sie sollte, wie die anderen auch, Sprengstoffspürhund und Diensthund werden. Natürlich wollte ich sie auch im Hundesport führen. Das sind natürlich Herausforderungen, da es sich um viele komplett unterschiedliche, grundverschiedene Tätigkeiten handelt. Die dafür notwendigen Spiel- und Beutemotivation waren bei ihr in vollem Umfang vorhanden und so konnte dann auch recht zügig die Konditionierung auf die Zielstoffe beginnen. Auch im Sportbereich machten wir Fortschritte und sobald Cheyenne das erforderliche Alter erreicht hatte, legten wir die ersten Prüfungen erfolgreich ab. Gerade bei Cheyenne zeigte sich immer wieder deutlich, dass Schutzhundesport in erster Linie ein Denksport ist. Einem cleveren Hund wie Cheyenne die einzelnen Übungen beizubringen, ist kein großes Problem. Das Problem liegt darin, diese Übungen für den Hund immer wieder spannend und mit gewissen Herausforderungen zu gestalten. So ist es immer nötig, mit den unterschiedlichen Motivationen zu „spielen“, den Hund mal in der Beute, mal im Wehrverhalten oder mal in der Spielmotivation anzusprechen. Denn schließlich soll der Hund die geforderten Übungen immer freudig, konzentriert, aber auch korrekt zeigen. Ich war mit Cheyenne sehr zufrieden, merkte aber auch, dass sie irgendwie im Rudel nicht wirklich gut zurechtkam. Als Jüngste im Bunde fühlte sie sich wohl von den anderen Hunden etwas beiseite gedrängt.
Ein Pilotprojekt der Bundespolizei
Kurz vor ihrem dritten Geburtstag bekamen wir den Auftrag von der Bundespolizei, zwei Dualdiensthunde (Spür- und Schutzhund) im Rahmen eines Pilotprojektes auszubilden. Man wollte herausfinden, ob Zivilisten in der Lage sind, diese Hunde qualitativ gleichwertig wie die Polizei innerhalb kürzester Zeit auszubilden. Zwei Unternehmen, wir waren eines davon, waren ausgewählt worden, mit jeweils zwei Hunden zu diesem Projekt, das man getrost als eine Art Wettkampf betrachten konnte, anzutreten. Hier wäre noch zu erwähnen, dass dies natürlich nicht gerade einfach ist. Zum einen braucht man, um diese Herausforderung überhaupt annehmen zu können, diverse Genehmigungen, Prüfungen und Abnahmen. Nicht jeder darf einen Hund in den erforderlichen Sparten ausbilden, zum Beispiel im Schutzbereich oder in der Sprengstoffsuche. Zum anderen braucht man natürlich wirklich geeignete Hunde, die komplett gesund sind und natürlich alle Eigenschaften mitbringen, die notwendig sind. Das ist zum einen ein bedingungsloser Spieltrieb, da die vierbeinigen Beamten ja später auch unter schwierigen Bedingen und unter Ablenkung mit der Nase „am Ball“ bleiben müssen.
Der Schutzdienst ist ebenfalls ein völlig anderer. Natürlich beißen Sporthunde auch, jedoch haben die sportlich geführten Hunde ein völlig anderes Bild, das sie brauchen, um das entsprechende Verhalten abzurufen. Dieses Bild beschränkt sich auf den Figuranten oder Schutzdiensthelfer in Schutzhose und vor allen Dingen mit Beißarm. Dieser Beißarm ist das Objekt der Begierde, die Beute für die sie die geforderte Leistung bringen. Einfache Formel – kein Beißarm, kein Beißen. Jetzt kann man sich vorstellen, dass ein Einbrecher, Verbrecher oder sonst wer im tatsächlichen Leben in der Regel keinen Beißarm mit sich herumschleppt. Ganz besonders schlecht wäre es dann, wenn der eingesetzte Hund auf der Suche nach dem Schutzärmel am Täter vorbeiläuft und diesen komplett ignoriert. Das heißt: Die zu trainierenden Hunde müssen komplett anders konditioniert werden, womit es auch nicht so einfach getan ist.
