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Ingrid Stephans Hunde öffnen Kinderseelen

Der William F. McCulloch Award ist die wohl bedeutendste Auszeichnung im Bereich der tiergestützten Therapie. In diesem Jahr durfte Ingrid Stephan zur Verleihung nach New York reisen. Die Gründerin und Leiterin des Institutes für soziales Lernen in Lindwedel wurde von der Jury für ihren jahrelangen und unermüdlichen Einsatz im Bereich der tiergestützten Intervention gewürdigt. Wir haben nachgefragt.

Wie kamen Sie auf den Gedanken, dass Tiere in der Therapie von Kindern helfen könnten?

Ingrid Stephan: In einer meiner ersten Arbeitsstellen als Sozialpädagogin in einem Sprachheilkindergarten habe ich erfahren, welch positive Wirkung Tiere auf Menschen haben können. Kinder, deren Motivation zu Sprechen aufgrund eines ausgeprägten Störungsbewusstseins stark in Mitleidenschaft geraten war, konnten im Kontakt mit den Tieren völlig sorgenfrei ohne demotivierende Korrekturen neue Erfahrungen mit sich und ihrer Umwelt machen. Mithilfe anwesender Tiere fielen Gespräche förmlich vom Himmel. Denn die Gespräche machten den Kindern Spaß und die Hunde reagierten ja auch auf das Gesprochene.

Sie lebten also vor, dass es in Ordnung ist, sich in Sprache oder aber auch anders auszudrücken. Ängste und Druck wurden genommen! Zudem durfte ich schon als Kind erfahren, dass Tiere, auch und besonders Nutztiere, ihren Besitzern gerne viel Zuneigung und Vertrauen schenken, wenn man sie gut behandelt. Der Umgang damals in der Nutztierhaltung war auf kleinen Höfen noch sehr anders als meist heutzutage. Es war ein Geben und Nehmen, im Einklang und friedlich. Dies möchte ich mit meiner Arbeit unterstützen und die jüngere Generation erleben lassen, als Gegenpol zur profitorientierten und tierschutzwidrigen Welt der Nutztierhaltung.

Was war Ihr größter therapeutischer Erfolg?

Ingrid Stephan: Es gibt selten DEN Durchbruch, sondern eher viele kleine, welche sich im Verlauf, gerne auch sehr kleinschrittig, zu Beginn kaum erkennbar, zu einem solchen entwickeln. Dennoch kann ich sagen, dass die tiergestützte Arbeit mit Kindern (und ihren Familien), die mit Störungen aus dem Autistischen Spektrum leben, sich meist unglaublich positiv entwickelt, sobald eine passende Tierart oder ein ausgewähltes Tier beginnt, Kontakt mit einem autistischen Kind aufzunehmen.

Die Art, wie sich Autismus äußert, ist so vielfältig, dass jede Therapie eine neue Herausforderung für alle Beteiligten darstellt. Es ist zu bedenken, dass den Kindern der normale Kontakt zu Menschen schon schwerfällt. Nun kommen sie in Kontakt mit Lebewesen einer anderen Spezies, die völlig unbekannte Regeln hat. Was zuerst viel Sorge bei Angehörigen bereitet (wird mein Kind sich einfügen, anpassen können und dem Tier freundlich gegenüber treten), begleite ich mit meinem Team sehr engmaschig und dank des unverfälschten Wesens meiner Tiere auf solch individuelle Weise. Im letzten Jahr hat sogar ein autistischer Junge mit großer Angst vor Hunden und einem sehr inadäquaten Nähe/Distanzverhalten im Verlauf einer Woche Kurzzeittherapie gelernt, mit 4 verschiedenen Hundetypen zu interagieren.

Dieser Junge lernte die Bedürfnisse, Vorlieben sowie Abneigungen der Hunde zu erkennen und zu respektieren sowie angemessene Abläufe aus der Annäherung mit den Tieren, auf den Umgang mit unserem Team zu übertragen. Viele Verhaltensweisen aus dem sozial-emotionalen Bereich lassen sich für Menschen im Umgang mit Tieren nachhaltiger, nachvollziehbarer und spielerischer lernen, als unter Menschen. Dies erleben wir in unserer Arbeit jeden Tag.

Welche Bedeutung können Hunde für Kinder haben?

Ingrid Stephan: Der Hund, als einer der ältesten domestizierten tierischen Sozialpartner des Menschen, besitzt einige gleiche, sehr ausgeprägte “social tools” (Definition Verhaltensbiologe Prof. Dr. Kurt Kotrschal), wie auch wir Menschen. Zu diesem sozialen Handwerkszeug gehören besonders Fähigkeiten aus dem sozio-emotionalen Bereich, die sich bei Kindern und Erwachsenen positiv auf die individuelle Entwicklung auswirken können. Hunde besitzen grundsätzlich eine sehr gute Beobachtungsgabe und ein u.a. daraus resultierendes Einfühlungsvermögen (“wie geht es meinem Gegenüber”), sie sind Vorbilder wenn es um Selbstfürsorge (“was tut mir gut”) und das Aufzeigen von Grenzen geht (“wieviel Nähe/Kontakt/Spiel mag ich”).

Und da sie natürlich auch noch Meister in der analogen Kommunikation sind, lehren sie Kinder (am besten unter fachkundiger Anleitung) wichtige nonverbale Botschaften zu verstehen. Dessen Verständnis ist auch in der Interaktion mit Menschen wichtig. Studien belegen, dass Kinder, welche mit Hunden aufwuchsen, eine höhere soziale Kompetenz besitzen, als Kinder, welche ohne Hunde (oder andere Tiere) aufwuchsen. In unserer täglichen Arbeit erleben wir, dass besonders unsere Hunde, mit ihrer stetigen Bereitschaft zur Interaktion und Beziehungsgestaltung, ihrem großen Eifer und ihrer Neugier in Bezug auf uns Menschen, ihre Umwelt und gemeinsame Aktivitäten, eine Vielzahl an Erfahrungen wie z.B. den Umgang mit eigenen sowie den Emotionen eines Gegenübers, auf spielerische und nachhaltige Weise möglich machen.

Das Thema “Biographiearbeit” ist in der Arbeit mit unseren Klienten ein wichtiger Aspekt. Ich arbeite aktuell mit meiner 12-jährigen Labrador-Mischlingshündin “Linda”, die ich vor 6 Jahren von “Retriever in Not” übernommen habe. Sie hat stets besonders beruhigend und aufmunternd auf unsere Klienten eingewirkt und wird demnächst in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet. Linda saß 6 Jahre im Zwinger und hatte eine schwierige Vergangenheit. Unsere Klienten haben auch häufig Heimerfahrung und häufig eine durch Gewalt geprägte Vergangenheit. Durch diese Parallelen gibt es gute Anknüpfungsmöglichkeiten, ein hohes Maß an Empathie seitens der Klienten und die Klienten erleben, dass man aus schwierigen Situationen wieder herausfinden kann. Sie kann Linda jetzt als eine fröhliche und unbeschwerte Hündin erleben.

Ingrid Stephan bei der Verleihung des Awards in New York.

Liebe Frau Stephan, vielen Dank für das Gespräch.


Die Gründerin und Leiterin des Institutes für soziales Lernen in Lindwedel, Ingrid Stephan, wurde von der Jury des William F. McCulloch Awards in New York für ihren jahrelangen und unermüdlichen Einsatz im Bereich der tiergestützten Intervention gewürdigt.

Dieses Interview stammt aus der HundeWelt.

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