
„Hoffest mit Hähnchen“
Ein Überlebensbericht von Rocket
Ich hatte es gerochen, bevor irgendwer was gesagt hat. Fleisch. Rauch. Schweiß.
Und ganz viel Parfum.
Das Sommerfest.
Das ist der Tag, an dem Menschen sich zu Lebewesen zusammenrotten, in Polyester sitzen und Dinge tun, die sie später Fotos nennen.
Sie bringen Kuchen mit. Kinder. Erwartungen.
Und meistens die falschen Schuhe.
Ich war vorbereitet.
Seit Tagen trainierte ich meine Fluchtwege: Dachrinne, Sattelkammer, das Loch in der Rückwand der Reithalle.
Aber dann kam der Geruch von gegrilltem Hähnchen.
Ich blieb.
Am Anfang war es okay.
Brösel war im Fressmodus.
Mücke auf Beutezug – sie hat ein Faible für Servietten mit Butter.
Odile saß auf dem Fensterbrett und bewertete schweigend die Getränkewahl der Gäste.
Fridolin murmelte irgendwas über Dekadenz in Zeiten der Dürre.
Ich hielt die Stellung.
Neben dem Grill.
Direkt unter dem Tisch der Großen, die lachte wie jemand, der eigentlich lieber allein wäre.
Ich wartete auf das erste Stück Hähnchenhaut.
Dann kam das Kind.
Es trug ein Tutu und hatte klebrige Finger.
Es sah mich an, wie Menschen Tiere ansehen, wenn sie denken, „süüüß“ sei eine Form der Kontaktaufnahme.
Es griff nach mir.
Ich ging.
Es folgte mir.
Ich sprang auf den Stuhl.
Es auch.
Ich lief unter den Tisch.
Es rief: „MIAU!“
Ich rannte.
Dann war ich auf dem Dach.
Atemlos. Entsetzt. Lebendig.
Später, als die Musik zu laut, der Weißwein zu leer und die Gespräche zu sinnlos waren,
kam Brösel zu mir.
Mit einem Stück Hähnchen im Maul.
Er legte es wortlos neben mich.
Das war das Schönste, was mir je ein Kater gegeben hat.
Rocket,
Bewegungstalent, Fluchtkünstler,
und bekennender Gegner von Kinderhänden auf Festen.
Die Katzengang vom Reiterhof
Sie organisieren, füttern, putzen, reiten, fallen runter und scheinen nie so recht zu wissen, worum es wirklich geht. Menschen eben. Gut, dass sie uns haben:
Mücke – Die Kleine mit dem großen Maul
Frech wie zehn Spatzen auf dem Hafereimer. Hat zu allem eine Meinung, auch wenn keiner gefragt hat. Springt auf Mauern, Köpfe und Nerven, bevorzugt gleichzeitig.
Fridolin – Der Poet
Redet wenig, denkt viel. Lässt sich von Sonnenuntergängen inspirieren und von Menschen verwirren. Hat Angst vor Besen, aber keine Scheu vor metaphysischen Fragen.
Brösel – Der Genießer
Hat in seinem Leben noch nie etwas gejagt, außer das Sofa. Denkt, Diäten seien ein Angriff auf die persönliche Würde. Und auf die Vorratskammer.
Odile – Die Beobachterin
Hat alles gesehen, alles verstanden und kommentiert nur, wenn’s wirklich wehtut. Schweigt schärfer als manch Mensch spricht.
Die Große
Mittvierzigerin, Reitstiefelträgerin, riecht nach Kaffee und Pferdesalbe. Meint es gut. Odile: „Sie redet mit Pflanzen. Sagt alles über ihren Bindungsstil.“
Der mit den Leckerlis
Lebensgefährte der Großen. Trägt oft Fleece, nie Verantwortung. Glaubt, Katzen kann man „erziehen“. Wir lassen ihn in dem Glauben, solange die Hühnerherzen fließen. Brösel: „Er liebt uns. Man schmeckt’s in der Wurst.“
Die mit dem Helm
Tochter. Jung, nervös, immer zu laut. Schreit bei Spinnen und will „eine Verbindung zum Pferd spüren“. Mücke: „Ich hab ihr mal in den Stiefel gepinkelt. Reaktion war übertrieben.“
Der Tierarzt
Feindbild in Menschengestalt. Fridolin: „Ich war drei Tage verschwunden. Wegen ihm. Sag ich nur.“