Die innere Stärke oder umgangssprachlich: Das Herz muss einfach da sein, sonst wird man keinen zuverlässigen Hund bekommen, der in der Lage ist, seinen Hundeführer im Verteidigungsfall nach einem Angriff zu schützen oder ganz allein ein Gebäude oder eine Außenfläche auf der Suche nach einem Täter abzusuchen. Aus verschiedenen Gründen entschied ich mich, Cheyenne mit in dieses Programm zu nehmen. Ihr Kollege wurde von uns sehr sorgfältig ausgesucht und das Training konnte losgehen. Wir hatten sieben Wochen Zeit, die Hunde in der Fährtensuche neu auszubilden, die Unterordnungsleistungen neu zu strukturieren, die Sprengstoffsuche zu intensivieren (Cheyenne´s Kollege, Schäferhund „Nitro“, musste in diesem Bereich komplett ausgebildet werden) und den Schutzdienst komplett zu ändern.
Sieben Wochen bis zur Prüfung
Morgens war Fährte angesagt, dann Unterordnung, Sprengstoffsuche in allen Bereichen sowie Schutzdienst. Und wenn es noch nicht dunkel war, vielleicht noch eine Fährte. Wir waren sehr viel unterwegs, denn wir wollten den Hunden immer wieder neue Umgebungen, Umweltreize etc. geben, damit keine Gewöhnung an Plätze oder Ähnliches stattfinden konnte. Gleichzeitig mussten wir peinlichst darauf achten, die beiden nicht an ihre Leistungsgrenzen zu bringen, um Überforderungen zu vermeiden. Alles lief weitgehend nach Plan. Dummerweise zeigte Nitro kurz vor Ende der Ausbildung auf einmal ein gänzlich neues Verhalten in bestimmten Bereichen, auf das sich mein Kollege dann einstellen musste, da wir nichts mehr ändern oder austrainieren konnten. Nach den sieben Wochen Training trafen wir also in der Diensthundeschule ein. In der ersten Woche dort sollten wir die ganz normale Diensthundprüfung ablegen. Verständlicherweise begegnete man uns zunächst etwas reserviert … Zivilisten, die Polizeidiensthunde ausbilden, na ja … Wie überall im Leben gibt es auch natürlich in unserem Arbeitsbereich den einen oder anderen, der mehr mit Worten als mit Taten glänzt. Die Woche startete am Montag mit der Fährte. Ein Übungsleiter legte die Fährten, und zwar in der Art, wie es in etwa ein flüchtiger Straftäter machen würde. Das heißt, er legt natürlich keinen Wert auf eine gut ausgetretene geradlinige Fährte mit exakten Winkeln. Insgesamt war er sehr flott unterwegs. Auf der Fährte waren auch Gegenstände „verloren“ worden, die der Hund dann anzeigen sollte. Insgesamt meisterten wir diesen ersten Prüfungstag sehr erfolgreich. Jeder von uns verlor ein paar Punkte in der Endbewertung, aber die Hunde waren angekommen und hatten alle Gegenstände angezeigt.
