
Pompi hat eine Maus mitgebracht. Sie lebt jetzt hier.
Hier schreibt Julius Mertens, Anfang 40, Texter und Kolumnist. Gemeinsam mit seinem Partner David und dem orangefarbenen Kater Monsieur Pompadour lebt er in einer Wohnung, die früher mal ihm gehörte, heute inszeniert Pompi täglich neue Bühnenstücke zwischen Futterneid, Fensterbank-Drama und Sofakissen-Intrigen.
Es war ein ganz normaler Dienstagmorgen. Ich saß am Küchentisch, trank meinen ersten Kaffee und las die Nachrichten, als Monsieur Pompadour durch die Katzenklappe spazierte. Das an sich war nichts Ungewöhnliches. Das Ungewöhnliche war, dass er etwas im Maul trug.
Etwas Kleines, Graues, das sich bewegte.
„Oh nein”, murmelte ich und stellte die Kaffeetasse ab. „Bitte nicht schon wieder.”
Normalerweise bringt Pompi seine „Geschenke” – tote Vögel, Mäuse, manchmal auch nur Teile davon – direkt zu mir. Eine Art pelzige Steuerklärung: „Sieh her, was ich für den Haushalt geleistet habe.” Diesmal aber lief er direkt ins Wohnzimmer.
Ich folgte ihm argwöhnisch. Pompi saß mitten auf dem Teppich und – ließ los.
Eine kleine, braune Maus plumpste auf den Boden. Lebend. Quicklebendig sogar. Sie schaute verwirrt um sich, als wäre sie gerade in einer anderen Dimension gelandet.
„POMPI!”, rief ich. „Was soll das?”
Das Orakel schaute mich an, als würde er sagen: „Überraschung! Ich hab uns einen Mitbewohner mitgebracht.”
Die Maus – offenbar weniger begeistert von der Situation – flitzte unter das Sofa.
„Was ist denn los?”, rief David aus dem Bad.
„Pompi hat eine lebende Maus mitgebracht!”, rief ich zurück.
„Eine tote Maus?”
„LEBENDE Maus!”
„Oh.” Pause. „Wo ist sie?”
„Unter dem Sofa!”
David kam mit Zahnbürste im Mund heraus. „Dah ih noh da?”
„Ja, sie ist noch da!”
Er spülte schnell aus. „Vielleicht ist sie verletzt? Vielleicht wollte Pompi ihr helfen?”
Helfen. HELFEN. Als wäre Satan in Plüsch plötzlich zum Tierarzt mutiert.
„David”, sagte ich geduldig, „Katzen bringen keine Mäuse mit, um ihnen zu helfen. Katzen bringen Mäuse with, um sie zu… na ja.”
„Zu fressen?”
„Genau.”
„Aber er hat sie nicht gefressen.”
„Noch nicht.”
Wir starrten beide auf das Sofa. Kein Mäuschen zu sehen. Aber ab und zu ein verdächtiges Rascheln.
„Vielleicht”, schlug David vor, „ist sie wieder rausgelaufen?”
„Unter dem Sofa?”
„Katzen sind schlau. Vielleicht hat sie einen Ausgang gefunden.”
Ich ging in die Hocke und spähte unter das Sofa. Zwei kleine, schwarze Knopfaugen starrten mich an. Die Maus saß ganz hinten in der Ecke und zitterte.
„Sie ist noch da”, berichtete ich.
„Und was machen wir jetzt?”
Gute Frage. Was macht man mit einer lebenden Maus im Wohnzimmer? Besonders wenn der Kater, der sie mitgebracht hat, jetzt gelangweilt auf seinem Kratzbaum sitzt und sich putzt, als wäre das alles ein ganz normaler Dienstag?
„Wir müssen sie einfangen”, sagte ich.
„Mit was?”
„Mit… einem Glas? Einem Karton?”
David verschwand in der Küche und kam mit einem großen Marmeladenglas zurück. „Und dann?”
„Dann bringen wir sie nach draußen.”
Das klang in der Theorie einfach. In der Praxis bedeutete es, dass ich auf allen Vieren unter das Sofa kriechen musste, während David mit dem Glas in Bereitschaft stand und Pompi uns dabei zusah, als wären wir eine besonders unterhaltsame Fernsehsendung.
„Da!”, rief ich, als ich die Maus erspähte. „David, das Glas!”
„Wo?”
„HIER!”
„Ich seh sie nicht!”
„Sie sitzt direkt vor deiner—”
Die Maus nutzte unsere Verwirrung und flitzte zwischen Davids Beinen hindurch in die Küche.
„Sie ist weg!”, rief David.
„Sie ist in der Küche!”
Wir stürmten hinterher. Die Maus saß jetzt auf der Arbeitsplatte, neben dem Brotkasten, und schaute uns vorwurfsvoll an. Als würde sie sagen: „Was soll das denn? Ich wollte doch nur in Ruhe gelassen werden!”
„Jetzt hab ich sie!”, sagte David und hob das Glas.
Aber die Maus war schneller. Sie sprang vom Brotkasten auf den Kühlschrank und von dort hinter die Spüle.
„Das wird nichts”, seufzte David.
„Doch”, sagte ich entschlossen. „Wir brauchen nur einen Plan.”
Der Plan bestand darin, alle Fluchtwege zu blockieren und die Maus systematisch in eine Ecke zu treiben. Eine Stunde später hatten wir halb die Küche auseinandergenommen, waren beide verschwitzt und die Maus saß gemütlich auf dem Kühlschrank und putzte sich.
„Vielleicht”, sagte David erschöpft, „lassen wir sie einfach hier.”
„Hier? In der Küche?”
„Warum nicht? Sie ist klein, sie stört nicht, und Pompi mag sie offensichtlich.”
Ich schaute zu Pompi hinüber. Der Fluffinator saß in der Tür und beobachtete das Schauspiel mit unverhohlener Belustigung. Dann schaute ich zur Maus. Die hatte sich inzwischen häuslich auf dem Kühlschrank niedergelassen und knabberte an einem Brotkrümel, den sie irgendwo aufgetrieben hatte.
„Das ist keine gute Idee”, sagte ich.
„Warum nicht? Sie ist süß!”
„David, das ist eine wilde Maus!”
„Sie sieht sehr zahm aus.”
Zahm. Als würde eine Maus, die gerade unser Zuhause erobert hat, „zahm” aussehen.
Das war vor drei Wochen. Die Maus – David hat sie inzwischen „Frieda” getauft – lebt immer noch hier. Sie hat sich ein Nest im Vorratsschrank gebaut, taucht regelmäßig am Kühlschrank auf und hat offenbar einen Friedensvertrag mit Pompi geschlossen.
Heute Morgen saß sie neben seinem Futternapf und fraß Katzenfutter.
„Siehst du?”, sagte David strahlend. „Eine große, glückliche Familie!”
Familie. Als hätten wir eine Maus adoptiert und nicht andersherum.
Das Orakel schnurrt inzwischen, wenn Frieda in der Nähe ist. Ich glaube, er ist stolz auf sein „Geschenk”.
Wir sind offiziell zu einem Drei-Spezies-Haushalt geworden. Und ehrlich gesagt? Frieda ist der ordentlichste Mitbewohner von uns allen.
Zumindest räumt sie ihre Brotkrümel weg.