
Trudi und die Sommerhitze
Hier schreibt: Lilo Sommer lebt mit ihrer Katze Trudi in einer alten Stadtwohnung voller Bücher, Teetassen und zerfetzter Sofakissen. Sie liebt Jazz, Weißwein und diese stillen Momente, in denen Trudi schnurrend auf ihrem Bauch entspannt und sie anblinzelt, als wüsste sie alle Antworten auf das Leben, aber ihr trotzdem keine verrät.
Sechsunddreißig Grad. Die Hitze steht wie eine unsichtbare Wand in der Wohnung, und ich überlege, ob es eine gute Idee war, den Ventilator nicht zu kaufen. Trudi liegt ausgestreckt auf den kühlen Fliesen im Badezimmer, alle viere von sich gestreckt, und hechelt leise. So habe ich sie noch nie gesehen.
“Dir ist auch zu heiß, nicht wahr?” frage ich sie.
Sie hebt kurz den Kopf, schaut mich an, als wollte sie sagen: “Ist das dein Ernst?”, und lässt ihn wieder auf die Fliesen sinken.
Ich habe alle Fenster geöffnet, aber es hilft nichts. Die Luft bewegt sich nicht. Sie steht da wie ein träger Gast, der nicht gehen will. Draußen flimmert die Hitze über dem Asphalt, und selbst die Spatzen sitzen mit offenem Schnabel im Schatten.
Trudi hat ihre Routine komplett geändert. Normalerweise liegt sie mittags auf der sonnigen Fensterbank. Heute meidet sie jedes Plätzchen, wo auch nur ein Sonnenstrahl hinkommt. Sie ist eine Expertin im Aufspüren kühler Orte geworden. Unter dem Bett, hinter dem Kühlschrank, auf den Fliesen.
“Du bist klug”, sage ich zu ihr. “Klüger als ich.”
Ich laufe nämlich immer noch herum, versuche zu arbeiten, zu putzen, zu leben, als wäre es ein normaler Tag. Trudi hat das aufgegeben. Sie tut das Einzige, was bei dieser Hitze sinnvoll ist: nichts.
Am Nachmittag bringe ich ihr eine Schüssel mit kaltem Wasser. Sie trinkt dankbar, dann legt sie ihre Pfoten hinein und lässt sie dort. Ich habe noch nie eine Katze gesehen, die ihre Pfoten ins Wasser stellt. Aber diese Hitze macht aus uns allen andere Wesen.
Ich setze mich neben sie auf den Boden. Die Fliesen sind tatsächlich angenehm kühl. “Du hast recht”, sage ich. “Hier ist es besser.”
Wir liegen beide auf dem Badezimmerboden und tun nichts. Gar nichts. Ich denke an all die Dinge, die ich heute eigentlich erledigen wollte. Die Wäsche, den Einkauf, die E-Mails. Aber bei dieser Hitze wirkt alles unwichtig.
Trudi schnurrt leise. Nicht das zufriedene Schnurren vom Winter, sondern ein müdes, erschöpftes Schnurren. Aber es ist da. Trotz der Hitze. Trotz allem.
“Weißt du was?” sage ich zu ihr. “Manchmal ist Nichtstun das Klügste, was man tun kann.”
Sie blinzelt mir zu. Dieses langsame Katzen-Blinzeln, das bedeutet: “Endlich verstehst du es.”
Draußen glüht die Stadt. Drinnen liegen eine Frau und ihre Katze auf kalten Fliesen und warten darauf, dass die Hitze vorübergeht. Und das ist völlig in Ordnung.
Manchmal ist Überleben schon genug.
Lilo Sommer