Der zweite Tag startete mit der Unterordnung und anschließendem Schutzdienst. Unterordnung lief mit beiden Teams hervorragend, es gab nur ein paar kleine Unsauberkeiten, da wir verständlicherweise alle ein wenig nervös waren. Die Nervosität überträgt sich natürlich auf den Hund. Da heißt es dann, sich nach Möglichkeit gut im Griff zu haben, um dem Teamkollegen ein möglichst gewohntes „Bild“ zu bieten. Im Schutzdienst hatten die Hunde einen Überfall auf den Hundeführer zu vereiteln, einen Scheintäter im Wald aufzuspüren, zu stellen und zu verbellen, einen flüchtenden Straftäter einzuholen und damit die Flucht zu verhindern. Die gleiche Übung (Flucht) wurde noch einmal wiederholt, allerdings blieb der Täter plötzlich stehen … der Hund darf also dann nicht beißen, sondern muss sich blitzschnell umstellen und „nur“ verbellen. Bei der letzten Übung sahen wir uns einer aufgebrachten Personengruppe gegenüber, aus der heraus plötzlich der Hundeführer angegriffen werden sollte. Bis zu diesem Angriff hatte der Hund (mit Beißkorb) ein relativ neutrales Verhalten zu zeigen, um dann von null auf hundert durchzustarten, um den Hundeführer zu verteidigen.
Hier hätte ich mir Cheyenne etwas „intensiver“ gewünscht. Ihr Kollege Nitro hatte überhaupt keine Probleme in diesem Bereich. Aber … Alles in allem haben wir auch den Tag 2 bestanden und gut abgearbeitet. Der Mittwoch und der Donnerstag drehten sich komplett um die Sprengstoffsuche. Ein Kino, eine Werkstatt, ein Flugzeug, Schließfächer im Hauptbahnhof und Koffer wurden abgesucht. Dies waren bei Weitem die schwierigsten Tage, denn der Stress und die Nervosität sind für Hund und Hundeführer ungewöhnlich hoch. Alle hielten super durch, die Zielstoffe wurden gefunden und angezeigt. Nachdem also die Diensthundeprüfung bestanden war, ging es am Freitag zum Tierarzt. Hier wurde geröntgt, Blut untersucht und der Hund eigentlich komplett auf den Kopf gestellt. Während wir auf die Ergebnisse warteten, war die Spannung im Wartezimmer fast körperlich zu spüren. Endlich kam das Ergebnis: beide Hunde kerngesund. Einer Übergabe an die neuen Hundeführer der Bundespolizei stand nichts im Weg.
Ein neues Zuhause für Cheyenne
Die beiden Beamten nahmen ihre Hunde dann auch sofort mit in das Wochenende nach Hause. Cheyenne fuhr Richtung Berlin, Nitro in die Uckermark. Am darauf folgenden Montag begann das Übergabetraining, das 14 Tage dauern sollte. Nach diesem Training war dann direkt die erneute Prüfung mit den Hundeführern geplant. Als ich Cheyenne am Montag wieder traf, kannte sie mich eigentlich gar nicht mehr. Es schien ihr wohl sehr gut bei ihrem neuen Besitzer zu gefallen. Na ja, bei ihm war sie die unangefochtene Nummer 1 und man muss halt Prioritäten setzen. Das Übergabetraining verlief durchweg positiv. Lediglich Nitro wollte sich ab und an gegen seinen neuen Hundeführer durchsetzen. Zur anschließenden endgültigen Prüfung waren wir nicht mehr dabei. Wir hatten entschieden, dass wir uns diesem Stress ohne Not nicht noch einmal aussetzen wollten. Natürlich waren wir sehr gespannt auf das Ergebnis. Cheyenne bestand die Prüfung komplett, Nitro fiel im Schutzbereich durch und durfte bis zur Wiederholung dann nur als Sprengstoffspürhund eingesetzt werden. Diesen Teilbereich hatte er bestanden, in der Schutzhundprüfung war er wohl der Meinung, es besser als seine Hundeführerin zu wissen. Alles in allem ein durchaus „rundes“ Ergebnis. Cheyenne blieb bis zur Rente im Dienst, ihr Kollege Nitro verstarb nach einigen Jahren leider an Krebs, was uns alle sehr betrübte.

Ein MUSS für jeden, der sich auch nur ansatzweise mit Hundeausbildung beschäftigt.
Martin Weitkamp
Im Schatten der Gefahr
Hardcover, 128 Seiten, s/w
ISBN: 978-3-9815634-2-9
www.minervastore.de